Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)
St. Gallen – Und noch immer dominiert die Geldpolitik die Märkte. Nachdem die EZB letzte Woche begonnen hat, im grossen Stil die Kapitalmärkte zu fluten und die Fed gleichzeitig immer weniger Zweifel daran lässt, dass die geldpolitische Wende unmittelbar bevorsteht, sind sich die Marktteilnehmer uneinig darüber, wie sie die auf beiden Seiten des Atlantiks asynchronen Politiken der Geldhüter deuten sollen.
In Europa ist die Euphorie ob der neuerlichen geldpolitischen Lockerung vorerst noch gross. Die Konjunktur ist da schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr Treiber der Märkte. Die europäischen Aktienmärkte sind schon vor dem Quantitative Easing der EZB förmlich davon galoppiert, während sich die Anleger in Amerika eher zurück halten. Die Sorge vor der geldpolitischen Wende scheint dort umso grösser zu werden, je näher diese rückt.
Jeder geldpolitische Kurswechsel hat in der Vergangenheit bisher für Verunsicherung an der Börse gesorgt, aber meist nur vorübergehend, sind doch steigende Zinsen stets auch ein Zeichen einer rund laufenden Konjunktur, was sich positiv in den Ertragserwartungen der Unternehmen niederschlägt. Von daher kann man sich eigentlich nur wünschen, dass in den USA endlich wieder ein Stückchen Normalität an die Märkte zurückkehrt. Eine Normalität, bei der sich die Märkte an guten Konjunkturdaten und aufhellenden Gewinnerwartungen orientieren und nicht an geldpolitischen Zaubereien. Die Chancen dafür scheinen gut zu stehen, denn die amerikanische Volkswirtschaft strotzt wieder förmlich vor Kraft, der Arbeitsmarkt sendet durchweg positive Zeichen und die Kauflaune der Konsumenten ist wieder intakt. Wenn da nur nicht die EZB einen Strich durch diese Rechnung macht. Denn des Euros Schwäche wird mehr und mehr zum Problem für die US-Konjunktur.
Zwar leben die USA nicht vom Export, die Binnenkonjunktur ist der Haupttreiber der Entwicklung, aber die Dollarstärke ist trotzdem ein Problem für das Wachstum, was die Fed in ein gewisses Dilemma versetzt. Letzte Woche reagierten die US-Märkte mit einem Schwächeanfall auf Signale, dass die Fed im Juni die Zinsen anheben könnte. Das ist ein deutliches Zeichen, dass die Finanzmarktakteure selbst in den USA, wo die Konjunktur ansprechend unterwegs ist, lieber auf geldpolitische Schützenhilfe hoffen wollen, anstatt auf die realwirtschaftliche Entwicklung zu setzen. Und der starke Dollar nährt solche Hoffnungen. Die Spannung dürfte ihren Höhepunkt dann erreichen, wenn sich die amerikanische Notenbankpolitik definitiv von derjenigen in Europa abkoppeln wird. Noch ist nicht 100%ig klar, ob das tatsächlich passiert und was das dann auslöst. Fraglich ist auch, ob sich die europäischen Renditen tatsächlich über einen längeren Zeitraum vom amerikanischen Zinsanstieg abkoppeln können. Wenn nicht, wäre das aus europäischer geldpolitischer Perspektive fatal.
Die Geldwende 1.0 Ende Mai 2013 durch Ben Bernanke, die ja eigentlich nur eine verbale Ankündigung war, hatte jedenfalls die Renditen weltweit ansteigen lassen, auch in Europa. Mal sehen, ob das bei der jetzt anstehenden Wende 2.0 nicht auch wieder der Fall sein wird. Herr Draghi versprüht Zuversicht, dass dies nicht passiert, doch Zuversicht ist keine Gewissheit.
Markt statt Politik
Dass die Märkte bei jedem kleineren Schwächeanfall auf die Zentralbanken schielen, haben allein letztere zu verantworten. Längst sind sie Gradmesser der Märkte und nicht mehr das realwirtschaftliche Umfeld, wo die Geldpolitik ohnehin kaum greift. Der Applaus der Finanzmärkte scheint die Notenbankchefs aber dermassen zu beflügeln, dass sie dafür einen gewaltigen Umverteilungsprozess in Kauf nehmen und traditionelle Marktsignale ausser Kraft setzen oder zu verzerren, wie etwa bei Risikoprämien für Staatsanleihen der Fall oder bei der Heraufbeschwörung eines Deflationsgespenstes. So bezahlen heute selbst angeschlagene Volkswirtschaften in Europas Peripherie so wenig Zins für ihre Schulden wie nie zuvor.
Zur Konsolidierung der öffentlichen Finanzen hat dies aber wenig beigetragen. Und obwohl die Notenbanken vor einer vermeintlichen Deflationsspirale warnen, ist mir niemand bekannt, der seine Käufe verschiebt, um später von günstigeren Preisen profitieren zu können. Und dass es nicht zwingend gelingt, mit der Notenpresse 2% Inflation zu generieren, hat Japan eben erst bewiesen, wo die Zielinflationsrate bereits wieder ausser Sichtweite ist und wohl auch nur wegen der Mehrwertsteuererhöhung kurz übertroffen wurde. Trotzdem stilisieren die Notenbanken die 2% Inflation als Ziel hoch, ohne klar zu begründen, wieso sie 2% und nicht etwa 0% Teuerung als Preisstabilität definieren. Und sie suggerieren, dass sie dieses Ziel auch tatsächlich erreichen können und gaukeln so eine Zielgenauigkeit vor, die sie eigentlich gar nicht einhalten können.
Wir haben das am Beispiel der SNB gesehen, die Knall auf Fall ein selbst erklärtes geldpolitisches Ziel über Bord warf, als es aussichtslos wurde, es auch erfüllen zu können. Auch deshalb ist es an der Zeit, dass der Markt wieder die Kontrolle über die Preisbildung erlangt, anstatt sie der Politik zu überlassen.
Heikler Negativzins
Wer nach dem Wegfall der Wechselkursuntergrenze glaubt, die Verzerrungen würden wenigstens in der Schweiz geringer, sieht sich Lügen gestraft. Jetzt sind es die Negativzinsen, die das Marktgefüge aus den Angeln heben und im eidgenössischen Parlament für Zündstoff sorgen. Spätestens seit die SNB verlautbaren liess, dass Bargeldhortung zur Umgehung von Negativzinsen von ihr nicht gern gesehen würde und sie Banken auch schon empfohlen habe, mit Bargeldnachfragen restriktiv umzugehen, ist klar, wohin übertriebener geldpolitischer Aktionismus führen kann: zu einem Kopfstand der Marktmechanismen.
Es ist doch logisch und erst noch ökonomisch rational, dass eine Pensionskasse lieber Bargeld im hauseigenen Tresor hortet, statt einer Bank Zinsen für dessen Aufbewahrung zu bezahlen. Ob die SNB das nun gern sieht oder nicht, ist nicht relevant, sie sollte sich aber davor hüten die Verfügungsgewalt der Eigentümer über
ihr Geld einzuschränken. Auf diesem Terrain hat die Notenbank nichts verloren.
Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen