Dr. Thorsten Polleit, Chefökonom Degussa

Dr. Thorsten Polleit, Chefökonom Degussa

Dr. Thorsten Polleit, Chefökonom Degussa.

Von Martin Raab, Derivative Partners Media AG, www.payoff.ch.

payoff im Gespräch mit Dr. Thorsten Polleit, Chefökonom der Degussa, über die Chancen von Abenomics, die Perspektiven des Yen und des japanischen Aktienmarktes sowie die makroökonomischen Risiken.

payoff: Herr Dr. Polleit, Japan ist gemäss den jüngsten Zahlen der Rezession entkommen. Welches Wirtschaftsbild nehmen Sie wahr?

Dr. Thorsten Polleit: Aus meiner Sicht befindet sich Japan in sehr einer kritischen Lage. Die Schuldenlasten sind erdrückend, die Wachstumskräfte schwinden. Dass, was als «Abenomics» bezeichnet wird – also das Ausgeben von neuem Geld – wird das Land nicht in eine bessere Zukunft führen. Im Gegenteil.

Welche Rolle spielt die Überalterung?

Aufgrund des demografischen Wandels schrumpft die japanische Erwerbsbevölkerung seit 1996. Seither hat die erwerbsfähige Bevölkerung um etwa zehn Prozent abgenommen. Das dürfte negative Auswirkungen für die gesamtwirtschaftliche Produktionsleistung zeitigen und zu einer Verschärfung der Verschuldungsproblematik führen.

Wie hat sich die Handelsbilanz in den vergangenen Jahren entwickelt?

Japan ist seit 2011 von einer Export- zu einer Importnation geworden. Die heimische Güterversorgung hängt mehr denn je davon ab, dass der Yen als Anlagewährung akzeptiert wird. Mit anderen Worten müssen die Japaner immer mehr Inlandsgüter hingeben, um ihre Importe zu bezahlen. Auf einen kurzen Nenner gebracht: Sie werden ärmer.

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Sie nannten Abenomics. Wird und kann die Bank of Japan ihre ultralockere Geldpolitik fortsetzen?

Ja, damit ist leider zu rechnen. Die Japaner sind dabei, ihre Staatsschulden zu monetisieren. Ein Blick in die Währungsgeschichte zeigt, wohin das führt: In die Zerstörung des Geldwertes.

«Ich sehe nirgendwo auf der Welt das Bestreben, schuldenfrei zu werden oder sich von der Schuldenwirtschaft zu verabschieden.»

Welche Einschätzung haben Sie zum Yen gegenüber US-Dollar und Euro?

Ich gehe von einer «grossen Dollaraufwertung» aus, bei der insbesondere Yen und Euro kräftig gegenüber dem Greenback verlieren werden. Aber auch die Währungen vieler Emerging Markets werden weiter unter Abwertungsdruck stehen.

… welche Kursentwicklung erwarten Sie bis Jahresende?

Ich wäre nicht überrascht, wenn sich der Abwertungspfad von Yen und Euro fortsetzt, vielleicht mit einem etwas langsameren Tempo als bisher.

Japan hat die höchste Staatsverschuldung der Welt – seine Gläubiger sitzen aber zu über 90% im Inland. Würden Steuererhöhungen und Negativzinsen den japanischen Staat quasi schuldenfrei machen?

Ich sehe nirgendwo auf der Welt das Bestreben, schuldenfrei zu werden oder sich von der Schuldenwirtschaft, von der Dauerschuldnerei, zu verabschieden. Es geht vielmehr darum, sich zu immer günstigeren Konditionen zu verschulden. Und wenn die Schuldenlasten zu hoch werden, werden die Schulden entwertet – durch zum Beispiel höhere Besteuerung, negative Zinsen oder Geldentwertung –, damit sich wieder Spielräume für neue Verschuldung ergeben. Japan ist da keine Ausnahme. Die Halter von Staatsschuldpapieren werden zu den Verlierern dieses Umverteilungskarussells zählen.

Welche Risiken sehen Sie aktuell aus makroökonomischer Sicht?

Dass aus der Kreditkrise eine Währungskrise erwächst, dass also Sparer und Investoren das Vertrauen in die Werthaltigkeit des Geldes verlieren. 2008/2009 gab es Zweifel an der Zahlungsfähigkeit von Staaten und Banken. Sie wurden vertrieben, indem die Zentralbanken die elektronische Notenpresse angeworfen haben. Wenn erkannt wird, dass die Notenpressen nicht mehr abgestellt werden, dürften es Sparer und Investoren mit der Angst zu tun bekommen. Eine «Flucht aus der Währung» setzt ein. Das wird höchst turbulent.

Ungeachtet aller Warnrufe sind japanische Aktien seit Beginn der Stimulusmassnahmen stark gestiegen. Wie stehen die Chancen auf eine Fortsetzung der Kursrally?

Weiten die Zentralbanken die Geldmengen aus, dann gibt es Preiswirkungen. Derzeit scheinen insbesondere die Aktienkurse zu inflationieren. Wird die Geldmengenvermehrung fortgeführt, ist zu erwarten, dass die Aktienkurse, aber eben nicht nur die Aktienkurse, weiter in die Höhe getrieben werden.

«Die Japaner sind derzeit dabei, ihre Staatsschulden zu monetisieren.»

Welche Sektoren innerhalb des japanischen Aktienmarkts halten Sie für aussichtsreich?

Länder- oder Sektorenallokation stehen in meinem Denken nicht im Vordergrund. Mein Investitionsprinzip lautet «Preis versus Wert»: Ein Investment ist dann attraktiv, wenn der Preis, der zu zahlen ist, deutlich niedriger ist als der Wert, den man dafür bekommt. Ich könnte Ihnen einige Unternehmen nennen, deren Geschäftsmodell und Bewertung ich derzeit für sehr attraktiv halte, aber für Länder oder Sektoren kann ich das nicht.

Herzlichen Dank für das Interview.

Der Gesprächspartner:
Thorsten Polleit ist Chefökonom der Degussa Goldhandel GmbH (www.degussa-goldhandel.de). Zwischen 1998 und 2012 arbeitete er als Ökonom für ABN AMRO und Barclays Capital in Amsterdam, London und Frankfurt. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Münster und promovierte dort im Jahre 1996. Im September 2014 wurde Thorsten Polleit von der Universität Bayreuth zum Honorar Professor für Ökonomie ernannt (www.uni-bayreuth.de).

Thorsten Polleit ist Adjunct Scholar des Ludwig von Mises Instituts, Auburn, US Alabama (www.mises.org), Päsident des Ludwig von Mises Institut Deutschland (www.misesde.org) und ein Gründungsmitglied des Research Netzwerks The Role of Money in the Economy (ROME).

Zusammen mit Matthias Riechert gründete er Polleit & Riechert Investment Management LLP (www.polleit-riechert.com).

Er schreibt regelmässig für verschiedene Magazine und Zeitungen.

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