Daniel Werdenberg, Geschäftsführer Assurinvest, im Interview
Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Werdenberg, der Bundesrat hat den gesetzlichen Mindestzinssatz bei der obligatorischen beruflichen Vorsorge (BVG) auch für 2022 bei 1% festgelegt, der Umwandlungssatz, im obligatorischen Bereich aktuell bei 6.8%, kennt auch nur die Richtung nach unten. Nach den Lücken bei der 1. Säule schaut es auch bei der 2. Säule nicht rosig aus für die Zukunft. Was muss getan werden, damit die Vorsorge der zweiten Säule nicht nur ein Geschäft für die Verwalter der Gelder bleibt, sondern auch für die Versicherten die erwarteten Renditen bringt?
Daniel Werdenberg: Angesichts der gewaltigen Herausforderungen, vor welchen die Vorsorgesysteme faktisch aller westlichen Länder aufgrund des demographischen Wandels und tiefer Zinsen stehen, herrscht auch hier in der Schweiz weitgehend Einigkeit zum Reformbedarf des auf drei Säulen basierten Vorsorgesystems.
«Gemäss Prognosen wird im Jahr 2050 nur noch etwa 50% der Bevölkerung erwerbstätig sein. Die meisten Pensionskassen haben sich auf diese Entwicklung vorbereitet und die versicherungstechnischen Parameter angepasst sowie Reserven geöffnet.» Daniel Werdenberg, Geschäftsführer Assurinvest
Zahlreiche Pensionskassen haben ihre Anlagestrategie und -organisation in Zusammenarbeit mit externen Beratern überarbeitet. Viele Vorsorgeeinrichtungen sind dank ihrer hohen Risikofähigkeit in der Lage, in renditeträchtige, alternative Anlageklassen zu investieren und konnten in den vergangenen Jahren das Altersguthaben deutlich über dem Mindestzinssatz verzinsen. Und es ist mehr Flexibilität gefragt: So könnte durch eine Entpolitisierung der Parameter der beruflichen Vorsorge, des Umwandlungssatzes und des Mindestzinssatzes künftig den verantwortlichen Institutionen der beruflichen Vorsorge überlassen werden.
Die finanztechnische Antwort auf die Probleme der 2. Säule tönt relativ einfach: Senkung des Rentenumwandlungssatzes bei gleichzeitiger Erhöhung der Sparbeiträge. Das heisst, das Problem wird alleine den künftigen Rentnern aufgebürdet. Welchen Beitrag könnten die Pensionskassen selbst und der Staat leisten?
Seitens der Pensionskassen wie auch der öffentlichen Hand wurden in den letzten Jahren schon Anstrengungen unternommen, im Sinne der künftigen Beitragsempfänger diesem Trend entgegenzuwirken. Zweifellos gibt es zusätzlichen Handlungsbedarf. So bedarf es grundsätzlich einer weiteren Professionalisierung sowie einer Effizienzsteigerung des gesamten Systems. Hier sind in den letzten Jahren grosse Fortschritte durch Senkung der Vermögensverwaltungskosten oder der Total Expense Ratio (TER) erzielt worden, wenngleich es noch bedeutende Unterschiede zwischen den Einrichtungen gibt.
Die anhaltende Konsolidierung der Branche und Zusammenschlüsse von Pensionskassen führen zu weiteren Kostenvorteilen. Darüber hinaus steht eine Reihe von innovativen Massnahmen zur Debatte. Prüfenswert wäre im Gegensatz zum für alle Versicherten einheitlichen Pensionierungszeitpunkt die Einführung eines flexibleren Modells, das den unterschiedlichen Berufskarrieren der Versicherten gerechter wird und eine bestimmte Anzahl von Beitragsjahren für die 2. Säule bis zur ordentlichen Pensionierung vorgibt. Ein solches Modell berücksichtigt die Tatsache, dass ein Bauarbeiter wesentlich früher in den Arbeitsprozess einsteigt, als ein Akademiker und entsprechend früher in Rente geht.
Eine weitere machbare Massnahme: Durch die Reduktion des Mindestumwandlungssatzes liesse sich die Reduktion des Koordinationsabzugs und die Anpassung der Altersgutschriften über die gesamte Beitragsdauer kompensieren. Auch sollten Staat und Politik nicht aufhören, Unternehmen wie Privatpersonen an die Dringlichkeit einer nachhaltigen Altersvorsorge zu erinnern und an die Eigenverantwortung jedes einzelnen zu appellieren.
2014 gingen Sie eine Partnerschaft mit der Schwyzer Kantonalbank (SZKB) ein, um im Pensionskassengeschäft national und international eine gewichtige Rolle spielen zu können. Nach Missständen bei der Phoenix Pensionskasse, deren Aufbereitung gerade wieder für Schlagzeilen sorgt, Millionenverlusten und Rücktritten bei der SZKB, sind Sie heute Verwaltungsratspräsident bei Assurinvest. Was ist der aktuelle Stand aus Ihrer Sicht, welche Risiken sind bei der Assurinvest aus der gescheiterten Zusammenarbeit verblieben?
