Von Barbara Kalhammer, PUNKT
Im islamischen Finanzwesen werden die Anlagen nach den Regeln der Scharia getätigt. Noch wird nur ein Bruchteil der weltweiten Vermögen auf diese Weise verwaltet. Doch die Branche wächst – auch dank den Krisen in der westlichen Finanzwelt. Ausschnitt aus dem Interview.
PUNKT: Bekommen Zinsen damit im Islamic Banking nicht einfach nur einen anderen Namen?
Emre Akyel: Im Islam ist der sogenannte Financial Interest verboten, sprich der Geldzins. Das heisst: jenes Entgelt, welches für das Überlassen von Geld während eines bestimmten Zeitraums eingefordert wird. Mietzins beispielsweise ist erlaubt, da der Vermieter dem Mieter ein Gut zur Verfügung stellt und ein aktives Risiko für die Nutzung eingeht. Die islamischen Gelehrten sagen, dass nur der Schöpfer allein Herr der Zeit ist. Der zinsnehmende Mensch jedoch zieht sich durch den Faktor Zeit lediglich einen Vorteil, ohne eine Anstrengung geleistet zu haben, geschweige denn ein Risiko eingegangen zu sein. Die im Islam gerechtfertigten Aufschläge sind fix und unabhängig vom Faktor Zeit, während der Zinseszinseffekt eine Funktion ist und abhängig von der Zeit exponentiell ansteigt, bis eine Tilgung wirtschaftlich nicht mehr möglich ist.
Welche Rolle spielen ethische Aspekte im Anlageprozess?
Ethische und soziale Aspekte sind die Fundamente von Islamic Finance. Zentral sind das Zinsverbot sowie das Verbot von Spekulationen und Transaktionen mit Glücksspielcharakter. Untersagt sind auch sämtliche Geschäfte mit Firmen, die Profite aus der Produktion von Schweinefleisch, Alkohol oder Waffen erzielen. Dasselbe gilt für Untenehmen aus den Bereichen Glücksspiel und Pornografie.
«Die islamischen Gelehrten sagen, dass nur der Schöpfer allein Herr der Zeit ist. Der zinsnehmende Mensch jedoch zieht sich durch den Faktor Zeit lediglich einen Vorteil, ohne eine Anstrengung geleistet zu haben, geschweige denn ein Risiko eingegangen zu sein.» Emre Akyel, Managing Director iFIS Islamic Capital
Gibt es auch Beschränkungen hinsichtlich der verwendeten Finanzprodukte?
Ja. Ebenfalls untersagt sind unsichere Geschäfte. Damit sind Transaktionen gemeint, bei denen das Ergebnis nicht von vornherein feststeht. Darunter fallen sämtliche Spekulationen mittels Derivaten. Nicht erlaubt sind des Weiteren Geschäfte, die Glücksspielcharakter aufweisen, denn solche sind in ihrer Summe letztlich ein Nullsummenspiel.
Wie in einem Casino?
Richtig. Dort verliert oder gewinnt man gegen die Bank, doch es entsteht kein Mehrertrag für die Gemeinschaft. Das betrifft auch Transaktionen und Produkte, bei denen eine Partei auf Kosten einer anderen verliert, wie es beispielsweise bei Futures der Fall ist.
«Ungehebelte Produkte erreichen sicherlich weniger Rendite – sind im Gegenzug aber deutlich risikoarmer.»
Nagen diese Restriktionen nicht an der Rendite?
Es kommt darauf an, wie man investiert. Im Islamic Finance ist der klassische Leverage-Ansatz untersagt. Ungehebelte Produkte erreichen sicherlich weniger Rendite – sind im Gegenzug aber deutlich risikoarmer. Falls man jedoch Leverage-frei in Aktien investiert, fährt man mit den Regeln des Islamic Finance deutlich besser.
Das klingt in der Theorie gut.
Ich liefere Ihnen ein Beispiel aus der Praxis: Nehmen wir den US-Index Dow Jones und entfernen alle Unternehmen, die nicht den islamischen Kriterien entsprechen. Übrig bleibt der sogenannte Dow Jones Islamic Market Index. Dieses Barometer hat in der Immobilienkrise weniger Verluste eingefahren als der nicht bereinigte Dow Jones Market Index.
Funktionierte ein solcher Ansatz auch bei steigenden Kursen?
Ja. Auch in der Erholungsphase, die auf die Krise folgte, erzielte der islamkonforme Index höhere Renditen.
Was können westliche Institute von den muslimischen Kollegen lernen?
Westliche Institute sollten sich regelmässig einer unabhängigen ethischen Prüfung unterziehen. Viele Banken prahlen in ihren Leitbildern mit gesellschaftlicher Verantwortung. Der Eindruck ist ein ganz anderer. Würden die Banker Verantwortung übernehmen beziehungsweise würde ihnen jemand auf die Finger schauen und zuschlagen, wenn es sein muss, würde sich die Leichtsinnigkeit auf dem Handelsparkett legen, inschallah.
Der Gesprächspartner:
Emre Akyel, Certified Islamic Finance Executive, arbeitet als Managing Director bei iFIS Islamic Capital.