Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Von Mythos und Wirklichkeit

Martin Neff

von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Als ich in den frühen Neunzigerjahren von der Bau- und Immobilienbranche zu einer Grossbank wechselte, war das wie in einem anderen Film für jemanden, der in eher bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen ist. Ich war in einer Branche angekommen, die im wahrsten Sinne aus dem Vollen schöpfen konnte. Und dies trotz des sich abzeichnenden Immobiliencrashs in der Schweiz, der den Bankenplatz insgesamt etwa 65 Milliarden Franken kosten sollte und die ganze Volkswirtschaft mit in den Abgrund zog. Allein die Ausstattung der Büros und Sitzungszimmer war eine Klasse für sich. Ganz zu schweigen von den tollen Seminaren in den besten Hotels des Landes bzw. im hauseigenen Luxusressort oder von den Konferenzen in allen Landesteilen, die nicht nur den Geist anregten, sondern Platz boten für Sightseeing und Gaumenfreuden.

Spricht man heute mit ehemaligen Kollegen über die damalige Zeit, klingt gehörig Nostalgie mit. Das, darüber sind sich alle fast ein wenig verklärt einig, waren noch die goldenen Zeiten des Swiss Banking. Der Immobiliencrash mag zwar schmerzhaft gewesen sein, er hatte aber auch zu einer Konzentration der Mächte geführt. Aus vier wurden zwei Grossbanken. Die Schweizerische Volksbank wurde von der Schweizerischen Kreditanstalt übernommen und die Schweizerische Bankgesellschaft fusionierte mit dem Schweizerischen Bankverein. Das war für die einen oder anderen schmerzhaft, es erfüllte die neu entstandenen Häuser aber bald mit Stolz. Endlich war man wirklich wer auf der Landkarte des Bankwesens. Jetzt musste man nur noch das Investment Banking weiter ausrollen und schon bald würde man in der Liga der ganz Grossen mitspielen. Konnten die Perspektiven besser sein?

Fast alles verspielt
Heute wissen wir, dass dieser „Grössenwahn“ sehr bald ein Ende finden sollte. Doch vorerst hielt die Partystimmung an und die Exzesse nahmen zu. Die exorbitante Saläre und Boni beschränkten sich nicht mehr nur auf das Investmentbanking, sondern schwappten auch auf andere Einheiten über. Und bald verdienten alle „unverschämt“, vom Portier über den Chauffeur bis zum Generaldirektor. Keine Branche bezahlte so viel wie das Banking damals und hatte dazu noch ein so gutes Image. Doch wie so oft, beginnt der Fall mit dem Hochmut. Denn viele Erfolge, welche die damalige Bankergeneration für sich beanspruchte, waren nicht deren Verdienst und schon gar nicht nachhaltig, wie wir heute wissen. Dennoch wurde man damals nicht müde, die Welt laufend neu zu erfinden. Heere von Leuten beschäftigten sich mit den Bedürfnissen der Kunden, ohne dass sie diese jemals zu Gesicht bekommen hätten oder auch nur im Entferntesten kannten. Wenn damals davon die Rede war, wie die Bedürfnisse der Kunden am besten befriedigt werden könnten, dachte man eher an das Portemonnaie der Kunden und wie man dieses möglichst ausräumen kann – share of wallet auf neudeutsch. Zudem wurde mit Slogans und Kampagnen um sich geschmissen, die vor Superlativen nur so strotzten. Weltklasse, Kundenähe, Servicequalität und andere Worthülsen wurden vor das Logo gespannt, suggerierten aber nur Illusionen, wie sich am Ende herausstellte. Das konnte man sich aber dennoch leisten, denn das Geld war träge, vor allem auch das schwarze, und die Kunden trotz der teils bescheidenen Leistung erstaunlich treu. Selbst Dotcom steckte man weg, inklusive fehlgeschlagene Übernahmen oder Expansionsübungen in Geschäftsbereiche, die nicht zwingend dem Kerngeschäft zuzurechnen waren. Noch wäre Zeit gewesen, sich für härtere Zeiten zu wappnen. Doch wieso auch? Das Leben hatte es offenbar gut mit der Branche gemeint, wozu sich also anstrengen?

