Zürich – Während die Finanzmärkte den Schwerpunkt auf positive wirtschaftliche Überraschungen und Gewinnzahlen von Unternehmen legen, hakt Europa Schritt für Schritt seinen vollen Wahlkalender ab, der in Kürze mit den Wahlen in Frankreich einen Höhepunkt erreichen wird. In Anbetracht des näher rückenden Ereignisses hat die Credit Suisse ihr Barometer für politische Risiken aktualisiert, um den aktuellen Stand der Risikobereitschaft der Anleger zu ermitteln und Szenarien für die bevorstehenden französischen Präsidentschaftswahlen darzulegen. Die Anlagestrategen der Bank bleiben vorsichtig optimistisch in Bezug auf europäische Anlagen, die von der Stärke des Konjunkturzyklus gestützt werden. Der Euro bleibt relativ schwach und eine weitere Abwertung wird erwartet.
Die französischen Präsidentschaftswahlen finden in einem günstigen konjunkturellen Umfeld statt. Die Stimmungsindikatoren sowohl für das verarbeitende Gewerbe als auch für den Dienstleistungssektor haben sich rapide verbessert und das höchste Niveau seit fast sechs Jahren erreicht. Der Privatkonsum hat von der sehr guten Konsumentenstimmung profitiert und befeuert so eine positive Dynamik fallender Arbeitslosenquoten bei weiter ansteigendem Konsum. Trotz der vorteilhaften kurzfristigen Wachstumsaussichten wird der neue Präsident – oder die neue Präsidentin – vor denselben strukturellen Problemen stehen, mit denen sich die französische Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten konfrontiert sah: mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, ein unflexibler Arbeitsmarkt und hohe öffentliche Ausgaben. Die Kandidaten sind sich dieser Probleme bewusst und haben sie in unterschiedlichen Ausmassen in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Politische Initiativen werden allerdings den potenziellen Widerstand des Parlaments und der Bevölkerung überwinden müssen. Ein starkes Mandat der Bevölkerung ist somit von entscheidender Bedeutung.
Das Risikobarometer zeigt im März eine ungebrochene Risikobereitschaft
Das aktualisierte Barometer zeigt über alle Märkte hinweg nach wie vor keine Bedenken zu systemischen Risiken. Es ist allerdings mit einem Rückgang der Risikobereitschaft zu rechnen, sollte es in der zweiten Wahlrunde zu einem knappen Rennen zwischen Marine Le Pen und einem Gegenkandidaten kommen. Sektorübergreifend betrachtet – von Geldmärkten und Anleihen bis hin zu Aktien und Währungen – zeigt sich, dass der Markt im Vergleich zur jüngsten Vergangenheit gegenwärtig bei einem Wert von etwa 2 steht (auf einer Skala von 0 bis 10, wobei 10 bedeutet, dass die Bewertungen eine tiefe Anlegerbesorgnis über künftige Risiken reflektieren). Das Barometer, das auf die Messung des an den Kapitalmärkten eingepreisten Risikoniveaus ausgelegt ist, basiert auf einem Risikospektrum, das sich auf die Daten der letzten zehn Jahre stützt, die unter anderem die Lehman-Pleite, die Griechenlandkrise, den Brexit und das Referendum in Italien umfassen.
An den Staatsanleihenmärkten zeigt sich die nachlassende Besorgnis über Risiken an den sinkenden Spreads der kurz- und mittelfristigen italienischen und spanischen Staatsanleihen im Vergleich zu ihren deutschen Pendants. Die Marktliquidität ist weiterhin robust. Zudem haben geringe Geld-Brief-Spannen auch niedrige Handelskosten zur Folge. An den Kreditmärkten deuteten geringere Zinssätze bei Verbraucherdarlehen und Krediten für kleine Unternehmen auf günstigere Finanzierungsbedingungen hin, während die Spreads sowohl von Investment-Grade- als auch von High-Yield-Anleihen zurückgingen. Die Aktienbewertungen waren im März geringfügig höher, was sich in den Kurs-Gewinn-Verhältnissen von Aktien der Eurozone widerspiegelte. Unabhängig davon, entgegen des bisherigen Trends, schlug sich die gesunkene Besorgnis über die Eurozone auch in einem stärkeren EUR/USD-Währungspaar nieder. Die Erwartungen einer höheren Volatilität konzentrieren sich direkt auf die Wochen vor und nach den Wahlen in Frankreich.
Outperformance von Aktien der Eurozone dank positiver Konjunktur- und Gewinndynamik
Das Anlagekomitee der Credit Suisse hat kürzlich die Aktien der Eurozone auf Outperformance hochgestuft. Die Frühindikatoren in Europa sind auf ein 5-Jahres-Hoch gestiegen, die Rentabilität nimmt zu und die relativen Gewinnkorrekturen für europäische Unternehmen fallen im Vergleich zu globalen Aktien stark aus. Sowohl binnenmarkt- als auch exportorientierte Unternehmen profitieren von einem Aufschwung. Die makroökonomische Dynamik in der Eurozone hat ein Mehrjahreshoch erreicht, während der Euro relativ schwach ist. Die Anlageexperten der Credit Suisse rechnen dabei mit einer weiteren Abwertung der Gemeinschaftswährung. Obschon das Gesamtbild positiv ist und die Bewertungen attraktiv sind, sollten politische Risiken nicht vernachlässigt werden. So ist etwa mit einer Underperformance italienischer Aktien zu rechnen, da sich die von den französischen Wahlen ausgehenden Risiken am deutlichsten in der Peripherie auswirken dürften.
