Derivatmarkt Schweiz: Hochvolatiler Start in die zweite Halbzeit
Von Martin Raab und Dieter Haas, Derivative Partners AG, www.payoff.ch
Der Brexit und die anschliessenden Marktverwerfungen haben viele Anleger und Investmentmanager zum Warten an der Seitenlinie ermutigt. Konservative Produkte mit tiefen Barrieren stehen mehr denn je hoch im Kurs. Ein aktueller Branchenüberblick zum Börsenhalbjahr.
Es war die wahrscheinlich längste Nacht seit Jahren und hatte doch so gar nichts mit der in der Schlussphase befindlichen Fussball-Europameisterschaft zu tun. Am frühen Morgen des 24. Juni sorgte der Brexit-Schock nicht nur bei den britischen «Dabei-Bleibern» für kreidebleiche Gesichter. Auch viele Marktteilnehmer wurden panisch. Die Achterbahnfahrt an den Börsen und im Devisenmarkt ebbte nach einigen Tagen glücklicherweise ab. Investoren, die schon vorher zögerlich eingestellt waren, bleiben vorerst an der Seitenlinie. Chancenorientierte Anleger liefen sich noch am «Schwarzen Freitag» warm und nahmen selektiv erste Positionen auf. Die börslichen Umsätze bei Strukturierten Produkten, insbesondere Hebelprodukten, zogen deutlich an. Möglicherweise ein Zeichen für wiederentdeckte Handelsfreude. Noch wenige Tage vor dem Brexit beklagten anlässlich des Reuters Global Wealth Management Summit in Zürich die Bereichsvorstände von UBS und Credit Suisse, die seit Monaten andauernde Lethargie der Kunden. «Die Cashlevels sind nach wie vor auf sehr hohen Niveaus, teilweise ähnlich hoch wie im Jahr 2009», konstatierte Jürg Zeltner, Chef von UBS Wealth Management. Aus seiner Sicht «kommt es zu 70% auf die richtige Strategie an, zu 30% auf die richtigen Produkte». Selbst die Ultra-Reichen in Europa und den USA sind aktuell mit Neuengagements im Anlagebereich eher zurückhaltend und etwas ideenlos. Einzig in Asien wird das sprichwörtliche Glas als halb voll statt halb leer angesehen. Iqbal Khan, CEO International Wealth Management bei Credit Suisse (CS), sieht die Anlagewelt insgesamt «derzeit in einen perfekten Sturm», wie er dem Zuhörerkreis sagte. Im Brokerage-Business spürt man nach Angaben von Khan seit Jahresbeginn Eintrübungen.
«Investoren handeln weitaus weniger konstant als im letzten Jahr.»
Als Gegenrezept zur Lethargie möchte Khan «die Zeit, die wir mit dem Kunden verbringen, deutlich erhöhen». Ein intensiverer Kundenkontakt führt zu besserer Bedarfsanalyse und letztlich mehr Absatz. Der Brexit ist ein Steilpass, um mit Kunden ins Gespräch zu kommen.
Credit Suisse ist vielfältig engagiert
Aktiv geht es auch bei den Kollegen vom Cross Asset Derivatives Sales bei der CS zu. Der im Frühling lancierte Credit Suisse Virtual Reality Index hat sich mit einer Outperformance von 6,34% zum S&P 500 als perfekter Showcase für Themeninvestments entpuppt. «Dank dynamischer Anpassung des zugrunde liegenden Index investiert der Kunde stets in die von der Credit Suisse empfohlenen aussichtsreichsten Aktien in diesem Zukunftsbereich», erklärt Stefan Weber, Derivatspezialist bei Credit Suisse. Im Bereich Fixed Income sind vor allem USD Floored Floaters und Credit Linked Notes auf den iTraxx Europe auf Interesse gestossen. Auf der my Solutions-Plattform stechen die gehandelten FX-Volumen hervor – die übrigen Assetklassen sind tendenziell unverändert. Jüngstes Novum sind auf der Produktseite die «BRC Best Picks». In Zusammenarbeit mit dem CS Research werden ab sofort monatlich neue Barrier Reverse Convertibles aufgelegt. Der Selektionsprozess kombiniert dabei Fundamentalfaktoren, technische Indikatoren und Volatilitätskriterien. «Basierend auf dieser Auswahl werden von uns pro Region die Aktienbaskets zusammengestellt, welche für eine gegebene defensive Barriere die höchste Rendite generieren. Erstmals wird so im Schweizer Struki-Markt fundiertes Research in Bezug auf die Emission von Barrier Reverse Convertibles angewandt», unterstreicht Thomas Schmidlin, Managing Director Cross Asset Derivatives Sales, den innovativen Ansatz.
