Die virtuelle Zukunft bringt reale Profite
Von Martin Raab und Dieter Haas , Derivative Partners Media AG, www.payoff.ch
Big Data, Datability, Cloud und Mobility. Auch in der Finanzwelt bestimmt die Digitalisierung die Agenda – IT-Gurus, Banker und Investoren sind gleichermassen euphorisch. Wie Anleger jetzt mit den richtigen Finanzprodukten profitieren können.
Gut, dass im März 1989 die Netzwerk-Infrastruktur des CERN, welches im schweizerisch-französischen Grenzort Meyrin GE beheimatet ist, Anlass zur Sorge gab. Ein Wissenschaftler namens Tim Berners-Lee begegnete den unterschiedlichen, problembehafteten Technikstandards beim CERN mit einer einheitlichen Programmiersprache und schuf damit – quasi zunächst unbeabsichtigt – das Internet. Das World Wide Web, wie wir es heute kennen und nutzen, basiert letztlich auf dem Werk des Briten Berners-Lee. Er ist inzwischen u.a. als Erfinder der Websprache HTML bekannt und führt auch weiterhin als millionenschwerer Preisträger und Buchautor die Debatten zur Zukunft des Netzes.
Digitale Wolken
Dank Berners-Lees Erfindergeist können inzwischen Dokumente, Informationen und Daten aller Art auf virtuellen Plattformen, egal wo auf der Erde, verarbeitet, veredelt und zurückgetauscht werden. Im IT-Jargon spricht man von der «Cloud». Hierunter versteht man die Vernetzung von Rechenzentren mit entsprechender Speicherkapazität, auf die weltweit zugegriffen werden kann. Cloud-Dienste können als Infrastruktur genutzt werden (Server), als Entwicklungsplattform oder als Anwendungsumgebungen. Sprich statt eine Software wie auf DVD am Computer zu installieren, greift der lokale PC auf eine im Netz installierte Software zurück und ist damit stets auf dem aktuellsten Stand. Investoren lieben derzeit Unternehmen, die mit Cloud-Lösungen Geld verdienen. Prominentes Beispiel ist Dropbox. Deren virtuelle Festplatten haben bereits über 200 Millionen Nutzer und das Unternehmen wird derzeit mit Schwindel erregenden zehn Milliarden US-Dollar bewertet. In vielen Bereichen gehört die Cloud inzwischen zum Alltag – sei es, wenn wir das iPhone-Backup über die iCloud einspielen oder Dokumente via Google Drive bearbeiten.
Relevante Treibertechnologien
Als Schlüsseltrends beim Thema Digitalisierung lassen sich identifizieren: Cloud-Computing, mobile Applikationen für Smartphones und Tablets, Web 2.0-Anwendungen sowie das Internet of Things. Unter letztgenanntem Begriff versteht man die Vernetzung von Geräten untereinander. So kann die Heizung mit dem Aussenthermometer «sprechen» und somit bis zu 35% Energiekosten sparen. Autos kommunizieren die aktuelle Verkehrslage untereinander, warnen sich gegenseitig vor Gefahrenquellen und gelangen so staufrei und sicher ans Ziel. Zahlen von IDC zufolge sollen im Jahr 2015 bereits rund 15 Milliarden intelligente Geräte über das Internet miteinander vernetzt sein und selbstständig Daten austauschen. Bis 2020 sollen bereits 75 Milliarden «Dinge» vernetzt und mit eigener IP-Adresse kommunizieren.
«204’166’667 E-Mails werden derzeit jede Minute verschickt.»
