Derivate-Markt: Cowboys sorgen für heissen Sommer

Cowboys

Ferienbedingt ist das Anlegerinteresse gegenwärtig gering. Unterdessen polarisiert aggressive Arbitrage im Schweizer Retail-Derivatemarkt zunehmend die Emittenten und sorgt für deutlich erhöhte Spreads – ein Gefahrensignal für Kunden und die Branche gleichermassen. Dabei liegen die Lösungsmöglichkeiten näher als gedacht.

Martin Raab, Derivative Partners Media AG, www.payoff.ch

Die Lust der Investoren, bei neuen Anlage-Themen zuzugreifen, hält sich gegenwärtig in Grenzen. «Viele Investoren sind aufgrund der politischen Entscheidungen in Europa und den USA zur Verschuldung verunsichert – daher auch zurückhaltender mit ihren Investments in Strukturierte Produkte», so Hans-Jörg Pütz, Head of External Sales bei der Bank Julius Bär. Die momentan gehandelten impliziten Volatilitäten und die erwarteten Dividendenrenditen sind noch nicht interessant genug, um in Strukis Neuengagements einzugehen. Viele Anleger hofften offensichtlich auf bessere Zeiten. Zurückhaltung auf Kundenseite ist auch bei Clariden Leu aktuell feststellbar, «dennoch finden Credit-Linked-Produkte und Floored-Floater mit Mindest-Coupon gewissen Anklang», gibt Thomas Schmidlin, Head Sales & Distribution, ein aktuelles Stimmungsbild vom Markt.

Knallharte Cowboys nutzen Zeitlücke
Ein zunehmendes Ärgernis für manchen in der Schweiz tätigen Emittenten ist die gewachsene Präsenz von aggressiven Arbitrageuren. Das sind Profi-Marktteilnehmer, die Bewertungsunterschiede zwischen dem Basiswert und dem entsprechenden Kurs von Warrants, Mini-Futures oder gar Tracker-Zertifikaten binnen Millisekunden gewinnbringend ausnutzen. Verändert sich zum Beispiel aufgrund von marktbewegenden News der SMI oder DAX in wenigen Augenblicken um eine grössere Punktanzahl, müssen alle auf den jeweiligen Basiswert emittierten Derivate sofort mit frischen Kursen aktualisiert werden. Für die Datenübertragung zwischen den Emittenten und der SIX bzw. Scoach Schweiz vergehen oft wichtige Augenblicke. Das wird knallhart von den Arbitrageuren ausgenutzt – oft zum finanziellen Nachteil der Emittenten. «Arbitrage gibt es schon, seit es eine Börse gibt, doch inzwischen nerven die permanenten Abstauber. Das kostet uns Geld und der Privatanleger leidet letztlich ebenfalls durch die weiteren Spreads», heisst es am Markt. Aufgrund des tendenziellen Rückgangs der Retail-Orders nach der Finanzkrise sind die «Trading-Cowboys» inzwischen proportional stärker vertreten. Das macht sich seit geraumer Zeit intensiv bemerkbar.

Arbitrage gibt es schon, seit es eine Börse gibt.

Produktspreads ziehen bis zu 200% an
Eine aktuelle Auswertung von mehr als einem Dutzend Stichproben, bezogen auf SMI, DAX und EuroStoxx50 (1. März bis 20. Juli 2011), basierend auf Daten von Derivative Partners, bestätigen einen Spread-Anstieg. In einigen Fällen hat sich die Differenz zwischen An- und Verkaufspreis bei einzelnen Produkten sogar um bis zu 200% erhöht. Das heisst, Anleger bezahlen aufgrund der ausgeweiteten Spreads stellenweise deutlich mehr als nötig. Speziell Emittenten mit vielen Hebelprodukten sind traditionell für Arbitrage anfällig. Die Ausweitung der Spreads soll als Abwehr gegenüber Arbitrageuren dienen. Die jeweiligen Produkte lohnen sich somit nicht mehr zum Abstauben – die Preise zwischen An- und Vekaufskurs liegen zu weit auseinander. «Es wäre schön, wenn wir diese Bazillen vom Markt wegkriegen könnten», lautet der unmissverständliche Wunsch eines Emittenten.