ZKB debütiert mit ARP-Strategien
Auch die Kunden der Zürcher Kantonalbank (ZKB) sind derzeit eher für konservative Lösungen zu begeistern. «Low Barrier Reverse Convertibles sind eine immer geschätzte Alternative, wobei vor allem Worst Of Indizes oder Schweizer Schwergewichte bevorzugt werden. Beliebt sind derzeit auch BRCs auf den ZKB Gold ETF mit physischer Lieferung. Dank solcher Produkte lassen sich Cashbestände sinnvoll bewirtschaften mit dem begrenzten Risiko einer Lieferung des Basiswertes», erklärt Curdin Summermatter, Leiter Verkauf Strukturierte Produkte bei der ZKB. Ganz neu bietet sein Institut massgeschneiderte Lösungen auf Alternative Risikoprämien (ARP) an. ARP sind in Handelsstrategien überführte Muster, die auf den Märkten langfristig erkannt werden können.
«Low Barrier Reverse Convertibles sind eine immer geschätzte Alternative.»
Dank neuer Technologien und sekundenschneller Datenverarbeitung ist es inzwischen möglich, diese Muster schneller und genauer zu identifizieren und in Renditequellen umzuwandeln. «Durch unsere Tracker-Zertifikate auf ARP-Strategien können Anleger vereinfacht ihr Risiko diversifizieren und langfristig stabile Renditen erzielen», erklärt Derivatexperte Summermatter. Die Produkte sind bis auf Weiteres nur OTC-handelbar. Fortlaufend ausgebaut wird des Weiteren die eTradingPro Plattform der ZKB. «Unser Basiswert-Universum an Schweizer Small- und Midcaps wie AMS, Sunrise oder Emmi ist inzwischen einzigartig und differenziert uns stark», so Curdin Summermatter.
Tiefe Strikes bei Vontobel im Fokus
Altbewährtes zählt nach Angaben von Eric Blattmann, Head Public Distribution Switzerland bei der Bank Vontobel, zu den meistgekauften Produkten. «Insbesondere die klassischen Multi-Barrier Reverse Convertibles, aber defensiv ausgestaltet, sind auch derzeit unsere relevanten Umsatztreiber», erklärt Blattmann. Gleichzeitig möchte sein Team die seit Kurzem wiederbelebten Low Strike Reverse Convertibles verstärkt ins Bewusstsein der eher konservativen Anleger bringen (siehe auch Kurzinterview). «Die Kunden, die das Produktkonzept verstanden haben, sind begeistert. Speziell Anleger, die im aktuellen Umfeld eher von Risk-On auf Risk-Off schalten möchten, finden bei den Reverse Convertibles mit tiefem Bezugspreis von zum Beispiel 70% eine perfekte Möglichkeit, sehr defensiv investiert zu sein», erklärt Vertriebsleiter Eric Blattmann im Gespräch. Kleinere Tickets, aber dafür stetige Inflows sind bei Z44AAV, dem Vontobel Research Basket, und VZOIC, dem Tracker auf den Oil Strategy Index, feststellbar. Erste Umsätze macht man unterdessen auch mit den Vontobel-Faktorzertifikaten an der Borsa Italiana (payoff berichtete). Das Offering in Italien wird von der Frankfurter Niederlassung der Bank Vontobel Europe aus gesteuert.
Deutsche Bank rüstet bei SwissDOTS massiv auf
Eher zurückhaltend sind derzeit auch die Kunden der Deutschen Bank, zu viele News dominieren die Anlageentscheide. «Aktuell reduzieren unsere Anleger ihre Risiken so gut wie möglich. Im strategischen Bereich sehen wir unverändert Nachfrage nach marktneutralen Produkten und Strategien. Im taktischen Aktienbereich sind momentan Produkte mit niedrigen Barrieren und kurzer Laufzeit bevorzugt – allerdings verharrt die Nachfrage auf eher tieferen Niveaus, auch bei den Hebelprodukten», konkretisiert Irene Brunner, Head Passive Products bei der Deutschen Bank in Zürich. Im Ausblick auf die nächsten Wochen kündigt Brunner an, das Warrant-Angebot auf SwissDOTS auszuweiten. «Auf SwissDOTS können Swissquote-Kunden und PostFinance-Kunden die grösste Palette an Hebelprodukten in der Schweiz handeln. Entsprechend verbreitern wir die Basiswertauswahl dort laufend: Aktien, Indizes und auch Rohölfutures werden aufgenommen», erklärt Irene Brunner. Emittiert wird dabei auf täglicher Basis.
