Karlsruhe – Das Bundesverfassungsgericht widersetzt sich dem Druck der Politik und der Finanzmärkte: Die Karlsruher Richter wollen den Euro-Rettungsschirm ESM und den Fiskalpakt gründlich prüfen und erst am 12. September ihre Entscheidung über die Eilanträge dagegen verkünden. Das teilte das oberste deutsche Gericht am Montag mit. Damit wird sich der ursprünglich zum 1. Juli geplante Start des dauerhaften Euro-Rettungsfonds um mindestens zehn Wochen verzögern.
Die Richter nehmen sich für das Eilverfahren deutlich mehr Zeit als die üblichen drei bis vier Wochen. «Es wird eine eingehendere summarische Rechtsprüfung erfolgen, für die der Senat etwas mehr Zeit benötigt», sagte Gerichtssprecherin Judith Blohm. «Eine blosse Folgenabwägung würde den weitreichenden und möglicherweise irreversiblen Konsequenzen einer gerichtlichen Entscheidung nicht gerecht – und auch nicht der herausragenden politischen Bedeutung des Verfahrensgegenstands.»
Wegweisender Entscheid
Gerichtspräsident Andreas Vosskuhle hatte dieses Vorgehen bereits in der mündlichen Verhandlung angedeutet. Die Entscheidung, ob mit den Verträgen die Budgethoheit des Bundestags verletzt wird, gilt als wegweisend für die weitere Eurorettung. Sollte Karlsruhe die deutsche Beteiligung stoppen, kann der dauerhafte Rettungsfonds nicht starten, weil nicht genügend Stammkapital zusammenkommt. Deutschland kommt allein für 190 Milliarden Euro auf, das sind 27,1 Prozent der insgesamt vorgesehenen 700 Milliarden.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte an die Richter appelliert, die Entscheidung möglichst schnell zu treffen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte das Vorgehen des Bundesverfassungsgerichts am Montag nicht kommentieren. «Die Bundesregierung beurteilt das gar nicht, sie nimmt das mit allem gebotenen Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht zur Kenntnis», sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann erklärte: «Es ist richtig, dass das Gericht bei einer so elementaren Frage Sorgfalt vor Eile gehen lässt. Am 12. September werden wir Klarheit darüber haben, wo die Grenzen der Eurorettung liegen.»
Kläger von links bis rechts
Mehrere Gruppen von Klägern haben Verfassungsbeschwerden eingelegt gegen die am 29. Juni von Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittel-Mehrheit verabschiedeten Umsetzungsgesetze zum ESM und Fiskalpakt. Darunter sind die Linksfraktion im Bundestag, der CSU-Politiker Peter Gauweiler und der Verein «Mehr Demokratie», dessen Beschwerde sich rund 12 000 Bürger angeschlossen haben. An diesem Donnerstag hat die schwarz-gelbe Koalition eine weitere Bewährungsprobe zu bestehen: Der Bundestag entscheidet über die Kredite zur Rekapitalisierung maroder spanischer Banken. Merkel und Schäuble baten die CDU am Montag in einer Vorstandssitzung um breiten Rückhalt für die Hilfen – auch wenn dafür eine einfache Mehrheit ausreicht. Beim Beschluss über den ESM hatte die Koalition kürzlich eine eigene Kanzlermehrheit im Bundestag verfehlt.
Merkel versicherte, dass Staaten der Eurozone vorerst weiterhin für Hilfen an ihre Banken aus dem Euro-Rettungsfonds haften. «Die Rekapitalisierungshilfe für die spanischen Banken wird abgewickelt nach den Richtlinien des EFSF so, wie der Bundestag diese beschlossen und genehmigt hat», sagte Seibert. «Das heisst, der Staat stellt den Antrag, der Staat nimmt das Geld entgegen und der Staat haftet.» Dies gelte auch für den dauerhaften Rettungsschirm ESM. Die Bundesregierung reagierte damit auf Äusserungen des künftigen ESM-Chefs Klaus Regling. Der hatte in der «Welt am Sonntag» mit Blick auf die Vereinbarungen des jüngsten EU-Gipfels erklärt, wenn Hilfen aus dem dauerhaften Rettungsfonds ESM künftig wie vorgesehen direkt an Banken gegeben würden, dann sei «das Land raus aus der Haftung».
«Zukunftsaufgabe»
Merkel betonte daraufhin am Sonntagabend im ZDF, die Frage der Haftung stelle sich überhaupt erst, wenn es eine Bankenaufsicht europäischer Art gebe. «Dazu haben wir uns überhaupt abschliessend noch nicht geäussert», sagte die Kanzlerin. «Das ist Zukunftsaufgabe.» Die EU-Kommission will allerdings bereits im September einen Gesetzesvorschlag für eine europäische Bankenaufsicht machen. Bis Jahresende soll es eine Einigung der EU-Staaten und des EU-Parlaments geben. Diese Superbehörde ist Voraussetzung dafür, dass der ESM direkte Finanzspritzen an marode Banken geben kann.
SPD-Chef Sigmar Gabriel drohte ein Ende der Zusammenarbeit mit der Bundesregierung in der Europa-Politik an. «Wenn Angela Merkel die Staatenrettung in eine Spekulantenrettung der Banker verwandeln will, dann muss sie das mit ihrer eigenen Mehrheit und gegen den Widerstand der SPD durchsetzen», sagte er der «Rheinischen Post» (Montag). (awp/mc/upd/ps)