Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Stress vorprogrammiert

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Stress vorprogrammiert

Von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Vorgestern berichteten die Medien, dass die Münchner Hypothekenbank ihre Eigenkapitalsituation massiv verbessert hat. Denn mit einer harten Kernkapitalquote von 6.3% hätten die Münchner die Anforderungen der EZB von 8% nicht erfüllt. Wie schon etliche andere Institute, trieb die genossenschaftlich organisierte und hauptsächlich in der Immobilienfinanzierung tätige Bank schon jetzt zusätzliches Eigenkapital auf, um sich den Stress im Oktober/November, wenn die Ergebnisse der Bilanzprüfungen durch die EZB abgeschlossen sein sollen, zu ersparen. An den Finanzmärkten ging dieses Ereignis völlig spurlos vorbei. Ganz anders vor einer Woche. Da hatten Gerüchte um die Zahlungsfähigkeit der portugiesischen Grossbank Banco Espirito Santo die Börsenkurse purzeln lassen. Gemäss Medienberichten soll die Bank auf einem Schuldenberg von über sieben Milliarden Euro sitzen, den sie nicht bedienen kann. Sofort kursierten Ängste, dass Portugal diese Bank eventuell retten müsste.

Damit hat sich die Europäische Schuldenkrise sehr dezent zurückgemeldet, auch wenn sich herausstellt, dass die Banco Espirito – wie die portugiesische Zentralbank zur Beruhigung beteuert – ausreichend kapitalisiert sei. Denn beunruhigender als die Kapitalnot der Bank ist die Wertung der Märkte, dass der portugiesische Staat noch genug Reserven habe, um die Bank im Notfall aufzufangen und man daher wieder zur Tagesordnung übergehen kann. Die Lehren aus der Finanzkrise scheinen noch immer nicht gezogen worden zu sein. Wollte man nicht genau das verhindern?

Werden die Steuerzahler wieder zur Kasse gebeten?
Wie gross der Groll seinerzeit war, als der Kollaps des Finanzsystems nur mittels Einschiessen von Steuergeldern vermieden werden konnte, ist vielen noch in Erinnerung. Es war daher eine unmissverständliche Vorgabe der globalen Politik, nie wieder eine Bank auf Kosten der Steuerzahler retten zu müssen. Und jetzt hoffen, um nicht zu sagen setzen die Märkte bereits wieder darauf, dass notfalls halt wieder die Staaten in die Presche springen, falls es eng wird. Und es könnte durchaus eng werden, vielleicht noch enger als Ende 2011, als den europäischen Grossbanken über 100 Milliarden Euro fehlten, um die notwendige Kernkapitalquote von 8% zu erreichen. Dabei wurde doch seitdem viel unternommen, aber offenbar immer noch zu wenig, um die latente Gefahr, die von den grossen Banken ausgeht, abzuwenden. Bekanntlich hatte die EZB den Geschäftsbanken für drei Jahre eine enorme Liquiditätsspritze verordnet und gleichzeitig die Kriterien für die Sicherheiten, welche die Banken bei der EZB hinterlegen müssen, gelockert, was nach Schätzungen von Marktteilnehmern gut 100 Milliarden Euro freisetzte. Und trotz all dem scheint sich nicht wirklich viel getan zu haben und so wirft der Stresstest erste Schatten voraus.

Stress sieht anders aus
Stress erzeugt der angelaufene Test momentan vor allem bei den Banken, auch wegen der negativen Erfahrungen mit dem ersten Stresstest im Jahre 2011. In Deutschland und auch anderswo ist die Bankenlobby höchst aktiv. Das Reputationsrisiko für die Banken sei nicht zu unterschätzen, heisst es von dort. Schliesslich hatte der seinerzeitige Test einen enormen Kapitalbedarf ans Tageslicht befördert und schliesslich dazu geführt, dass etliche Banken, obwohl sie den Test bestanden hatten, kurz darauf dennoch staatlich aufgefangen werden mussten und andere sich quasi über Nacht in einer Nacht- und Nebelaktion Milliarden beschaffen mussten. Jetzt will man es besser machen. Nach der umfangreichen Bilanzuntersuchung (Balance Sheet Assessment) wird es zur Prüfung der Vermögenswerte kommen (Asset Quality Review) und zu guter Letzt ein Stresstest durchgeführt. Doch ist das tatsächlich Stress, was die EZB da durchsimuliert? Die Ant-wort lautet nein, denn Stress sieht anders aus. Beispielsweise unterstellt die EZB einen Einbruch der Immobilienpreise um rund 20%, allerdings nicht über alle Länder gleich. In Spanien etwa sind es «lediglich» 9% in Portugal 11%. Frankreich oder England müssen dafür Einbrüche von über 20% verkraften. Die SNB simuliert im Stresstest einen Zinsanstieg um 200 Basispunkte. Gemessen am heutigen Niveau, wäre das fast eine Verfünffachung der langfristigen Zinssätze. Im europäischen Stressszenario steigen die Kurzfristzinsen in vier Quartalen um 115 Basispunkte, die Langfristsätze um 150 Basispunkte. In den USA wird der Stress über ein Rezessionsszenario simuliert, in welchem die Arbeitslosigkeit förmlich explodiert. In der Eurozone geschieht dies über einen deutlich längeren Zeitraum und der unterstellte prozentuale Anstieg ist tiefer als der in den USA unterstellte.

Das grosse Dilemma
Sollte einerseits (wieder) das Gefühl aufkommen, dass der Bilanz- und Stresstest zu moderat durchgespielt wurde, wird das der Glaubwürdigkeit der europäischen Bankenaufsicht und der EZB ernsthaft schaden. Zweifel, ob die Behörden tatsächlich die vielzitierte Finanzmarksicherheit gewährleisten könne, würden für erhöhte Volatilität sorgen und das kann nicht in deren Sinne sein. Auf der anderen Seite drohen auch Finanzmarktturbulenzen, wenn ein knallhart durchgerechneter Stress den Kapitalbedarf in unerwartete Höhen treibt. Daher wäre jetzt dringend etwas mehr Transparenz angezeigt. Es ist schon schwer genug, zu vergleichen, welche Szenarien und Kriterien ganz genau zur Anwendung gelangen, weshalb auch ein Streit zwischen EZB und der Präsidentin der deutschen Finanzaufsicht über die richtige Methodik der Analyse entfacht wurde. Und es droht erst richtig Ungemach, wenn im September die Bilanzdaten mit den Stressszenarien durchgespielt werden und sich die Banken bis dahin für den Ernstfall nicht schon ausreichend mit Kapital ausstatten konnten. Dann wird es eng. Nicht nur für einige der 120 wichtigsten Banken in der Eurozone sondern auch für den einen oder anderen Staat. Denn das to big to fail Problem ist in Europa noch lange nicht vom Tisch, obwohl bis heute nirgendwo sonst in der Welt mehr Geld für die Rettung des Finanzsektors eingeschossen wurde. Je nach Land betragen die Bilanzsummen der unter die EZB Aufsicht fallenden Grossbanken über 100% des nationalen Bruttoinlandproduktes. In Spanien oder Frankreich sind es über 300%. Richtig Stress dürfte daher erst nach und nicht während des Tests aufkommen. Es sei denn die EZB ringt sich dazu durch, konkrete Antworten darauf zu geben, was passiert, wenn das notwendige Kapital nicht aufgetrieben werden kann. Viel Zeit bleibt nicht mehr, das Konzept zu Ende zu denken. (Raiffeisen/mc/ps)

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