Hardware-Bombardement
Parallel erobern digitale Helfer auch den privaten Alltag in rapidem Tempo: Smartphone, Tablets und andere Gadgets werden zu fast unverzichtbaren Begleitern. Nicht zu vergessen die wachsende Hardware zu Hause – wo einst Bücherregale standen, dominieren heute häufig HDTV-Boxen, Soundsysteme, Videokonsolen und das Ultra-LED-Fernsehgerät. Wenig verwunderlich, dass die Aktienkurse der 100 im DowJones US Computer Hardware Index enthaltenen Unternehmen (u.a. Lenovo, HP und Western Digital) in den letzten fünf Jahren um rund 340% gestiegen sind. Die Digitalisierung wird die Nachfrage nach Gerätschaften von Unternehmen und privaten Nutzern weiter hoch halten. Zusätzlich steigt die Zahl der Daten produzierenden Menschen. 204’166’667 E-Mails werden derzeit jede Minute verschickt. Filesharing, Kundenkarten, Onlinevideotheken oder Digitalfotos – die Flut an Bits und Bytes steigt und steigt. Und sie muss irgendwo gespeichert werden. Gemäss der IDC Digital Universe Studie im Auftrag des IT-Dienstleisters EMC verdoppelt sich das Datenwachstum alle zwei Jahre. In diesem Jahr werden geschätzte 2,5 Billionen Gigabyte (entspricht 2,5 Zettabyte) an Daten erzeugt.
Big Data überall
Diese immer grösseren Datenmengen sind einzeln betrachtet eher nutzlos. Spannend wird es jedoch, aus der Datenspur eines Einzelnen intelligente Analysen und Auswertungen zu machen. Unter dem Stichwort «Big Data» werden dabei Anwendungen zusammengefasst, bei denen Unmengen an Daten dank der deutlich gewachsenen Rechenkapazitäten in bisher ungekannten Dimensionen analysiert werden können. Das soll zum Beispiel bei der medizinischen Forschung helfen (Auswertung digitaler Krankenakten), aber auch bei der Steuerung von Geschäftsprozessen oder der Auswertung von News und Meinungsführung auf sozialen Medien wie Facebook oder Twitter. «Verglichen mit 2005 haben sich die Kosten für die Erzeugung, Erfassung und Speicherung von Informationen auf ein Sechstel verringert. Im gleichen Zeitraum sind die Investitionen von Unternehmen in Cloud-Dienste, Hardware, Software oder Mitarbeiter um 50% auf vier Billionen US-Dollar gestiegen», illustriert Sabine Bendiek, Geschäftsführerin bei EMC Deutschland, den Digital Boom. Das Research-Haus IDC prognostiziert unterdessen, dass in 2014 das Zehnfache an IT-Budgets in Software-as-a-Service-Lösungen und das 30-Fache in Big-Data-Tools investiert wird. Grossen Nachholbedarf haben hier Europa und Asien.
Investoren in Ekstase
Doch nicht nur die weltgrösste Computermesse CeBIT widmet sich dieses Jahr Big Data, Datability, Cloud und Mobility, auch in der Finanzwelt bestimmt das Thema die Agenda – Banker und Investoren sind gleichermassen euphorisch. Gemäss IDC wächst das digitale Universum (Anbieter, Nutzer und Services) bis 2020 um den Faktor 300. Das lässt viele Investoren hellwach nach geeigneten Anlagezielen suchen. So flossen in Firmen der Big Data-Industrie allein in den USA in den letzten zwei Jahren rund 4.9 Milliarden US-Dollar an Venture-Capital. Die Gunst der Stunde nutzen auch eine Reihe von Firmen fürs Börsendebüt. So explodierte der Kurs vom HR-Cloud Provider Workday Inc. innert eines Jahres um fast 90%, Paycom Software steht in den Startlöchern für ein IPO an der NYSE. Mickrig erscheint dagegen die Börsenperformance von Twitter (seit Emission +15%). Deutlich besser schneiden die Schwergewichte Google (1 Jahr +145%) und Facebook (1 Jahr +220%) ab.
«Das digitale Universum (Anbieter, Nutzer und Services) wächst bis 2020 um den Faktor 300.»
Regelrechte Indexflut
Keine Anlageklasse ist schneller, wenn es gilt, neue Trends in handelbare Produkte umzumünzen. Es verwundert daher nicht, dass auch das Thema Digitalisierung in all seinen Facetten von verschiedenen Emittenten aufgegriffen wurde. Damit dies möglich wird, mussten allerdings zuerst die entsprechenden Basiswerte geschaffen werden. An vorderster Front tätig ist hierbei Solactive. Der Indexprovider hat mittlerweile fast jede Marktnische abgedeckt. Wie die Kursentwicklung über die vergangenen Monate eindrücklich demonstriert, zählen fast alle Benchmarks mit einem Bezug zum Thema Digitalisierung im engeren oder weiteren Sinne zu den Outperformern in der bisherigen Hausse. Gerade in einer Aufwärtsphase sind wachstumsstarke Teilsegmente besonders gefragt und glänzen zumeist mit einer überdurchschnittlichen Performance.
Von den bereits im September 2012 aufgelegten Themenindizes erzielte der Solactive Social Network Performanceindex in den vergangenen 18 Monaten die stärkste Kursavance. Bei einer Betrachtung über zwölf Monate lag der Solactive 3D Printing Performanceindex an der Spitze. Die allgemein als die nächste industrielle Revolution angesehene revolutionäre Druckertechnologie war der Renner im 2013. Auswahlen mit dem Fokus auf Big Data, Cloud Computing oder Smart Grid entwickelten sich ebenfalls positiv. Sie vermochten den Weltaktienindex bislang jedoch nicht nachhaltig zu übertreffen.
Internet der Dinge per Tracker-Zertifikat
Anleger, die sich in einer der Marktnischen positionieren wollen, stehen mittlerweile eine stattliche Anzahl an Tracker-Zertifikaten zur Verfügung. Vereinzelt finden sich auch bereits ETFs, die sich dem Megatrend Digitalisierung verschrieben haben. Da viele Megatrends bereits in einer sehr frühen Entwicklungsphase hochgejubelt werden, sind heftige Korrekturen nach einem ersten Hype oft unvermeidlich. Beispiele wie der Bio- oder Nanotechnologie und andere dienen als Warnung. Wer allerdings die nötige Geduld aufbringt, der wird in der Regel reich entschädigt. So gesehen, sollten vorzugsweise Anlageprodukte ins Auge gefasst werden mit einer mehrjährigen besser noch mit einer unendlichen Laufzeit. Auf den aktuellsten Megatrend «Internet der Dinge» gibt es bislang erst zwei identische bis März 2017 laufende Tracker-Zertifikate. Beide Anlageprodukte vom Initiator Jud&Partner, JPVIOT von Leonteq Securities und JPVINT von der UBS, und notieren in US-Dollar. Sekundärmarktkunden steht es damit offen, welchen juristischen Emittent sie gerne im Depot haben möchten – die Basketkomposition ist absolut gleich. Die Auswahl umfasst 30 ausgesuchte Unternehmen, die vom globalen und nachhaltigen Wachstumstrend bei Machine-to-Machine-(M2M)-Lösungen profitieren dürften. «Mit dem Basket partizipiert der Anleger an der gesamten Wertschöpfungskette und diversifiziert gleichzeitig.» erklärt Michael Männlin, Senior Portfolio Manager bei Jud&Partner in Zürich. Wichtig zu wissen: Die enthaltenen Aktien haben ein implizites, ungesichertes Währungsrisiko von JPY, EUR, GBP, TWD und NOK gegenüber dem US-Dollar. Die Währungsseite kann aber ganz klar auch für zusätzliche Performance sorgen und stellt daher keinen übermässigen Risikofaktor dar. Der statische Basket hat keine Management-Fee, die Finanzierung läuft allein über Spreads (und die Up-Front-Fee bei Lancierung).
