CS: Schweizer Wirtschaft ist für den Brexit gewappnet
Zürich – Rund tausend Tage ist es her, seit sich die britische Bevölkerung dazu entschieden hat, die Europäische Union (EU) zu verlassen. Seither, und insbesondere in den letzten Wochen, liefen die Verhandlungen zwischen Premierministerin Theresa May und den Verantwortlichen der EU auf Hochtouren, ohne das dabei viel erreicht wurde.
Mit ihren bisherigen Lösungsvorschlägen ist die britische Premierministerin im Unterhaus auf taube Ohren gestossen. Zwar stimmte das britische Parlament am 13. März gegen einen ungeregelten Austritt Grossbritanniens aus der EU (Hard Brexit), laut verschiedenen Marktbeobachtern sei diese Abstimmung allerdings nicht bindend und würde für Grossbritannien einen gewissen Verlust der Verhandlungsmacht bringen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass kaum Fortschritte in Bezug auf die künftige Beziehung zwischen Grossbritannien und der EU gemacht worden sind und sich die Verhandlungen wohl noch Monate hinziehen werden.
Abschluss von wichtigen Abkommen zwischen der Schweiz und Grossbritannien
Unabhängig davon, auf welchem Weg Grossbritannien die EU verlässt, sind die Bilateralen Verträge der Schweiz mit der EU nicht mehr auf Grossbritannien anwendbar. Entsprechend schloss die Schweiz in den letzten Monaten mehrere Abkommen mit Grossbritannien ab, um eine möglichst reibungslose Fortführung der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern zu ermöglichen. So bleiben bestehende Aufenthaltsbewilligungen von Schweizern in Grossbritannien (und umgekehrt) bestehen. Für britische Zuwanderer nach dem Brexit werden von der Schweiz zusätzlich 3500 Sonderkontingente ausgestellt, weil britische Staatsangehörige nach dem Verlassen der EU für die Schweizer Migrationspolitik zu den Drittstaaten gehören.
Der Warenhandel soll durch den Erhalt der bisher gültigen Zollerleichterungen und dem mehrheitlich replizierten Freihandelsabkommen mit der EU sowie der Weiterführung des Agrarabkommens gesichert werden. Das neu abgeschlossene Luftverkehrsabkommen, das die rund 150 Flüge täglich zwischen der Schweiz und Grossbritannien betrifft, sichert die bestehenden Verkehrsrechte beider Länder. Zwei weitere Abkommen tangieren den Strassenverkehr (Erhalt des Status quo) und die Versicherungsbranche (Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften). Somit sollten die bestehenden politischen Rahmenbedingungen für beide Länder auch nach dem Brexit Bestand haben.
Schweizer Exporte litten bisher wenig unter dem Brexit
Allfällige negative Effekte des Brexit auf die Schweizer Konjunktur dürften in erster Linie indirekter Natur sein. So beeinflussen die Wirtschaftslage und Konsumentenstimmung in Grossbritannien sowie Währungsschwankungen des GBP zum CHF den Geschäftsgang der hiesigen Exportindustrie. Seit dem Brexit-Votum im Jahr 2016 sind beispielsweise die Schweizer Exporte nach Grossbritannien um jährlich 12% gesunken, was im Vergleich zum durchschnittlichen Wachstum der Exporte nach Grossbritannien (1998 – 2015) von 4% markant ist.
Ein Grossteil dieses Rückgangs kam jedoch aus dem Pharmasektor und dürfte auf Änderungen in der globalen Lieferkette von Pharmakonzernen zurückzuführen sein, denn zeitgleich stiegen die Ausfuhren von Pharmazeutika in die Niederlande um den selben Betrag in CHF. Pharmaexporte machten bis 2016 noch 45% der Gesamtausfuhren nach Grossbritannien aus, 2018 bereits weniger als ein Viertel. Aus Schweizer Sicht dürfte dies somit ein Nullsummenspiel und der Rückgang folglich kein grosser Wertschöpfungsverlust gewesen sein.
Exporte nach Grossbritannien in der Summe wenig zyklisch
Unter Ausklammerung der volatilen, aber nichtzyklischen Pharmaexporte stiegen die Ausfuhren nach Grossbritannien nach dem Brexit-Votum mit 3.3% p.a. schneller an als im langfristigen Durchschnitt (1998 – 2015: +1.3% p.a., vgl. Abb.). Dieser Durchschnitt ist aufgrund der Weltwirtschaftskrise von 2009 und dem darauffolgenden starken Wertzerfall des GBP aber verzerrt. Was aber, wenn das GBP ggü. dem CHF erneut stark abwerten würde? Mithilfe von Exportelastizitäten lässt sich der Effekt von Konjunktur- und Währungsschwankungen auf die Warenexporte schätzen. Um dem heterogenen Exportsektor der Schweiz Rechnung zu tragen, unterscheiden wir dabei zwischen 13 Industriebranchen.
Über alle Branchen hinweg betrachtet führt eine BIP-Wachstumsverlangsamung in Grossbritannien um 1 Prozentpunkt zu 1.2 Prozentpunkten weniger Exportwachstum nach Grossbritannien. Eine Abwertung des GBP ggü. dem CHF um 1% würde zu 0.2 Prozentpunkten weniger Wachstum der Exporte nach Grossbritannien führen. Im pessimistischen Szenario, in dem sich das Wirtschaftswachstum in Grossbritannien um 1 Prozentpunkt zurückbilden und das GBP gegenüber dem CHF um 5% abwerten würden, wären 2.2 Prozentpunkte weniger Exportwachstum nach Grossbritannien zu erwarten. Diese insgesamt träge Reaktion ist in erster Linie eine Folge der Dominanz des nichtzyklischen Pharmasektors.
Ungeordneter Brexit als Restrisiko
Insgesamt gehen 4% der Schweizer Exporte nach Grossbritannien. Selbst beim oben beschriebenen pessimistischen Szenario würden daher die gesamten Schweizer Exporte nur 0.1 Prozentpunkte langsamer steigen. Ähnliches gilt im Übrigen für den Schweizer Tourismussektor: 4% der Hotelübernachtungen werden von Briten gebucht, wobei die Elastizitäten bezüglich der Konjunkturlage und der Währungsschwankungen von britischen Gästen etwas höher sind. Viel stärker wäre der Effekt einer starken und abrupten Aufwertung des CHF gegenüber dem EUR auf die Schweizer Exportwirtschaft und den Tourismus, wie wir es 2015 erlebten. Dies wäre aber wohl in erster Linie bei einem ungeordneten Brexit denkbar. Selbst nach dem Brexit-Votum am 23. Juni 2016 bewegte sich der EUR/CHF nur unwesentlich. (CS/mc)