Von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen (Foto: Raiffeisen)
St. Gallen – Rückblickend kann das Jahr 2015 für Aktienanleger als durchzogen bezeichnet werden. Zwar hat der eine oder andere Index über das Jahr hinweg ganz gut rentiert, aber immer wieder kam es zu massiven Rückschlägen und zwar vornehmlich in der zweiten Jahreshälfte. In Franken rechnenden Anlegern machte zudem die Aufwertung der Schweizer Währung nach dem Paukenschlag vom 15. Januar, als die SNB Knall auf Fall die Wechselkursanbindung an den Euro beerdigte, zu schaffen.
Im Sommer ging den Aktienmärkten aber generell die Luft aus. Das scheint nur irgendwie keiner so wahrzunehmen, weil es dazwischen immer wieder zu mehrwöchigen Höhenflügen kam. Dabei war das absehbar. Nachzulesen auch in den monatlich erscheinenden Ausgaben der Raiffeisen Anlagepolitik, in deren Sommerausgabe wir die Meinung vertraten, Aktien unterzugewichten und vor sich anbahnenden Risiken in der zweiten Jahreshälfte warnten. Das soll keine Genugtuung sein, sondern lediglich eine Überleitung zum eigentlichen Thema. Warum sind eigentlich immer alle Analysten so positiv?
Bloss nichts riskieren
Die nahe liegende Begründung ist, dass man damit meist im Strom schwimmt. Wenn zu Jahresbeginn die Aktienhäuser nach ihren Prognosen für die Aktienmärkte befragt werden, klingt das fast immer gleich. Vielleicht hat der eine oder andere Analyst bevorzugte Märkte oder Regionen, aber am Ende sind alle einhellig positiv. Natürlich wird auch auf Risiken hingewiesen, die Potenziale werden aber meist höher gewichtet. Sinkende Aktienkurse prognostizieren Analysten höchstens alle zehn Jahre und meist erst dann, wenn die Märkte schon erheblich korrigiert haben. Danach befragt, wieso man die Korrektur nicht vorhergesehen habe, hört man stets unisono, niemand hätte das ja erwartet – alle hätten ein Plus von 10 oder mehr Prozent prognostiziert.
In der Welt der Analysten scheint man selbst Recht zu haben, wenn man falsch lag, Hauptsache nicht daneben. Dabei waren die Signale im Sommer 2015 sehr eindeutig, dass sich etwas zusammenbraut absehbar. Nur möchten das viele Finanzanalysten sich und anderen auch heute noch nicht eingestehen.
Betriebsunfälle
Bis in den Juni hinein galoppierten die Aktienmärkte unbeirrt in die Höhe. Dies beschwingt durch die gute US-Konjunktur, die zum Glück nicht für gut genug befunden wurde, dass schon gleich Zinserhöhungen absehbar wären, Mario Draghis expansive Geldpolitik und sich aufhellende Wachstumsperspektiven in Europa. Ausgeblendet wurde, dass Griechenland auf den Bankrott zusteuerte, in China die Aktienmärkte crashten und der Arbeitsmarkt in Amerika kleinere Schwächen verzeichnen könnte. Dieser Cocktail führte schliesslich zur harten Landung der Aktienmärkte im Sommer, wenn man die Schweiz einmal ausklammert, welche schon Anfang Jahr mit dem Währungsschock den grössten Taucher erlebt hatte.
Im Oktober war es dann eher Chinas Konjunktur und auf- und abkeimende Zinssorgen in den USA, die erneut einen Schwächeanfall auslösten, im Dezember schliesslich die EZB, die Fed und der Ölpreis. Trotzdem wird jeder Rückschlag an den Märkten als Betriebsunfall abgetan und einhellig als Kaufgelegenheit interpretiert. Etwas anderes als kleinere Korrekturen sind für die ewigen Bullen undenkbar. Die Geschichte gibt ihnen ja auch Recht. Langfristig verdient man in der Tat mit Aktien am meisten Geld. Nur: Wenn man in einem ungünstigen Zeitpunkt einsteigt, kann das sehr lange dauern.
Erwartungen sind übertrieben
Es gab mit Sicherheit schon bessere Einstiegszeitpunkte als Anfang 2016, so viel steht fest. Nicht nur, weil Aktien schon recht hoch bewertet sind und deshalb teuer. Es dämmert den Märkten seit Yellens Zinsschrittchen, dass sich zumindest eine Spur geldpolitischer Normalisierung abzeichnet. Und so werden die potenziellen weiteren Zinsschritte in den USA bald schon wieder für Unruhe sorgen und zwar nicht nur dort. Die erste Phase einer Zinswende ist dem Finanzmarkt noch nie gut bekommen. Die eben vollzogene Wende ist zwar nur eine kleine, dafür aber eine historische, zumindest wird sie als solche hochgespielt. Dazu gesellen sich 2016 Konjunktursorgen. Einerseits kommt der tiefe Erdölpreis einem gewaltigen Konjunkturprogramm gleich. Andererseits frisst er die üppigen Überschüsse der Förderländer weg. Die BRIC-Staaten entfalten daher weniger Wachstumsimpulse auf die Weltwirtschaft als die meisten einkalkulierten, und auch Europa zeigt sich sehr uneinheitlich was den Konjunkturverlauf betrifft.
Fette Fragezeichen stehen noch immer hinter Chinas Wachstumsmodell. In den USA hingegen stellt sich die Frage, ob die Wirtschaft nochmal einen Zacken zulegen kann oder der Zyklus dort nicht schon so weit fortgeschritten ist, dass eher eine Verlangsamung droht als eine Beschleunigung. Noch völlig ausser Betracht sind bei dieser Skepsis die geopolitischen Unwägbarkeiten, die 2016 kaum aus der Welt geschafft werden dürften. Man darf eher froh sein, wenn sich die Lage nicht noch weiter zuspitzt. Von daher sollten Anleger von Aktien 2016 keine allzu grossen Erwartungen hegen. Denn von den genannten Punkten ist nur wenig in den heutigen Kursen eingepreist. Oder besser gesagt nur das happy end. Aber eben: immer positiv und das auch 2016! (Raiffeisen/mc/ps)