«Wir spüren ganz klar Rückenwind durch die jüngsten Plattform-Partner.»
«Unsere Kunden schätzen die langen Handelszeiten, die grosse Produktpalette und die sehr tiefen Kosten pro Auftrag sehr.» Nebst Hebelprodukten bietet die Deutsche Bank neu im Zwei-Wochen-Rhythmus auch Renditeoptimierungsprodukte mit einwöchiger Zeichnungsfrist an. Die Produktstruktur wird flexibel je Marktlage und Nachfrage angepasst.
Sprunghaftes Orderverhalten bei UBS
Eine gewisse Wechselhaftigkeit sieht Robin Lemann, Head Public Distribution Switzerland bei UBS, derzeit bei vielen Anlegern: «Momentan handeln Investoren weitaus weniger konstant als noch im letzten Jahr. In einer Woche türmen sich die Orders, dann herrscht eher wieder Zurückhaltung.» Als Evergreen dienen Renditeoptimierungsprodukte, neue Lust sieht man bei UBS in Produkten auf den Ölpreis – u.a. bei WTILIU, dem Gewinnerprodukt in der Kategorie Rohstoffe bei den Swiss Derivative Awards 2016. Die übrigen Angebote werden nach Auskunft zurückhaltend nachgefragt: «Sporadisch sehen wir trotzdem gute Zuflüsse in Themenideen wie beispielsweise den UBS OE PERLES auf den Solactive Global Family Owned Companies Index (FAMEUU). Unsere Themenindizes und die dazugehörigen Tracker-Zertifikate wurden bis Anfang des Jahres sehr gut angenommen, doch derzeit können auch wir uns den tendenziell schwächeren Börsenumsätzen nicht entziehen», erläutert Derivatexperte Lemann. Unterdessen plant das UBS-Team einen grossen Event für November. Die bekannte Veranstaltung «Trader’s Night» soll deutlich expandiert werden. «Wir sind bestrebt, dieses Format noch bekannter zu machen. Details hierzu folgen in Kürze», so Lemann.
Plattform-Partner sichern Umsätze bei Leonteq
Als börsenkotiertes Unternehmen mit erfolgsverwöhntem Chartbild taucht Leonteq derzeit fast im Wochentakt in der Finanzpresse mit Schlagzeilen über die jüngsten Aktienkurskapriolen auf. Die Marktkapitalisierung beträgt derzeit rund CHF 800 Mio., schon fast Schnäppchenpreise für ein funktionierendes Fintech-Unternehmen. Dabei läuft der öffentliche Vertrieb dank der beiden neuen Plattform-Partner Cornér Banca und Deutsche Bank derzeit überaus gut. Gemäss Marktgerüchten steht sogar das nächste grosse Onboarding kurz vor dem Abschluss. Grosse Aufmerksamkeit hat unterdessen der Reverse Convertible CBBKSP der Cornér Bank auf sich gezogen: 4,60% jährlicher Coupon und Strike bei 75% (statt häufig 100%) verfehlten ihre betörende Wirkung bei Vermögensverwaltern und Direktentscheidern nicht. «Wir spüren ganz klar Rückenwind durch die jüngsten Plattform-Partner. Unseren Kunden können wir damit noch bessere Möglichkeiten bei der Produktgestaltung und letztlich auch bei den Konditionen bieten», so Manuel Dürr, Head Public Distribution bei Leonteq. Insbesondere die «Low Strike Reverse Convertibles» finden aktuell viele Fans. «Wir haben seit März 2015 diese Variante quasi wiederbelebt. Das Risikoverhalten dieser Produkte ist gerade auch im Sekundärmarkt oft vorteilhaft und spricht eher defensive Kunden an», erklärt Dürr. «Geplanterweise wird unsere Emissionstätigkeit bei Low Strike-Produkten in den nächsten Monaten weiter verstärkt», gibt sein Kollege Simon Przibylla, Co-Head Public Distribution, einen Ausblick.
