Didier Borowski, Chefvolkswirt bei Amundi

Didier Borowski, Chefvolkswirt bei Amundi

Didier Borowski, Chefvolkswirt bei Amundi

Von Martin Raab, Derivative Partners AG, www.payoff.ch

payoff im Gespräch mit Didier Borowski, Chefvolkswirt bei Amundi, über Frankreich, die Eurozone, Amerika, das Pulver der EZB, verschlafene Impulse und die Notwendigkeit von mehr Koordination.

payoff: Herr Borowski, Europa ist in bewegten Zeiten. Welches Zeugnis stellen Sie der französischen Regierung in Sachen Wirtschaft und Finanzen aus?

Didier Borowski: Die Notwendigkeit von strukturellen Reformen wurde erkannt, aber sie wurden viel zu spät und im Schneckentempo umgesetzt. Aber man hat wenigstens erkannt, was es noch an Hausaufgaben zu tun gibt. Die Unternehmenssteuer-Reform wurde angepackt und der Arbeitsmarkt wird schrittweise reformiert.

Rechnen Sie mit Wachstum in der französischen Volkswirtschaft in diesem Jahr?

Absolut. Wir gehen von einem Zuwachs von 1,2% aus. Das ist allerdings zu wenig – Frankreich braucht mehr Wachstum. Stütze des Aufschwungs sind vor allem die Binnennachfrage, der private Konsum und Eigenheiminvestitionen.

Welche Signale empfangen Sie insgesamt von der Eurozone, und wird diese in diesem Jahr wachsen?

Wir befinden uns in einer frühen Phase eines zyklischen Wiederaufschwungs, wobei die finanzielle Situation seit Jahresbeginn jedoch angespannt ist. Ohne weitere EZB-Massnahmen wäre der Kreditkanal ausgetrocknet. Dank der Ausweitung des Quantitative-Easing-Programms durch die EZB rechnen wir mit einem Wachstum von rund 1,5% in 2016 bis 2017. Dieses Wachstum wird aber nicht ausreichen, um Unternehmensinvestitionen anzukurbeln. Dazu wäre eine sehr viel aktivere und synchronisierte Fiskalpolitik der Euro-Staaten erforderlich.

Hat denn die EZB nicht ihr Pulver weitgehend bereits verschossen?

Überhaupt nicht! Durch die Erhöhung des Anleihekaufprogramms werden 240 Milliarden Euro mehr als bisher geplant (2,2 % des GDP) in den Markt gespült. Der Gesamtbetrag, den die EZB für die Assetkäufe verwendet hat, liegt weit unter den Summen, die andere Notenbanken für Quantitative-Easing-Programme verwendet haben.

«Anleger bekommen bei europäischen Aktien einen Mehrwert gegenüber US-Aktien.»

Am aggressivsten ist bisher die Bank of Japan mit Assetankäufen in Höhe von 65% des GDP vorgegangen. Mit deutlichem Abstand kommt die EZB, die Wertschriften im Volumen von lediglich 7,3% des GDPs der Eurozone angekauft hat. Da ist also noch viel Luft nach oben.

Wie beurteilen Sie die jüngsten EZB-Massnahmen?

Am 10. März hat die EZB viele Marktteilnehmer mit ihren drastischen Ankündigungen überrascht. Erstmals wurde der Leitzins auf 0% gesenkt. Zudem weitete die EZB das Anleihekaufprogramm von 60 auf 80 Milliarden Euro pro Monat aus und senkte den Einlagenzins, zu dem Banken überschüssiges Geld über Nacht bei der Zentralbank parken können, um 0,1% auf -0,4%. Die Wirkung dieser Massnahmen auf das GDP sollte aber nicht überschätzt werden. Sie sind nur ein Teil der Lösung.

Welche Teile einer Lösung meinen Sie?

Die Umsetzung des Juncker-Plans war mit einem Investitionsvolumen von 30 Milliarden Euro (rund ein Zehntel des ursprünglich geplanten Betrags) bisher enttäuschend. Allerdings sind inzwischen weitere Projekte in der Pipeline. Der Juncker-Plan muss allerdings koordinierter umgesetzt werden. Das Problem liegt aber nicht nur bei den Bankkrediten, sondern vor allem bei der Nachfrage nach Krediten. Ein stärkeres kollektives Handeln der Politik ist daher dringend erforderlich.

