Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Nach der Geld- die Ölschwemme

Martin Neff

von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Dass die Welt seit sechs Jahren sozusagen im Geld schwimmt, ist mittlerweile allen bekannt. Dass wir jetzt aber auch noch eine Ölschwemme haben, ist eher neu. Seit seinem Höchststand im Juli 2014, als pro Barrel noch über 100 US-Dollar gezahlt wurden, ist der Ölpreis um sage und schreibe 40% abgeschmiert.

Einmal mehr bestätigt sich, dass sich der Preis für das schwarze Gold nur bedingt an die Regeln des Marktes hält. Nachdem sich die Organisation erdölfördernder Länder (OPEC) anlässlich des Gipfels in Wien nicht darüber einig wurde, die Fördermenge zu reduzieren, korrigierte der Ölpreis prompt weiter. Dass Öl heute so viel weniger kostet als im Juli, ist zweifellos nicht allein auf eine Verschiebung von Angebot und Nachfrage zurückzuführen. Es steht ausser Frage, dass der Ölpreis auch stark politisch beeinflusst wird.

Angebotserweiterung  
Die USA sind unverändert das Land mit dem mit Abstand höchsten Verbrauch an Erdöl. Allerdings hat sich seit dem Aufkommen von Fracking auch deren Rolle als Erdölförderer geändert. Die Internationale Energieagentur schätzt, dass die USA in den nächsten Jahren zum grössten Erdölproduzenten der Welt avancieren und Saudiarabien sowie Russland hinter sich lassen werden. Das weiss die Welt aber schon länger. Es erklärt den jüngsten Preiszerfall nicht. Schon lange verfügen die USA mit fast 18 Millionen Barrel Kapazität pro Tag über den grössten Raffinerieausstoss. China ist hier mit fast 13 Millionen Barrel die Nummer zwei und verfügt über die doppelte Raffineriekapazität als die Nummer drei Russland. Der Markt wird eigentlich von den USA dominiert und deren starke Marktstellung nimmt noch weiter zu. Wer weiss, wie wichtig Erdöl für die USA ist und welchen Stellenwert die US-Bürger dem Benzinpreis beimessen, muss zwangsläufig zum Schluss kommen, dass der Ölpreis auch sehr stark politisch beeinflusst ist, namentlich durch die Vereinigten Staaten von Amerika. Die OPEC hat ihre Marktmacht auf Grund der immer wieder gegenläufigen Eigeninteressen der Mitgliedstaaten längst schon preisgegeben und präsentierte sich beim jüngsten OPEC Treffen in Wien einmal mehr als uneiniger Haufen ohne eigentliche Handlungsmaxime.

Paradoxon Ölpreis  
Früher war ein hoher Ölpreis Gift für die Konjunktur in der Welt und vor allem für die USA. Heute sieht das anders aus. Als Fördernation haben die USA ein veritables Interesse daran, dass der Ölpreis nicht wegbricht. Als weltweit grösster Verbraucher ist dagegen ein günstiger Ölpreis sehr willkommen, da er die Konjunktur in der energiesensitiven US-Wirtschaft zu stimulieren vermag. Diese Konstellation ist Inbegriff einer höchst intransparenten Komplexität. Beim jetzigen Preisniveau ist das Fracking jedenfalls alles andere als profitabel. Man geht davon aus, dass sich die Förderung flächendeckend nur lohnt, wenn der Preis um die 80 Dollar pro Barrel liegt. Davon ist er heute ein gehöriges Stück weit weggerückt. Das ist zwar bitter für die Förderer, die US-Industrie hingegen freut es.

Politischer Preis?
Neben der speziellen Konstellation in den USA mischt auch das aktuelle Weltgeschehen den Ölpreis auf. Wladimir Putin vermutete unlängst eine „Verschwörung“ von Saudis und Amerikanern, nur um Russland via tieferen Ölpreis zu schwächen. In Teheran sieht man das ähnlich. Auch die dortigen Machthaber vermuten ein Komplott von Amerika und Saudiarabien hinter dem Preiszerfall. Venezuela hat ebenso kein Interesse an einem tiefen Ölpreis wie Ecuador, da beide Länder ihren Haushalt und ihre Importe ausschliesslich durch den Ölexport finanzieren. Dafür müssten sie aber mehr als 100 US-Dollar pro Barrel verlangen können. Ganz so abwegig sind daher Spekulationen über die Rollen der Saudis und Amerikaner nicht. Denn unter einem tiefen Preis für das schwarze Gold leiden vor allem Staaten, denen die USA politisch misstrauen oder solche, die die Marktmacht der Saudis innerhalb der OPEC reduzieren wollen. Dafür scheinen die Araber durchaus bereit, den Preis des Öls als Waffe einzusetzen, was den Amerikaner wiederum sehr entgegen kommt. Neben der Schwächung Russlands möchten beide wohl auch erreichen, dass die IS möglichst wenig Geld mit den im Krieg erbeuteten Ölquellen verdient. Der Preis für Öl ist eher Resultat politischer Überlegungen als das Resultat des Zusammenspiels von Angebot und Nachfrage.  (Raiffeisen/mc/ps)

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