Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Währungsschock 2.0
Von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen. (Foto: Raiffeisen)
St. Gallen – Es ist keine zwei Wochen her, dass ich mit einem Firmenkundenberater über die Frage diskutierte, ob die Frankenuntergrenze fallen könnte. Er hätte einen Kunden, der mit einem Eurokurs von 1.10 an die Schmerzgrenze geriete und alles darunter sei «tödlich“. Ich war mir sicher und schloss solches 100%ig sicher aus, weil dies bis zuletzt auch die Schweizerische Nationalbank tat, die stets betonte, die 1.20 um alles in der Welt zu verteidigen. Zum Glück haben die meisten mittelständischen Unternehmen in der Schweiz keine Terminals, die ihnen die Echtzeitnotierungen unserer Währung vor Augen gespielt hätten. Der Schock sass schon tief genug, mit einem Franken, der am Ende dieses denkwürdigen Donnerstags knapp um die Parität notierte. Und leider überzeugen weder Zeitpunkt noch die Art der Kommunikation.
SNB hat Reaktion unterschätzt…
Natürlich hat das, was die EZB jetzt plant, den Franken nochmals hochgehievt und die Verteidigung erschwert. Und die Bilanz unserer Nationalbank war schon riesig und in der Öffentlichkeit stand die SNB deswegen immer mehr in der Kritik. Dass sie aber den Franken Knall auf Fall frei liess, der darauf wie eine Rakete abging, ist nicht verständlich, denn es hätte Alternativen gegeben. Zu aller erst viel früher schon aussteigen oder warten, langsam aussteigen oder eine Bandbreite festlegen, ohne diese konkret in Zahlen zu fassen. Offensichtlich befürchtete die SNB aber, dass die Verteidigung der Frankenobergrenze derart teurer würde, dass sie das Bilanzrisiko höher gewichtete als einen Schock für Exportindustrie und Gastgewerbe.
Damit hat die SNB nun genau ausgelöst, was sie im September noch um jeden Preis zu verhindern versprach, eine schockhafte Aufwertung des Frankens. Mit einer so heftigen Reaktion der Devisen- und Finanzmärkte hat die SNB sicherlich nicht gerechnet, dessen bin ich mir sicher, und wir können nur hoffen, dass Herr Draghi kommenden Donnerstag die Markterwartungen nicht noch überschiesst. Dann könnte unsere Währung in alptraumhafte Sphären aufsteigen. 85 Rappen für einen Euro waren ja am Donnerstag schon mal kurz gezahlt worden. Mit der Parität zum Euro ist unsere Währung schon massiv überbewertet und definitiv zu stark für die Exporteure. Darauf hätte sich unsere Exportwirtschaft auch in drei Jahren nicht einstellen können. Sie hatte gerade mal genug Zeit, die 1.20 einigermassen zu verdauen.
…und bleibt unter Zugzwang
Was sich nach dem SNB-Entscheid in kurzer Zeit am Devisenmarkt entlud, zeigt eindrücklich, wie stark der Damm der Wechselkursgrenze überhaupt war. Es zeigt auch, dass man zwischendurch mal Druck hätte ablassen müssen. Es wird nach dem Dammbruch schwierig sein, die Flut aufzuhalten und es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie früher oder später so gewaltig wird, dass der SNB doch keine andere Wahl bleibt, als wieder zu intervenieren. Vielleicht schon kommenden Donnerstag nach Draghis QE-Ankündigung. Immerhin wird ein Kurs um die Parität leichter zu verteidigen sein als die 1.20. Oder wird die SNB sogar zusehen, wenn der Eurokurs unter 90 Rappen rutscht? Egal was die SNB nun tut, sie bleibt weiterhin im Rampenlicht, von dem sie sich so gern verabschiedet hätte.
Parität nicht weniger
Wie es jetzt mit unserer Wirtschaft weitergeht, hängt stark davon ab, wo sich die Märkte in den kommenden Tagen einpendeln, vor allem unsere Währung. Alles unter Parität zum Euro, das lässt sich wahrscheinlich schon fast so pauschal sagen, wäre Gift für unsere Wirtschaft in zweierlei Hinsicht. Kurzfristig könnte das Wachstum ins Stocken geraten und mittelfristig besteht die Gefahr, dass noch mehr Wertschöpfung international ausgelagert wird. Das wird dann auch am Arbeitsmarkt Spuren hinterlassen. Daher wird diese Woche eine schicksalsreiche für die Schweiz. Wenn die Finanzmärkte in den Euro noch mehr Misstrauen einpreisen, dann könnte es sehr schwer werden, hierzulande den resultierenden Wechselkursschock in nützlicher Frist wegzustecken. Die Volatilität an den Märkten wird daher hoch bleiben und die Nerven der Anleger eine weitere Woche beanspruchen. (Raiffeisen/mc/ps)