Trouble Maker, Abstauber…
Massgeblich stammen die Arbitrage-Pros aus Amsterdam und Zug. Speziell Hollands Metropole hat sich zur Hochburg für High Frequency Trader und Market Maker entwickelt. Letztgenannte stellen börsentäglich fortlaufend An- und Verkaufskurse für Exchange Traded Funds (ETFs) und Exchange Traded Commodities (ETCs) auf den Börsen sowie OTC. «Wir stellen für unsere Counterparties immer sehr gute Preise, jeweils um den Fair-Value – auch bei grossen Outflows wie zurzeit», beschreibt Christian Oetterich von FlowTraders, Europas führender Market Maker im ETF-Bereich, die Situation. Als Absicherungsinstrumente für die Market-Making-Tätigkeit dienen «Futures und andere Finanzinstrumente». Mehr als 30 Trader sind für das Market Making von FlowTraders in Amsterdam aktiv. Dazu gehören auch Arbitragegeschäfte, deren Umfang wird aber naturgemäss nicht offengelegt. «Es gibt am Markt immer jemanden, der zu langsam ist», heisst es bei einer anderen Adresse. Nach Informationen von «AmsterdamTrader» erzielte in 2010 ein Profi-Händler aus der Grachtenstadt einen durchschnittlichen Pro-Kopf-Ertrag von EUR 130‘000 pro Jahr. Geld, das einem anderen Marktteilnehmer fehlt. Neben FlowTraders sind besonders die niederländischen Broker Optiver und IMC Securities an der Schweizer Börse aktiv bemerkbar.

…oder eigentlich doch Weisse Ritter?
Auch bei Timber Hill in Zug, der Eigenhandelssparte des US-Finanzgiganten Interactive Brokers, ist eine kleine Gruppe von Profis am börsentäglichen Werk – flankiert von einer hochmodernen Flotte an Computersystemen. Dort sieht man den Pricingwettkampf an der Börse überraschend als «negativ für den Markt». Man hat sogar bei der Börsenaufsicht SEC dafür plädiert, aggressives Pricing am US-Markt durch eine Regeländerung zu verbieten. Unterdessen haben erste Emittenten die Möglichkeit geäussert, die SIX bzw. Scoach solle wie z.B. die NYSE Euronext erlauben, dass der Emittent einige Sekunden vor dem definitiven Trade entscheiden kann, ob er das Geschäft mit dem Counterpart machen möchte oder nicht. Diese sog. «Quote Validation» ist aber ein zweischneidiges Schwert.

«Wenn ein Emittent sich bei jedem Trade die Gegenpartei aussuchen kann, hat das nichts mehr mit Börsenhandel zu tun», heisst es hierzu bei Timber Hill. Ein grosser Emittent ist den cleveren High Frequency Tradern dankbar: «Die haben letztlich dafür gesorgt, dass hier unsere IT-Infrastruktur auf Vordermann gebracht wurde. Diese Trader zeigen sehr schön, bei welchen Produkten man zu schlecht oder zu langsam ist.»

Mancher Emittent steuert die Aktualisierung noch mit antiquierten Excel-Dateien.

Greifbare Lösungsansätze
Bei genauem Hinsehen wird jedoch schnell klar, dass es durchaus Lösungsansätze gibt. So wird offenbar bei manchem Emittenten die Aktualisierung der Produkte noch mit antiquierten Excel-Dateien gesteuert. Dadurch vergeht wertvolle Zeit. Technische Stellschrauben sind zudem «Quote priorisation» und die Verhinderung einer unnötigen «Quote duplication», die oft nicht optimal genutzt werden. Damit gibt der Emittent vor, welche Produkte bei den sekündlichen Updates als Erstes mit frischen Kursen versorgt werden bzw. verhindert, dass eine unveränderte Quote erneut an die Börse geschickt wird. Ferner ist in der Schweiz das Short-Selling von Strukturierten Produkten im Intradaybereich und der Einsatz sogenannter Electronic Eyes mit Wissen und Wollen der Emittenten erlaubt. «Die QPS-Bandbreite zur Börse zu erhöhen, bringt nichts, man muss die Bank-interne IT und seine Trading-Software leistungsfähig halten», lautet das simple Rezept eines anderen Gross-Emittenten.

Auch Scoach verfolgt das Thema
Aufseiten der Derivatbörse Scoach beobachtet man den Markt sehr genau. «Die Idee einer Quote Validation ist nicht neu und wurde auch bereits aktiv mit Schweizer Marktteilnehmern andiskutiert», sagt Christian Reuss, CEO der Scoach Schweiz AG. «Für uns ist jedoch in einem ersten Schritt entscheidend, dass die Gesamtheit des Marktes einen solchen Schritt unterstützen würde», unterstreicht Reuss. Ob protektionistische Massnahmen nicht letztlich dem Gesamtmarkt mehr Schaden als Nutzen bringen, steht freilich auf einem anderen Blatt. Mit Blick auf den Struki-Markt wird das Thema Arbitrage wahrscheinlich auch in den nächsten Monaten noch präsent sein, denn bei High Frequency Tradern gilt seit jeher das Motto: Wir gehen erst dann nach Hause, wenn wir kein Geld mehr verdienen können.

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