Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Jubliläum naht, kein Grund zur Freude

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Jubliläum naht, kein Grund zur Freude
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Bald feiern wir das zehnjährige Jubiläum des grössten Finanzmarktcrashs aller Zeiten. Am 15. September 2008 gingen Lehman Brothers in die Insolvenz. Dass der amerikanische Immobilienmarkt korrekturanfällig war, hatte sich seinerzeit schon viel früher abgezeichnet. Spätestens mit der Beinahpleite der traditionsreichen Investmentbank Bear Stearns, die nur durch deren Übernahme durch den Konkurrenten JPMorgan Chase & Co am 30. Mai 2008 abgewendet werden konnte, war jedermann klar, dass die Party am Immobilienmarkt zu Ende geht.

Das hielt aber einige Institute nicht davon ab, weiterhin auf steigende Preise zu setzen und waghalsige Produkte aufzusetzen, um von dieser erhofften Aufwärtsbewegung überdurchschnittlich zu profitieren. Zumindest sagte man das den Kunden, denen man diese Produkte verkaufte. Die Banken selbst stiessen solche Papiere hingegen im grossen Stil ab. Sie wurden unter ihnen weitergereicht wie heisse Kartoffeln und erwiesen sich schliesslich als toxische Wertpapiere, sprich Papiere ohne Wert.

Kann so etwas wieder passieren, muss man sich fragen? Glaubt man der Politik, so ist dies nahezu ausgeschlossen. Die hat marode, leider aber auch sogenannt systemrelevante Finanzinstitute mit Steuergeldern gerettet. Dies aber nur unter strengen Auflagen, die der Stabilisierung des Finanzsystems galten. Die Regulierung des Bankensektors war deshalb über lange Zeit Thema Nummer 1 der weltweiten Politik und es sah in der Tat eine Weile so aus, als würde dem Finanzsektor ein so enges Korsett verpasst, dass Kollateralschäden infolge falscher Anreize in Zukunft vermieden werden könnten. Leider trifft dies jedoch nicht zu. In Europa und in vielen anderen Teilen der Welt darben noch immer halblebendige Institute, welche nur dank manipulierter Zinssätze überleben konnten und können.

In den USA lockerte Präsident Trump eben die Bankenregulierung, in dem er Teile des DoddFrank-Acts, den sein Amtsvorgänger eingeführt hatte, um in Zukunft auszuschliessen, dass Banken mit Steuergeldern gerettet werden müssen, teilweise ausser Kraft setzte. Unter anderem wurde die Schwelle, ab der Banken im Pleitefall als Bedrohung des Finanzsystems angesehen werden von 50 auf 250 Milliarden Dollar angehoben, also verfünffacht. Und etliche Institute müssen sich auch nicht mehr dem jährlichen Stresstest der Notenbank unterziehen. Über dessen Nutzen kann man geteilter Meinung sein, in Europa beispielsweise gleicht er schon fast einer Farce. Zwar werden regelmässig Institute beanstandet, aber meistens zu spät und das war’s dann auch schon bis zum nächsten Stresstest.

Vorbildliche Schweiz
Das ist in der Schweiz nicht der Fall. Dort ist man der Linie treu geblieben, die systemrelevanten Institute enger an die Kandare zu nehmen und es wurde ein Regelwerk erarbeitet, das im Vergleich zu anderen Ländern vor allem Punkto Eigenmittelanforderungen heraussticht. Das stösst bei den meisten Banken natürlich nicht auf Gegenliebe. Denen liegt vor allem die Proportionalität der Regulierung am Herzen. Und man kann natürlich auch überregulieren und damit die Wettbewerbsfähigkeit eines Wirtschaftssektors nachhaltig schwächen. In Grossbritannien z.B. fürchtet man im Zuge des Brexit schon um den Finanzplatz London und neigt dazu, die Regulierung nicht zu straff zu gestalten wie ursprünglich vorgesehen. Auch der Finanzplatz Zürich ist nicht mehr das, was er mal war, was in Bankenkreisen gern auf die zu straffen Zügel der Aufseher geschoben wird. Das mag so sein, aber dabei geht gern vergessen, dass auch hierzulande ein Institut mit Steuergeldern gerettet werden musste.

Übervorsichtige Schweiz
Ich vertrete schon seit langem, wiederholt auch in dieser Kolumne den Standpunkt, dass eine straffere Regulierung nicht zwingend ein Wettbewerbsnachteil sein muss. Vor allem dann nicht, wenn sie das, was die Schweiz eigentlich ausmacht, stärkt, nämlich die Stabilität. Stabilität des politischen Systems, der Staatsfinanzen aber auch des Bankensektors sind wertvolle Standortfaktoren. Man kann es aber auch übertreiben. Und das ist aktuell mal wieder der Fall. Nachdem die Schweizerische Nationalbank jahrelang vor den Risiken einer platzenden Eigenheimblase warnte, hat sie in ihrem jüngsten „Financial Stability Report“ den Fokus verlegt auf den Markt für Wohnrenditeliegenschaften. Und wie immer ist die Argumentation dieselbe. Wenn die Zinsen steigen – im Report ist von „interest rate shocks“ die Rede – dann geht dem Markt rasch das Licht aus.

Dazu lässt sich nur eins sagen. Ein Zinsschock ist so unwahrscheinlich, dass man sich eigentlich gar nicht erst damit beschäftigen muss. Und wenn doch, dann bitte differenziert. Rasch ansteigende Zinsen gibt es nur in einem Wirtschaftsboom, der massiv überhitzt und dem die Inflation davon galoppiert. Ist das aktuell und in naher Zukunft ein realistisches Szenario? Ich überlasse ihnen die Antwort und verabschiede mich nun für zwei Wochen Urlaub. Schönen Urlaub!

Martin Neff, Chefökonom

Raiffeisen

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