Drei Szenarien für Frankreich
Zur Beurteilung der möglichen Folgen der Wahlen in Frankreich für die Märkte haben die Anlageexperten der Credit Suisse drei Szenarien definiert: Im ersten Szenario, mit einer Wahrscheinlichkeit von 15%, erreicht Marine Le Pen nicht die zweite Wahlrunde. Riskante Anlagen und insbesondere französische Titel würden profitieren. Zudem würden Anlagen gewinnen, denen ein Wegfall des Peripherieländerrisikos zugutekommen würde. Das zweite und zentrale Szenario dürfte mit einer Wahrscheinlichkeit von 65% eintreten: So erwarten die Anlageexperten der Credit Suisse bei diesem Szenario zwischen den zwei Wahlrunden eine vorübergehend erhöhte Volatilität infolge eines womöglich sehr geringen Abstands zwischen Marine Le Pen und einem Gegenkandidaten in den Umfragewerten – und somit Besorgnis über nationale und regionale politische Unsicherheit.
Im dritten und letzten Szenario, für das eine Wahrscheinlichkeit von 20% geschätzt wird, gewinnt Marine Le Pen die Wahl in Frankreich. In diesem Szenario dominiert an den Märkten die Risikoaversion, da die Anleger weitreichende Folgen für Europa einpreisen. Dieses Szenario basiert auf der potenziellen Neuverhandlung von EU-Verträgen und einer Rückkehr zu einer nationalen Währung, beides Kernpositionen des Parteiprogramms von Le Pen.
Unsicherheit und Volatilität dürften europäischer Integration und Reform weichen
Die anstehende Präsidentschaftswahl ist weiterhin die am schwersten vorherzusagende politische Entscheidung in Frankreich in den letzten Jahren. Die Vorwahlen der republikanischen und sozialistischen Parteien führten mit François Fillon und Benoît Hamon bereits zur Wahl weniger bekannter Kandidaten. Seitdem ist der Wahlkampf geprägt durch Skandale und eine Fragmentierung innerhalb der etablierten Parteien. Es besteht die Gefahr, dass die Kandidaten der beiden grossen Parteien in der ersten Wahlrunde ausscheiden, zudem haben die Skandale das öffentliche Interesse an der Wahl geschmälert.
Derzeit erwägen laut Umfragen 35% der französischen Wahlberechtigten, in der ersten Wahlrunde nicht abzustimmen. In Anbetracht der in der Vergangenheit mit einem Durchschnittswert von rund 80% stets hohen Wahlbeteiligung ist dies ein ungewöhnlich hoher Wert. Und schliesslich könnte sich ein grosser Anteil der mit Sicherheit an der Wahl teilnehmenden Bevölkerung im letzten Moment umentscheiden, was zur Volatilität des Wahlkampfs beiträgt. Trotz dieser Risikofaktoren besagt das zentrale Szenario, dass wahrscheinlich ein pro-europäischer, reformorientierter Kandidat als Sieger hervorgehen wird, was von den Finanzmärkten als vorteilhaft für die europäische Integration und die Peripherieländer gewertet wird. Es ist davon auszugehen, dass in diesem Fall die politischen Risiken in südlichen Ländern der Eurozone zurückgehen werden.
Wahlen in Deutschland und Italien am Horizont
Bei den Wahlen in Deutschland im September wird ein knappes Rennen zwischen Angela Merkel als Kandidatin der CDU und Martin Schulz als Kandidat der neu erstarkten SPD erwartet. Zwar scheint keines der möglichen Ergebnisse eine mögliche Quelle von Volatilität an den Märkten darzustellen. Dennoch sollte die Wichtigkeit dieser Wahl nicht unterschätzt werden – unter anderem in Anbetracht der starken Führung, die Europa in Zeiten der Brexit-Verhandlungen benötigt, der erforderlichen EU-Reformen nach dem Brexit und der schwierigen geopolitischen Lage bezüglich der globalen Grossmächte, darunter die EU, die USA, China und Russland.
In Italien sind die Marktauswirkungen des Referendums im Dezember nach dem Rücktritt von Matteo Renzi im Februar zwar moderat ausgefallen, die von Paolo Gentiloni gebildete Regierung bleibt jedoch weiterhin anfällig für politische Manöver innerhalb der geteilten Partei und der Koalition insgesamt. Eine neue Wahl der Parteiführung findet am 30. April statt. Wenngleich Neuwahlen vor dem Jahr 2018 nun weniger wahrscheinlich sind, werden Meinungsumfragen im Anschluss an das Ereignis sehr genau auf Änderungen der Wahlabsichten zwischen der Partito Democratico und der 5-Sterne-Bewegung untersucht. Die beiden Parteien liegen derzeit in den Meinungsumfragen gleich auf. Diese Ereignisse sind weiterhin von Bedeutung, da Italien das höchste langfristige Risiko in Europa darstellt und die Fünf-Sterne-Bewegung zudem die stärkste Anti-Establishment-Bewegung in der Region darstellt. (CS/mc/pg)