Karlsruhe – Ab dem Berichtsjahr 2023 müssen auch kleinere kapitalmarktorientierte Unternehmen ein Nachhaltigkeits-Reporting vorlegen. Doch die wenigsten sind darauf heute gut vorbereitet. Dabei könnte die Abhilfe bereits in einer einzigen Kennzahl liegen.
2024 ist näher, als viele denken. Nach einem Beschluss der EU-Kommission sind mehrere tausend Unternehmen in Deutschland verpflichtet, ab der Berichtsperiode 2023 einen Nachhaltigkeitsbericht in ihren Lagebericht aufzunehmen. Klingt nach einem Fachthema für hoch spezialisierte Juristinnen und Juristen – birgt aber in der Praxis einen stattlich großen Berg, über den auch viele mittelständische Unternehmen erst einmal kommen müssen.
Zum Hintergrund: Bereits seit 2017 sind große kapitalmarktorientierte Unternehmen, Kreditinstitute und Versicherungen in der Europäischen Union dazu verpflichtet, über sogenannte nichtfinanzielle Aspekte ihrer Tätigkeit zu berichten. Doch mit der Qualität und Aussagekraft waren die Aufseher in Brüssel nicht zufrieden. Daher haben sie 2021 nicht nur kräftig an den Auflagen gedreht, sondern ab 2024 auch den Kreis der Berichtspflichtigen massiv vergrößert.
Bereits Firmen ab 250 Beschäftigten müssen berichten
Grundsätzlich sollen in Zukunft alle an einem regulierten Markt in der EU gelisteten Unternehmen (bis auf Kleinstunternehmen), zudem große, nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen sowie die meisten Banken und Versicherungen verpflichtend über nichtfinanzielle Kennzahlen berichten und somit zu mehr Transparenz über nachhaltige Aspekte beitragen. Dabei soll zudem das Größenkriterium der Arbeitnehmerzahl von 500 auf 250 gesenkt werden. Bislang waren in Deutschland rund 500 Unternehmen berichtspflichtig. Nach den neuen Regelungen werden es mindestens zehnmal so viele sein.
Vorstände kommen in die CSR-Haftung
Eine weitere Änderung bezieht sich auf die Geschäftsführung: In Zukunft soll das Management aktiv und nachweislich die Verantwortung für die Sustainability-Berichterstattung tragen. Der Bilanzeid, der sich bislang nur auf die Finanzberichterstattung bezieht, soll auch auf den Nachhaltigkeitsreport ausgeweitet werden. Die rechtliche Fallhöhe für das C-Level steigt somit.
Klima-Fußabdruck aus BWA
Doch wie finden gerade mittelständische Unternehmen heraus, wie es um ihre Klimabilanz bestellt ist? Bevor deutsche Mittelständler bereits Angst haben müssen, dass sie der neuen Aufgabe nicht gewachsen sind, gibt es bereits erste Lösungen. Die Karlsruher Unternehmensberatung ILI.Digital misst mit seinem Projekt „gecco2“ anhand betriebswirtschaftlicher Zahlen den ökologischen Fußabdruck von Unternehmen. Dabei kooperiert das Team und CEO Dr. Serhan Ili mit der Volksbank und myclimate. Digitalpionier Ili: „Der Nucleus des Projekts ist ein Corporate Carbon Footprint (CCF)-Rechner. Mithilfe dieses Tools können Unternehmen schnell und einfach ihren ökologischen Fußabdruck messen.“ Die Messung aller direkten und indirekten Emission wäre allerdings hier nicht zweckdienlich. Der Aufwand würde bei dieser Herangehensweise proportional zur Größe des Unternehmens ins Unermessliche steigen. Denn bei der wirklich umfassenden Berechnung des CCF müssen nicht nur die eigenen direkten Emissionen („Scope 1“) bei der Produktion von Waren oder Dienstleistungen berücksichtigt werden. Sondern auch „Scope 2“ – alle indirekten Emissionen etwa beim Einkauf von Strom oder Fernwärme – sowie „Scope 3“. Letzteres ist das weiteste Feld, weil es sämtliche Emissionen, jede Tonne Abfall bei Lieferanten und beim Verwenden der verkauften Produkte bis zu deren Lebensende einschließt.
„Corporate Carbon Footprint wird in den nächsten 24 Monaten eine signifikante Kennzahl“
Das Beispiel des DAX-Konzerns Continental AG zeigt, um welche Dimensionen es geht und warum gerade der Scope 3 so bedeutsam ist. Continental bekennt sich klar zum Pariser Abkommen von 2015. Demnach soll die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter gehalten beziehungsweise sie im Idealfall auf 1,5 Grad begrenzt werden. Um dies zu erreichen, soll die Weltwirtschaft klimaneutral werden. Die CO2-Bilanz von Continental belief sich 2020 auf mehr als 125 Millionen Tonnen entlang der kompletten Wertschöpfungskette. Das entspricht rund 0,25 Prozent der weltweiten Emissionen. Die eigenen CO2-Emissionen, die durch die Produktion etwa von Reifen oder Bremsen und den Bezug von Strom entstehen, liegen bei „nur“ rund 3,2 Millionen Tonnen. Den größten Klima-Fußabdruck hinterlassen die zahlreichen Wertschöpfungsketten bei Continental bis hin zum Nutzungsende der in Autos oder Lastwagen verbauten Teile.
Ili erklärt: „Um die Berechnung des CCF möglichst effizient und skalierbar und doch realitätsnah zu halten, leiten wir diesen aus dem ökonomischen Fußabdruck ab. Unternehmen können dafür einfach ihre betriebswirtschaftliche Auswertung hochladen und erhalten in wenigen Minuten ihren ökologischen Fußabdruck. Darüber hinaus werden ein fortlaufendes Tracking, das monatlich den CCF berechnet, und ein Benchmarking integriert.“ Er zieht ein klares Fazit: „Der Corporate Carbon Footprint wird in den nächsten 24 Monaten eine signifikante Kennzahl, die für jede große Aktiengesellschaft mitkommuniziert wird.“ (ID/mc/hfu)