Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Von Visionären und Technikern

Martin Neff

von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen. (Foto: Raiffeisen)

Wer weiss, vielleicht sind Kohl und Mitterrand ja seinerzeit zum Schluss gekommen, dass nur mit dem Werkzeug einer Gemeinschaftswährung die weitere Integration Europas vorangetrieben werden könne. Sozusagen durch die Hintertüre sollten die letzten nationalen und nichteuropäischen Gedanken verdrängt werden. Die Vision Europa musste sich gut verkaufen. Zunächst gab Ihnen der Erfolg ja auch Recht, denn der Euro spielte eine ganz gute Rolle – am Anfang. Aber anstatt die tieferen Zinsen zur Konsolidierung der Staatshaushalte zu nutzen, lebten weite Teile Europas weiter ungeniert auf Pump. Heute wissen wir: nicht überall wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, vor allem wenn er durch eine unrealistische Vision nur vage beschrieben ist. Die politische Union mittels Präjudiz einer gemeinsamen Währung zu beschleunigen, war Utopie. Heute droht der Euro Europa eher zu spalten als zu vereinen.   

Aber es gibt sie doch noch, die Euroturbos und Gläubigen an die Alternativlosigkeit. So auch anlässlich des Europa Forums, das am Montag in Luzern stattfand und interessante Einblicke gab, wie schlecht es um Europa steht. Und das, obwohl es alternativlos ist, zumindest in den Augen der Visionäre. Vielleicht geht es Europa ja gerade deshalb so schlecht, weil es als alternativlos zitiert wird, zumindest von der Politik. Luc Frieden, von 1998 bis 2009 Justiz- und Budgetminister und von 2009 bis 2013 Finanzminister in der Regierung Juncker in Luxemburg und u.a. zuständig für die Einführung des Euro, vertrat dies unmissverständlich. Es gibt für ihn ähnlich wie für Merkel oder Hollande nur die Vorwärtsstrategie. Zwar ohne Plan und jegliche Verbindlichkeit, aber rückwärts heisst gegen die europäische Vision zu sein.

Auf der Intensivstation
Dass der Euro nun bei 1.10 zum Franken notiert, attestiert ihm nicht etwa neue Stärke. Eher dürfte die Dollarschwäche im Zuge des zögerlichen Nichtstuns der amerikanischen Notenbank dem Euro wieder etwas Rückenwind verliehen haben. Die Fundamente des Euro sind nach wie vor schwach und im Grunde kann er nur überleben, weil ihm die EZB auf der Notfallstation ständig künstlichen Sauerstoff und alles Mögliche sonst noch zuführt. Längst schon ist die EZB ihrem Mandat untreu und zum Handlanger der Euroimprovisation geworden. Sie sendet reihenweise die falschen Signale, namentlich dass keine Eile besteht, die öffentlichen Haushalte in Ordnung zu bringen und Reformen einzuleiten oder dass die Maastrichter Verträge genauso Makulatur sind wie die Nichtbeistandsklausel. Welches Regelwerk gilt eigentlich für die Zukunft des Euro? Diese Frage, so gewann man den Eindruck, wenn man Luc Frieden lauschte, ist der Politik viel zu technisch und daher eine Frage für Ökonomen. Was aber, wenn die zum Schluss kommen, dass ein technischer Konstruktionsfehler vorliegt? Müsste man dann nicht möglichst rasch den fehlerhaften Setup beheben und somit alles auf die Karte der politischen Union setzen? Ja, nur jeder Politiker weiss im Grunde, dass das nicht minder schief gehen wird, wie die Währungsunion, die leider in der jetzigen Form zum Scheitern verurteilt ist oder weiter von der Improvisation lebt.

Nicht Vision sondern unmögliche Mission
Apropos politische Union. Nationale Durchgriffsrechte für einen europäischen Finanzminister, eine gemeinsame europäische Aussenpolitik oder gar die Wahl eines mit anständig Macht (und nicht nur Ansehen) auszustattenden europäischen Präsidenten oder Kanzlers. Wie viel weiter muss sich Europa eigentlich noch auseinanderleben, dass auch der Politik klar wird, dass diese Vision heute keine Option mehr ist und alles andere Improvisation auf Kosten künftiger Generationen? Die Finanzmärkte trauten der Vision schon länger nicht mehr so richtig über den Weg. Zwei Eurokrisen konnte die EZB bis jetzt ausbügeln. Sie musste aber immer mehr nachlegen und hat mittlerweile auch Glaubwürdigkeit an den Finanzmärkten eingebüsst. Damit steht sie zwar nicht allein, die Geldpolitik wird global zunehmend als Risikofaktor wahrgenommen. Mit der Strategie, den Euro um jeden Preis zu retten, stemmt sie aber eine Last, an der sie eher zerbrechen könnte, als sich Gedanken darüber zu machen, ob es nicht doch mehrere Währungsräume im vereinten Europa braucht. Das wäre nicht europafeindlich, sondern freundlich und ehrlich dazu. (Raiffeisen/mc/ps)

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