Die dazumal für uns strategisch sinnvolle Partnerschaft hat sich nicht wie erwartet entwickelt. Es gab gravierende Verfehlungen ausserhalb des Aufgaben- und Verantwortungsbereichs von Assurinvest. Über Missstände, die wir aufdeckten, haben wir die Aufsichtsbehörde entsprechend informiert und diese hat umgehend reagiert. Der Fall liegt immer noch bei der Staatsanwaltschaft. Weitere Angaben kann ich dazu aufgrund des laufenden Verfahrens nicht machen.
«Es gab gravierende Verfehlungen ausserhalb des Aufgaben- und Verantwortungsbereichs von Assurinvest. Über Missstände, die wir aufdeckten, haben wir die Aufsichtsbehörde entsprechend informiert und diese hat umgehend reagiert.»
Inwiefern hat sich dieser Fall auf die Entwicklung von Assurinvest und Ihre Strategie ausgewirkt, welche Anpassungen mussten Sie vornehmen?
Die Firma befindet sich wieder zu 100% im Besitz des Managements und wir haben personelle Veränderungen auf Verwaltungsratsebene vorgenommen. Als Konsequenz aus diesen Erfahrungen werden wir mögliche Partnerschaften noch kritischer prüfen. Wir sind aber strategisch, wirtschaftlich und personell bestens aufgestellt, um die künftigen Herausforderungen erfolgreich zu meistern.
Die Aufsicht über die Vorsorgeeinrichtungen liegt bei den kantonalen Aufsichtsbehörden. Diese werden wiederum von der Oberaufsichtskommission (OAK BV) kontrolliert, deren Mitglieder der Bundesrat bestimmt. Wie wirksam sind diese Strukturen, um Fälle wie denjenigen der Phoenix Pensionskasse zu verhindern?
Die organisch gewachsenen Aufsichtsstrukturen und die Governance haben sich über Jahre hinweg durchaus bewährt und mit wenigen Ausnahmen hat dieses System auch gut funktioniert. Angesichts der generell wachsenden Komplexität in unserer Industrie, der zunehmenden Bedeutung von Compliance und dem ständig wachsenden Tempo im operativen Geschäft, müssen diese Strukturen unweigerlich permanent hinterfragt und wenn notwendig auch angepasst werden. Gerade im Krisenfall sind schnelles Handeln und klare Zuständigkeiten der verantwortlichen Organe von zentraler Bedeutung.
«Die organisch gewachsenen Aufsichtsstrukturen und die Governance haben sich über Jahre hinweg durchaus bewährt und mit wenigen Ausnahmen hat dieses System auch gut funktioniert.»
Mit der Assurinvest decken Sie eine grosse Breite von Dienstleistungen von der reinen Beratung bis zur operativen Führung von Pensionskassen und Sammelstiftungen ab. Mit welchen Tätigkeiten erwirtschaften Sie den grössten Geschäftsbeitrag, wo sehen Sie das grösste Wachstum?
Die Pensionskassenverwaltung und -beratung sind die zentralen Dienstleistungen, mit denen Assurinvest seit vielen Jahren erfolgreich tätig ist und sich eine ausgezeichnete Reputation erarbeitet hat. Mit der Vermögensverwaltung für institutionelle Kunden haben wir zudem ein weiteres Standbein mit interessantem Wachstumspotenzial entwickelt. Diese Bereiche bilden das solide wirtschaftliche Fundament unseres Unternehmens. Unsere Kunden schätzen unsere ausgeprägte Problemlösungs-kompetenz sowie die Kontinuität in der Unternehmensführung und der täglichen Beratung. Neue, innovative Dienstleistungen für Pensionskassen haben zum Ziel, unsere Tätigkeit ständig weiter zu optimieren und die Kundenzufriedenheit zu steigern.
Mit dem zunehmenden Anteil von Pensionierten innerhalb der Gesellschaft, verschiebt sich auch das Gleichgewicht zwischen aktiven Versicherten und Rentnern innerhalb der Pensionskassen. Was bedeutet das für die Pensionskassen, zum Beispiel bezüglich ihrer Risikofähigkeit, was müssen sie heute schon vorsehen, um dieser Entwicklung gerecht zu werden?
Der demographische Wandel hat fundamentale Konsequenzen für die Struktur unserer Gesellschaft und den Generationenvertrag sowie für den ungeschriebenen Solidarvertrag zwischen Beitragszahlern und -empfängern. Gemäss Prognosen wird im Jahr 2050 nur noch etwa 50% der Bevölkerung erwerbstätig sein. Die meisten Pensionskassen haben sich auf diese Entwicklung vorbereitet und die versicherungstechnischen Parameter angepasst sowie Reserven geöffnet. In der Zukunft wird die professionelle Verwaltung von Rentnerbeständen enorm an Wichtigkeit gewinnen.
Zwar kommt die lockere Geldpolitik der Notenbanken in den USA und Europa immer mehr unter Druck, es zeichnet sich aber noch keine echte Trendwende in der Tiefzinspolitik ab. Wann erwarten Sie eine Verschärfung der Geldpolitik und steigende Zinsen?
Die Trendwende ist wohl absehbar, zumal die US-Notenbank und andere Zentralbanken gleich mehrere Zinserhöhungen noch in diesem Jahr in Aussicht gestellt und damit das Ende des billigen Geldes eingeläutet haben. In der Konsequenz dürfte auch die Politik des „Quantitative Easing“, wo die Märkte jahrelang mit Liquidität überschwemmt wurden, zu Ende gehen. Das Ausmass der Zinserhöhungen hängt auch entscheidend von der Inflationsentwicklung ab.
«Pensionskassen werden weiterhin mit Forderungen nach mehr Effizienz, Transparenz und Performance konfrontiert sein. Auch Zusammenschlüsse von Einrichtungen sind wahrscheinlich. Im Anlagebereich könnte ein Anstieg der Zinsen für gewisse Entspannung sorgen.»
Ein Preisanstieg ist jetzt schon für Unternehmen wie Konsumenten spürbar und bedeutet für viele Marktteilnehmer eine völlig neue Erfahrung. Auch wenn sich die Schweizerische Nationalbank (SNB) noch gewohnt zurückhaltend gibt, kann sich die Schweiz als exportorientiertes Land und international vernetzte Volkswirtschaft nicht dem Einfluss steigender Preisen auf den Weltmärkten entziehen. Wie in der Zeit der Finanzkrisen und in den Jahren danach wird die SNB wohl ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung des Frankenkurses legen und seiner zu starken Aufwertung entgegenwirken.
Die Digitalisierung hat durch die Pandemie in zahlreichen Bereichen einen signifikanten Schub erhalten (Video-Meetings, Home Office, Distance Learning, Remote Working…). Welche Bedeutung hat die Digitalisierung für Ihr Unternehmen, welche konkreten Projekte stehen an?
Die Digitalisierung nimmt bei Assurinvest schon seit langem einen hohen Stellenwert ein. Die meisten unserer Mitarbeitenden besassen bereits vor der Pandemie einen Homeoffice-Zugang. Entsprechend konnten wir unsere Arbeit auch im Rahmen der COVID-Vorgaben des BAG ohne Einschränkung fortführen.
Zukünftig wird hybrides Arbeiten –also die abwechselnde Tätigkeit im Büro und von zuhause aus – auch in unserem Unternehmen wichtig bleiben. Dies entspricht einem Bedürfnis unserer pendelnden MitarbeiterInnen. Seit jeher legen wir ein hohes Augenmerk auf hohe Verfügbarkeit und Sicherheit unserer IT und verfolgen aufmerksam die aktuellen Digitalisierungstrends. Entscheidendes Kriterium für neue Anwendungen ist aber der Mehrwert für unsere Kunden. Ungeachtet dieser Entwicklung sehen wir aber auch zukünftig die persönliche Begegnung als zentrale Basis unserer auf Vertrauen basierten Kunden- und Geschäftsbeziehungen.
Welche Entwicklungen haben in den kommenden zwei Jahren den grössten Einfluss auf die Pensionskassen?
Es ist eine Summe von bereits angesprochenen Faktoren, welche die Entwicklung der Pensionskassen in kurzer Frist beeinflussen werden: Pensionskassen werden weiterhin mit Forderungen nach mehr Effizienz, Transparenz und Performance konfrontiert sein. Auch Zusammenschlüsse von Einrichtungen sind wahrscheinlich. Im Anlagebereich könnte ein Anstieg der Zinsen für gewisse Entspannung sorgen. Zusätzlich wird sich das Spektrum der von Pensionskassen gemanagten Investments durch neue, alternative Anlageklassen erweitern und ESG-Kriterien werden verstärkt in den Anlageprozess integriert. Schliesslich wird die fortschreitende Digitalisierung die Leistungsfähigkeit der Pensionskassen sukzessive erhöhen.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?
Weltweit wird die Schweiz um ihr 3 Säulen-Vorsorgemodell beneidet. Es bleibt zu hoffen, dass unser System nach einer umfassenden Reform wieder zur alten Stärke zurückfindet. Auch wünsche ich mir für uns als Bürger, unabhängig von der politischen Gesinnung, vor allem faktenbasierte und lösungsorientierte Entscheide der Politik. Die grossen und vielfältigen Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft stehen, rufen klar nach mehr miteinander statt gegeneinander.