Schuss nicht gehört
Das ging so gut bis zum wohl allerletzten Showdown anlässlich der Lehman Pleite. Danach war es nichts mehr mit schneller Erholung, so wie früher. Im Gegenteil, es kam nun Schlag auf Schlag. Too big to fail war über Nacht ein Begriff, den jeder Wähler verstand. Dass die Helden der Finanzwelt am Rettungstropf des Staates hingen, zerlegte ihren Mythos und ihr Image erlitt Schiffbruch. Die Aufsicht nahm die Grossbanken enger an die Kandare und die Eigenmittelvorschriften wurden angepasst. Das wäre vielleicht noch einigermassen verkraftbar gewesen, wenn den Staaten vor lauter Banken- und Eurokrise nicht das Geld ausgegangen wäre. Die Jagd auf Steuersünder begann und die Schweiz musste in deren Sog letztlich das Bank(kunden)geheimnis preisgeben. Dieses war ein namhafter, wahrscheinlich sogar DER Pfeiler der Prosperität der Branche gewesen und nach dessen Fall konnte die Branche die Löcher nicht mehr stopfen, die sich da aufgetan hatten. Man hatte schlichtweg den Schuss nicht gehört und geriet so ins Hintertreffen. Seitdem geht es vor allem mit den Grossbanken stetig bergab. Und das Ende scheint noch lange nicht in Sicht, wenn man den Aktiennotierungen glaubt. Ein einfacher Vergleich ganz weniger Zahlen legt diesen Schluss nahe. Seit dem Immobilienboom in den USA 2007 sind die Aktienkurse von UBS oder CS um 80 bzw. 85% geschmolzen. Die Wertschöpfung der Branche sank um 34%, die Zahl der Beschäftigten um 15%.

Tun statt lassen, handeln statt hadern
Seit Lehman sind fast nur noch die Kosten im Visier der Branche. Markante Steigerungen der Wertschöpfung sind in immer weitere Ferne gerückt. Es fehlt schlichtweg an Ideen. Und dann ist da noch die Technologie, welche die Transparenz über Bankleistungen stark erhöht und so die Wertschöpfungskette der Finanzdienstleister aufgebrochen hat. Die Folge: man hinkt heute wieder weit hinter der amerikanischen Konkurrenz her, die noch immer als Benchmark empfunden wird. Die komplexen Bankdienste erweisen sich als substituierbar oder können durch andere Anbieter genau so professionell und erst noch günstiger angeboten werden. Schon längst wäre es angezeigt, den Gürtel enger zu schnallen. Doch weil dies unsäglich zaghaft angepackt wird, wird auch ein Turnaround letztlich scheitern. Schon mit dem Abbau von Personal tut man sich in der Branche schwer, noch schwerer aber mit einer markanten Reduktion der Topleute und deren Gehälter. Dabei wäre das ein Weg aus der Krise, anstatt die Illusion weiter zu pflegen, dass man in (näherer) Zukunft dank diverser Hauruckübungen oder weil die Märkte einem wieder besser gesonnen sind wieder zu alter Stärke zurückfinden könne. Hoffnung und Improvisation sind nicht genug, um einen Strukturschock zu überwinden. Nach zehn Jahren sollte das eigentlich jedem Vertreter der Branche klar sein. Der Regress auf die sogenannt bewährten Rezepte ist überholt, denn sie haben sich in Tat und Wahrheit gar nie richtig bewährt. Nur wusste man das nie so genau, denn der Erfolg gab einem schliesslich Recht. Und so gehören heute genau die, welche stets von Wandel sprachen und der Notwendigkeit, sich dem zu stellen, zu denen, die der Wandel längst überholt hat. Die Disruption begann schon, bevor der Begriff in der Branche zum täglichen Vokabular gehörte. Wie wahr der SKA-Slogan der frühen Neunzigerjahre doch war: Taten statt Worte. (Raiffeisen/mc/ps)

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