Der Immobilienmarkt im Fadenkreuz der Regulierung
(Foto: Andy Dean – Fotolia.com)
«Research Alert» von Credit Suisse Economic Research zur Reform des Systems der Ergänzungsleistungen zur AHV:
Zürich – Zwei Tage nachdem die Schweizer Bankiervereinigung (SBVg) auf Wunsch der Regulierungsbehörde eine weitere Verschärfung der Selbstregulierung beschlossen hat, zaubert der Bundesrat die nächste Massnahme aus dem Hut. Über eine Reform des Systems der Ergänzungsleistungen zur AHV soll der Kapitalbezug aus der obligatorischen beruflichen Vorsorge ausgeschlossen werden. Obwohl diese Massnahme noch längst nicht entschieden ist und erst am Beginn des politischen Prozesses steht, sollten deren (Vorab-)Wirkungen auf den Immobilienmarkt nicht unterschätzt werden. Einerseits sind mittelfristig markante Nachfragerückgänge zu erwarten. Andererseits besteht kurzfristig die Gefahr, dass die geplanten Massnahmen vorgezogene Käufe provozieren und den bisherigen Abkühlungsprozess gefährden.
Reform wirkt sich auf den Immobilienmarkt aus
Der Bundesrat hat die Stossrichtung seiner Reform der Ergänzungsleistungen (EL-Reform) präsentiert. Mit dem Ziel, Altersarmut zu verhindern und das System der Ergänzungsleistungen zu entlasten, soll neben anderweitigen Massnahmen der Kapitalbezug aus dem obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge ausgeschlossen werden. Vorbezüge von Erspartem aus dem BVG-Obligatorium der 2. Säule wären dann für die Gründung eines eigenen Unternehmens oder für den Kauf von Wohneigentum nicht mehr möglich. Die Richtungsentscheide zur EL-Reform befinden sich noch in einer frühen Phase des politischen Prozesses. Da sie eine starke Einschränkung der Vorbezugsmöglichkeiten von Pensionskassengeldern für den Immobilienerwerb beinhalten, weisen wir frühzeitig auf die möglichen Auswirkungen auf den Schweizer Wohnimmobilienmarkt hin.
Erfahrung lässt markanten Nachfragerückgang erwarten
Nachdem im Rahmen der Selbstregulierung der Banken vom Juli 2012 Käufer von selbstgenutztem Wohneigentum bereits zu 10% hartem Eigenkapital verpflichtet wurden, das nicht aus Geldern der 2. Säule beigebracht werden darf, müssten viele Käufer im Falle der Umsetzung der Vorlage den Eigenkapitalanteil von mindestens 20% fast vollständig aus eigenem Vermögen und Ersparnissen finanzieren. Vorbezugsmöglichkeiten bestünden noch für den überobligatorischen Anteil der Pensionskassengelder. Dieser Anteil ist abhängig von Zusatzleistungen des Arbeitgebers und von freiwilligen Einkäufen der Versicherten. Gemäss der Pensionskassenstatistik des Bundesamtes für Statistik lag dieser im Jahr 2012 bei 30% des gesamten Vorsorgekapitals, inklusive des Vorsorgekapitals der Rentner. Dieser Anteil dürfte jedoch sehr ungleich über die Einkommensklassen verteilt sein.
Auch wenn sich die EL-Reform erst am Beginn des politischen Prozesses befindet und der Zusammenhang zwischen Vorbezug und Altersarmut bisher empirisch nicht nachgewiesen wurde, stellt sich dennoch die Frage nach den Auswirkungen auf den Immobilienmarkt. Diese lassen sich vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Verschärfung der Selbstregulierung vom Juli 2012 einigermassen abschätzen. Aufgrund der hohen Immobilienpreise sind für den Kauf von Wohneigentum substanzielle Eigenmittel notwendig. Bereits der Blick auf die Vermögensverteilung verrät, dass viele Privathaushalte Mühe bekunden, im geforderten Ausmass Eigenmittel beizubringen. Die jüngste Abkühlung auf dem Markt für selbstgenutztes Wohneigentum kann demnach zu grossen Teilen auf die bisherige Einschränkung des Vorbezugs zurückgeführt werden (vgl. Abb. 1).
Die Einschränkung des Vorbezugs hat den Fokus von Käufern auf günstigere Objekte und/oder günstigere Regionen gelenkt. Spürbar sinkende Zahlen von Hypothekarkreditanträgen sowie ausgeprägte Verlagerungen der Preisdynamik von hochpreisigen Regionen zu Landesteilen, wo die Immobilienpreise in der Vergangenheit weniger steil angestiegen sind, bestätigen diese Sichtweise (vgl. Abb. 2). In Hochpreisregionen wie im Genferseeraum oder in die Stadt Zürich ist das Preiswachstum aktuell praktisch zum Erliegen gekommen. Mit stellenweise sehr hohen und von Fundamentalfaktoren losgelösten Preisniveaus bleibt der Risikogehalt am Schweizer Immobilienmarkt trotz der willkommenen Abkühlung aber hoch.
Die Marktsituation ist fragil. Einerseits ist die vielzitierte und angestrebte sanfte Landung mit mittelfristig stagnierenden oder nur leicht rückläufigen Preisen ein sehr realistisches Szenario. Andererseits schweben Zinsänderungsrisiken und politisch motivierte Regulierungseingriffe wie ein Damoklesschwert über dem Markt. Erst vor Kurzem hat die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) weitere Selbstregulierungsmassnahmen bekannt gegeben, die von vielen Seiten aufgrund ihrer Kostenneutralität und ihres Fingerspitzengefühls im fragilen Marktumfeld begrüsst wurden.
Unglückliches Timing
Aus Sicht der Immobilienmarktabkühlung und –stabilisierung kommt die Ankündigung, den Vorbezug von Pensionskassengeldern stark einschränken zu wollen, aus zwei Gründen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Erstens ist der Wunsch nach Wohneigentum heute trotz der hohen Preise immer noch gross – die tiefen Zinsen wecken weitere Begehrlichkeiten. Die Aussicht, in einiger Zeit nur noch sehr eingeschränkt auf die Pensionskassengelder zugreifen zu können, dürfte deshalb zu vorgezogenen Käufen und einem vorübergehenden Run auf Eigentumsobjekte führen. Ein Wiederaufflammen der Preisanstiege könnte die Folge sein. Diese Marktpsychologie ist nicht zu unterschätzen. Die Reformankündigung der Ergänzungsleistungen gefährdet demnach die laufenden Abkühlungsbemühungen. Zweitens dürfte der Effekt der deutlichen Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen bei der Umsetzung ähnlich wirkungsvoll ausfallen wie im Nachgang der Selbstregulierung 2012. Weil mit einer Umsetzung frühestens ab 2016 zu rechnen ist, könnte der Eingriff ein sich wieder beschleunigendes Preiswachstum erst in zwei bis drei Jahren stoppen – und möglicherweise einen Preiszerfall ausgehend von einem noch höheren Niveau auslösen. (Credit Suisse/mc/ps)