Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Wirtschaftlicher Nutzen der Flucht?

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Wirtschaftlicher Nutzen der Flucht?
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Ökonomie ist leider keine Wissenschaft, auch wenn sie an der Hochschule als solche gelehrt wird. Nobelpreisträger widerlegen die Theorie eines vormaligen Preisträgers und es gibt tatsächlich Ökonomen, die berechnen, ob es sich lohnt, einen Patienten im Krankenhaus zu behalten oder ihn besser sterben zu lassen – aus Sicht des Spitals, des Patienten und der Allgemeinheit, der Volkswirtschaft.

Immer sind stilisierte Verhaltensweisen der Akteure und vereinfachte Annahmen dafür Bestandteil der verwendeten Modelle und daher nur so viel wert, wie die Prämissen an diese Akteure erfüllt sind. Es gibt mittlerweile nicht nur auf der mikroökonomischen Ebene Phänomene, die sich mit der Theorie kaum mehr erklären lassen. Spezifische Konsummuster, hybride Konsumenten, Hipster oder Dinkies, Veganer oder Konsumverweigerer erschweren Erklärungsmuster zukünftigen Verhaltens und machen daher Prognosen undicht.

Finanzmarkt führt Eigenleben
Auf der makroökonomischen Ebene ist ohnehin alles anders als es einmal war, seit die Geldpolitik das Zepter schwingt und dafür massive Verzerrungen in Kauf nimmt. Eine Ewigkeit waren gute Nachrichten aus der Realwirtschaft, allen voran aus den USA mit Ängsten verbunden, die Zinsen könnten dort angehoben werden. Die Finanzmärkte reagierten zusehend nervös auf sich aufhellende Konjunkturdaten und heute ist wohl jedem klar, dass dies die amerikanischen Notenbanker verunsichert und sie von ihrer ursprünglichen Forward Guidance abgebracht hat, nicht schon bei einer Arbeitslosenquote von 6.5% die Zinsen anzuheben. Auch bei der EZB findet man eher Gefallen daran, die Finanzmärkte immer wieder aufs Neue zu beeindrucken als eine Politik der unsichtbaren Hand zu führen, wie sie den Notenbanken einmal zugedacht war. Heute scheint ihren Exponenten nur noch wichtig, wie die Finanzmärkte auf ihre Massnahmen oder auch nur auf verklausulierte Andeutungen reagieren.

Der Applaus der Finanzmärkte scheint die Motivation der Geldhüter zu sein, sich immer noch expansiver zu geben. Der Erfolg der Massnahmen in der Realwirtschaft ist nebensächlich. Der Finanzmarkt führt längst sein Eigenleben. Es gibt noch immer Analysten, die auf die Geldpolitik schwören und übertriebene Erwartungen damit schüren, vor allem in Europa. Dabei hat Europa eigentlich ein ganz anderes Problem. Es baut sich bekanntlich gerade ab statt auf.

Hohe Kosten
In Europa hat man die Schuldenkrise verschlafen, dann zu lange ausgesessen und schliesslich vor Griechenland kapituliert. Maastricht, Dublin, Schengen sind inzwischen nur noch Orte ohne Verbindlichkeiten und die Flüchtlinge drohen Europa vollends zu spalten. In Deutschland ist mittlerweile eine Debatte darüber entbrannt, welchen volkswirtschaftlichen Nutzen Flüchtlinge stiften. Zuvorderst sind es wieder Volkswirte, welche die Argumente zünden. Von fast einer Billion Euro Kosten reden die einen. Hans Werner Sinn vom Ifo Institut und Clemens Fuest vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung ebenso, wie jüngst Bernd Raffelhüschen vom Forschungszentrum Generationenverträge.

Selbst bei einer raschen Integration in den Arbeitsmarkt fallen nach dessen Berechnungen mehr Kosten als Erträge an. Zu ganz anderen Schlüssen kommt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher. Nach seinen Analysen werden die Flüchtlinge einen positiven Beitrag zur Wirtschaft leisten, wenn sie Arbeit finden, auch wenn sie weniger qualifiziert sind. Gegensätzlicher könnten die Standpunkte kaum sein. Sollten die Warner tatsächlich Recht haben, kommen jedenfalls exorbitante Summen auf Deutschland zu. Von mindestens 15 Milliarden jährlich ist die Rede, was das Finanzministerium in Alarmzustand versetzen müsste.

Die Märkte eigentlich auch, denn egal wer letzten Endes recht haben wird, eines ist heute schon gewiss: die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte in Europa wird weiter aufgeschoben. Die EZB wird die Zinsen dafür noch länger künstlich tief halten. Das wiederum ist geldpolitischer Segen, Syrien sei Dank.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

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