Blickt man über den Atlantik, scheint der fulminante Wirtschaftsaufschwung deutlich ausgebremst. Was ist Ihre Meinung zur volkswirtschaftlichen Situation in den USA?

Wir sehen ganz klar eine Gewinnrezession bei nahezu allen US-Unternehmen. Die euphorischen Erwartungen wurden in den wenigsten Fällen erreicht, jetzt schrauben die Unternehmen ihre Gewinnerwartungen nach unten. Das sorgt für Druck auf die Aktienkurse, gleichzeitig bleiben die Bewertungen relativ gesehen zu Europa immer noch hoch. Anleger bekommen bei europäischen Aktien einen Mehrwert gegenüber US-Aktien.

Werden wir von der FED eine Zinserhöhung sehen?

Wir erwarten keine Anhebung im März und allenfalls im Juni eine Anhebung des US-Leitzinses um 25 Basispunkte, sofern der Finanzstress bis dahin abgenommen hat und der Konsum wie erwartet stabil bleibt.

Wie spielt der derzeitige Ölpreis in die globale Wirtschaftslage?

Da die Entwicklung des Ölangebots kaum vorherzusagen ist, bleibt auch die Entwicklung des Ölpreises mit vielen Fragezeichen behaftet. Jedoch ist der tiefe Ölpreis für die paneuropäische Wirtschaft und Öl importierende Länder zunächst einmal nützlich. Doch ist auch klar, dass der Ölpreis nicht ewig so niedrig bleiben wird. Der Druck, der seit Jahresbeginn auf Ölexporteuren und dem Energiesektor lastete, konnte durch den Rebound auf 40 USD gemildert werden. Mit Blick auf die nächsten zwölf Monate rechnen wir mit einem Preis von rund 45 USD. Bis wir wieder Notierungen von 60 USD sehen, wird es wohl aber noch einige Jahre dauern.

Welche Erwartungen haben Sie an den europäischen Aktienmarkt?

Da habe ich eine klare Meinung: Wir erwarten keine Rekorde und keine Rückkehr zu den Höchstständen des letzten Jahres, aber auch nicht die grosse Depression. In Sachen Bewertungen ist Europa aktuell im Vorteil gegenüber den Aktien aus den USA. Die EZB-Politik schafft zudem positive Impulse für risikoreiche Aktiven wie Aktien und Unternehmensanleihen. Aber man sollte auch im Hinterkopf behalten, dass das GDP-Wachstum wahrscheinlich auch nächstes Jahr nicht anziehen wird.

Könnte ein Brexit Zündstoff für einen Kursrutsch europäischer Aktien sein?

Wir erwarten keinen Crash, aber infolge des unsicheren Abstimmungsausgangs höhere Volatilitäten. Im Szenario, das wir für am wahrscheinlichsten halten, gehen wir von einem Verbleib Grossbritanniens in der EU aus. Zudem glauben wir, dass die Briten bei einem Austritt mehr verlieren würden als die EU. Das spiegelt sich auch in höheren Risikoprämien auf UK-Assets wider. Andererseits könnte aber ein Brexit auch den Zusammenhalt der EU schwächen und für Nervosität an den Märkten sorgen.

Herzlichen Dank für das Interview.

Der Gesprächspartner:
Didier Borowski stiess im Jahr 2010 zum französischen Asset-Manager Amundi als Head of Fixed Income and FX Strategy und wurde Head of Macroeconomics. Vor seiner Tätigkeit bei Amundi war er Senior Economist and Strategist für Société Générale Asset Management (2000-2009). Seine Karriere begann Didier Borowski als Senior Economist im französischen Ministerium für Wirtschaft und Finanzen, wo er an diversen volkswirtschaftlichen Analysen und globalem Benchmarking federführend arbeitete. Des Weiteren arbeitete Borowski als Sachverständiger für die Europäische Kommission sowie zwei Jahre als Berater für das Wirtschaftsministerium der Zentralafrikanischen Republik. Didier Borowski hat einen Abschluss in internationaler Volkswirtschaft sowie einen Doktortitel in Wirtschaft der Universität Paris Nord, wo er als Gastprofessor von 2007 bis 2011 tätig war. Darüber hinaus ist Didier Borowski Autor diverser Artikel zu Wechselkursmechanismen und Abhängigkeiten von Wechselkursen im volkswirtschaftlichen Kontext.

 

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