An Online-Sicherheit profitieren
Der Technikwandel, den die Digitalisierung mit sich bringt, spielt dem Segment der Online-Sicherheit in die Karten. Abgedeckt wird diese Nische hierzulande u.a. mit dem Tracker-Zertifikat WWWCHF. Es basiert auf dem Solactive Online Security Performanceindex. Das Anlageprodukt umfasst derzeit elf Aktien aus aller Welt mit Einzelgewichten zwischen 15% (Qihoo 360 Technology) und 3% (Ahnlab). Der Emittent verrechnet eine jährliche Managementgebühr von 1,20%. Wäre die Komposition nicht so nah am Zeitgeist und mit Kurspotenzial gesegnet, müssten derartige Gebührensätze kritisch hinterfragt werden. Es sind schliesslich keine dynamische Risikokontrollen oder ähnliche Features im Index enthalten. In Sachen Indextransparenz fehlt auf dem Termsheet die Angabe der einzelnen Aktien-Komponenten, glücklicherweise liefert hier die Website vom Indexprovider Solactive mehr Klarheit.
Web-Champions als ETF
Last but not least bietet Invesco PowerShares mit PNQI einen in den USA, aber auch in Deutschland (P3WK) aufgelegten ETF auf das NASDAQ Internet Portfolio. In den ETF sind aktuell USD 405 Millionen AuM investiert. Seine Zusammensetzung basiert auf dem NASDAQ Internet Index. Mit 79 Aktien ist der Benchmark wesentlich breiter gefasst wie die fokussierten Nischenindizes von Solactive. Die fünf gewichtigsten Titel sind Facebook, eBay, Google, Amazon und Priceline. Der Nasdaq Internet Index schlug seit seiner Einführung im Jahre 2008 mit Ausnahme von 2011 in allen positiven Jahren sowohl den Nasdaq-100 als auch den S&P 500 Index um Längen. Mit einer Total Expense Ratio von 0,60% ist der ETF vergleichsweise günstig. Die Sekundärmarktspreads von US-kotierten ETFs sind traditionell eng, das Produkt trotz Auslandskotierung absolut liquide.
Vielversprechende Aussichten
Unabhängig davon, für welches Anlageprodukt man sich letztlich entscheidet, das Thema Digitalisierung sollte in keinem Portfolio fehlen. Zu gross sind die internationalen Kapitalströme in diesen Sektor und zu gewichtig ist der Einfluss von damit verbundenen Diensten und Gerätschaften auf Hunderte Millionen von Nutzern. Auch Internetpionier Tim Berners-Lee profitiert vom Thema «Big Data» und «Datability» ganz direkt. Sein mitgegründetes Open Data Institute hat sich bereits über USD 16 Millionen an Investorengelder gesichert. Die Fachpresse vermutet, er bastelt schon wieder am nächsten «big thing».
Kurz erklärt: Die Nutzung und Filterung von unstrukturierten Daten aus sozialen Medien wie Twitter, Facebook & Co. wird zunehmend auch ein Spielfeld für Anleger. Das Potenzial, damit unkorrelierte Renditen zu erwirtschaften, ist gross. So arbeiten Spezialisten bereits heute an der systematischen Auswertung von Stimmungen in sozialen Netzwerken, um damit Reaktionen an der Börse vorherzusagen. Doch es gibt auch ganz andere, auf Big Data basierende Indikatoren. Das Forscher-Duo Ozik und Sadka hat wissenschaftlich nachgewiesen, dass sich z.B. Fonds, von denen viel PR bzw. Unternehmenskommunikation im Netz erscheint, in der Regel wertmässig besser entwickeln als solche, zu denen man nur in von der freien Presse entsprechende redaktionelle Berichterstattung findet.
Auf payoff.ch ist seit Kurzem mit Sentifi bereits ein solches Big Data Analysetool live. Dort sehen sie in Echtzeit, über welche SMI-Aktien, Währungen, Indizes oder Rohstoffe welche Marktstimmen laut werden.