Trader im Vordergrund bei BNP Paribas
Laut Florian Stasch, Head of Sales and Marketing Exchange Traded Solutions Switzerland, «waren es in den letzten Monaten vor allem Aktivitäten bei Tradern», die für eine Marktbelebung in seinem Hause gesorgt haben. «Hoch im Kurs standen dabei Knock-Out Warrants und Mini-Futures mit hohen Hebeln auf die Basiswerte DAX, SMI, Rohöl der Sorte Brent und Gold», erklärt Stasch. Um dieser Kundschaft ein möglichst umfassendes Angebot zu bieten, lanciert BNP Paribas derzeit neue Knock-Out Warrants auf Indizes, Rohstoffe und Aktien. Die Produkte ermöglichen höhere Hebel als Mini-Futures. Das Produktangebot richtet sich besonders an aktive Trader, die mit Hebeln von 30, 60 oder 80 arbeiten. Unterdessen ist das Frontoffice-Team bei BNP Paribas in Zürich verkleinert, Ludwig Lewicki hat das Unternehmen verlassen.
Commerzbank baut ausserbörsliches Angebot aus
In den vergangenen Wochen fehlten laut Andreas Stocker, Derivatives & ETFs Public Distribution, die Impulse an der Börse. «Die Volatilität war tief und die Aktienmärkte tendierten seitwärts. Die Anleger waren somit zurückhaltend im Handel von Zertifikaten. Gut liefen zuletzt zum Beispiel die SIX-kotierten 5x Long Faktor-Zertifikate auf UBS, wo sich Anleger die Volatilität durch die Nennwertrückzahlung von 0.75 Fr. pro Titel zunutze machten und auf steigende Kurse setzen», so Stocker.
«Das gesamte Swiss DOTS-Sortiment steht seit Kurzem auch Kunden von PostFinance zur Verfügung.»
Des Weiteren waren auch 4x Long-Papiere auf Rohöl der Sorte Brent gefragt. Auf der ausserbörslichen Handelsplattform Swiss DOTS standen Warrants und Knock-out Warrants auf Dow Jones und Nasdaq sowie Mini-Futures auf den SMI besonders in der Gunst der Anleger. Um die Attraktivität zu erhöhen, lancierte die Commerzbank jüngst Mini-Futures auf Rohstoffe auf Swiss DOTS – insgesamt umfasst das Commerzbank-Angebot auf Swiss DOTS mittlerweile rund 20‘000 Produkte. «Das gesamte Swiss DOTS-Sortiment steht seit Kurzem auch Kunden von PostFinance zur Verfügung», ergänzt Andreas Stocker. Insgesamt erwartet die Commerzbank weiteres Wachstum beim Swiss DOTS-Umsatz, obgleich der Umsatz in börsenkotierten Produkten nach wie vor höher ist. Ferner bietet die Commerzbank via Swissquote auch den OTC-Handel ihrer EUWAX-kotierten Zertifikate an.
Tiefe Barrieren vs. lukrative Trades
Mit Blick auf den gesamten Schweizer Markt bestätigt sich einerseits der Trend zu konservativeren Strukturen, parallel gehen die wenigen Anleger mit Risikobudget jetzt aber auch bewusst heisse Trades ein. «Der allgemeine Trend geht bisher zu tiefen Ausübungspreisen, tiefen Barrieren und sogar weg von kontinuierlicher Barrierüberwachung hin zu Schlusstagsbeobachtung. Gleichzeit haben die wenigen risikobewussten Asset-Manager mit Gold und Goldminen-Aktien über alle Strukturen hinweg sehr beachtliche Renditen erzielt» weiss Giuliano Glocker, CEO von CAT Financial Products. Sein Unternehmen ist einer der grössten unabhängigen Broker für Strukturierte Produkte der Schweiz. Als lukrative Anlagetrends hat er kürzlich einige spannende Produkte im Bondbereich lanciert: «Vor allem die Kreditindizes iTraxx ermöglichten hier spannende Auszahlungsprofile, auch im Schweizer Franken. Im Bereich Partizipation sind Bonus-Zertifikate und aktiv-verwaltete Zertifikate, die AMCs, sehr beliebt» konkretisiert Glocker. Doch auch im volatilen Brokerage-Geschäft hofft das Team von CAT Financial auf freundlichere Märkte im zweiten Semester 2016. «Wo die Reise hingeht ist sehr schwer abzuschätzen, die meisten unserer Kunden sind aber eher positiv eingestellt» so Giuliano Glocker. Für die zweite Halbzeit sind Anleger wie Assetmanager gut beraten sich marktneutrale Strategien und das Thema mit der dynamischen Asset-Allokation genauer anzusehen – tiefere Barrieren sind im siebten Jahr des Bullenmarkts sowieso obligatorisch. Damit sind die Voraussetzungen gut, um ein Eigengoal zu vermeiden.