Deutsche Justiz eröffnet Verfahren gegen Schweizer Spion
Frankfurt – Wegen des «Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit» hat die deutsche Justiz ein Verfahren gegen einen Schweizer eröffnet. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main liess eine Anklage des Generalbundesanwalts gegen den 54-Jährigen zu, wie es am Dienstag mitteilte.
Die deutsche Bundesanwaltschaft werfe dem Mann vor, von Juli 2011 bis Februar 2015 im Auftrag des Schweizer Nachrichtendienstes (NDB) die Finanzverwaltung des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen (NRW) ausgespäht zu haben, heisst es in der Mitteilung.
Der Angeklagte habe die persönlichen Daten von drei nordrhein-westfälischen Steuerfahndern beschafft, welche mit dem Ankauf sogenannter Steuer-CDs befasst waren. Konkret ging es um Angaben zu deren Geburtsdaten, Privatadressen und telefonischen Erreichbarkeit.
Strafrechtliche Verfolgung ermöglicht
Diese Informationen beschaffte sich der Angeklagte über den Inhaber einer in Hessen ansässigen Sicherheitsfirma. Weil er sie danach an den Nachrichtendienst weitergegeben habe, sei die strafrechtliche Verfolgung der Steuerfahnder möglich geworden. Die CDs enthielten Daten mutmasslicher deutscher Steuerhinterzieher.
Darüber hinaus soll der Angeklagte eine Quelle in der nordrhein-westfälischen Finanzverwaltung platziert haben. Den Auftrag dazu habe er ebenfalls von seinen «nachrichtendienstlichen Auftraggebern» erhalten, hiess es in der Mitte August veröffentlichten Anklageschrift.
Der Angeklagte habe für die einzelnen Aufträge jeweils Geld erhalten. Zudem sei er über einen Zeitraum von bis zu einem halben Jahr monatlich mit pauschal 3000 Euro entlohnt worden.
Hintergrund Steuerstreit
Der mutmassliche Spion war im April in Frankfurt festgenommen worden und sitzt seither in Untersuchungshaft. Die Anwälte des Angeklagten streiten einen grossen Teil der Vorwürfe ab. Die Hauptverhandlung beginnt am Mittwoch, 18. Oktober, wie aus der Mitteilung hervorgeht. Das Gericht hat weitere Termine bis Ende Dezember vorgesehen.
Hintergrund der Affäre ist der Steuerstreit zwischen der Schweiz und Deutschland. In den vergangenen Jahren hatten mehrere deutsche Bundesländer immer wieder Datenträger – sogenannte Steuer-CDs – mit Datensätzen mutmasslicher deutscher Steuerhinterzieher gekauft. Die Informationen waren Schweizer Banken entwendet worden.
Auch das Bundesland Nordrhein-Westfalen hatte seit 2010 solche Datenträger gekauft. Die Datensätze hatten dem Fiskus nach Angaben des damaligen NRW-Finanzministers Norbert Walter-Borjans bis zu sieben Milliarden Euro zusätzlich durch Nachforderungen und Selbstanzeigen eingebracht.
Bundesanwaltschaft ermittelt
Tatsächlich ermittelt die Schweizer Bundesanwaltschaft seit einigen Jahren gegen mehrere nordrhein-westfälische Steuerfahnder wegen des Vorwurfs der nachrichtendienstlichen Wirtschaftsspionage und der Verletzung des Bankgeheimnisses. Gegen drei deutsche Steuerfahnder gibt es Haftbefehle.
Die Behörde wehrt sich jedoch gegen den Vorwurf, in diesem Verfahren Informationen verwendet zu haben, die der mutmassliche Schweizer Spion für den NDB gesammelt hatte. Die Bundesanwaltschaft habe ihre Ermittlungen ohne Beteiligung des Nachrichtendienstes aufgenommen, befand Mitte Mai auch die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft. (awp/mc/ps)