Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker.
Brüssel – Unter dem Druck der internationalen Finanzmärkte haben die entscheidenden Beratungen über einen Ausweg aus der europäischen Schulden- und Bankenkrise begonnen. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy sowie weitere führende Politiker und Finanzexperten kamen in Brüssel zusammen, um den EU-Gipfel an diesem Sonntag vorzubereiten.
In Erwartung eines echten Befreiungsschlages hatten die internationalen Börsen von Frankfurt über London bis New York die Woche mit kräftigen Gewinnen geschlossen. Auch der Euro hatte gegenüber dem US-Dollar gewonnen.
Beratungsmarathon
Der Brüssler Beratungsmarathon hatte am Freitag mit dem Treffen der 17 Euro-Finanzminister begonnen, am Samstag kamen die anderen Kollegen aus der EU dazu. Parallel tagten die Aussenminister. «Ich glaube, dass die Finanzminister Fortschritte gemacht haben, und dass wir unseren ehrgeizigen Ziele bis Mittwoch dann auch wirklich erreichen können», sagte Merkel bei einem Treffen der europäischen konservativen Parteien (EVP). «Dennoch sind das schwierige Beratungen.» Beim EU-Gipfel am Sonntag kann Merkel noch nicht abschliessend zustimmen, weil sie sich erst im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages ein Ja zu den geplanten Massnahmen holen muss. Am Mittwoch will Merkel eine Regierungserklärung abgeben.
Grosse Fortschritte
Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso war am Samstagabend optimistisch: «Die Finanzminister haben heute grosse Fortschritte gemacht, aber bedeutende Entscheidungen bleiben für morgen.» An der sogenannten Frankfurter Runde nahmen neben Merkel, Sarkozy und Barroso auch EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy, Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) Jean-Claude Trichet, und IWF-Chefin Christine Lagarde teil.
Banken brauchen 100 Mrd Euro
Nach den ersten Verhandlungsrunden zeichneten sich zwei Ergebnisse ab: Europas Banken müssen sich besser gegen neue Risiken wappnen und ihr Kapital um 100 Milliarden Euro aufstocken. Ein zweites, 109 Milliarden Euro schweres Rettungspaket für Griechenland reicht wohl nicht aus – ein drastischer Schuldenschnitt scheint unvermeidlich. Die Banken müssen also mit erheblichen Ausfällen ihrer Forderungen rechnen. Die 27 Ressortchefs beschlossen die Stärkung der Bankenkapitalbasis. Sie griffen damit auf einen entsprechenden Vorschlag der Europäischen Bankenaufsicht EBA zurück. Die Re-Kapitalisierung soll bis Mitte 2012 abgeschlossen sein. Die Banken sollen sich das Kapital zunächst selbst beschaffen. Falls das nicht klappt, könnten sie staatliche Hilfe erhalten. Erst wenn ein Land das nicht leisten kann, bliebe als dritte Lösung der Euro-Rettungsschirm.
Bedarf deutscher Institute bei 4,5 – 5,5 Mrd
Der Bedarf deutscher Institute wird auf 4,5 bis 5,5 Milliarden Euro geschätzt – dies könnten sie dem Vernehmen selbst stemmen. Das grössere Eigenkapital dient dann als Puffer, um Risiken beim Ausfall von Anleihen aus Problemländern abzufedern. Um die Kapitallücken zu füllen, soll eine harte Kernkapitalquote von neun Prozent bis Mitte 2012 kommen. Das «harte Kernkapital» umfasst eigene Aktien und einbehaltene Gewinne. Banken und Versicherungen sollen beim zweiten Griechenland-Paket stärker in die Pflicht genommen werden. Sie müssten sich «substanziell beteiligen», sagten mehrere Finanzminister.
Banken: Verzicht auf bis zu 60% der Griechenland-Forderungen?
Statt der im Juli vereinbarten 21 Prozent wird inzwischen über mehr als doppelt so hohen Forderungsverzicht gesprochen. «Man sagt, in der Gegend von 50 bis 60 Prozent», sagte Juncker. Die Beteiligung müsse freiwillig sein. «Aber wenn sie es nicht tun, dann müsste man zu einer obligatorischen Lösung kommen», drohte Juncker. Die Euro-Finanzminister erwarten, dass Athen noch mehr Milliarden braucht, um die Schuldenkrise zu überwinden. Erst im Juli hatten die Euro-Länder und der Internationale Währungsfonds (IWF) das 109-Milliarden-Paket vereinbart. Zusätzlich sollten Banken und Versicherer bis zu 50 Milliarden Euro beitragen. Trotz der dramatischen Situation sei ein Ausschluss Griechenlands aus der Euro-Zone keine Alternative. «Ich möchte uns davor warnen, ein Land politisch dazu zu nötigen, aus dem Euro-Raum auszutreten», sagte die CDU-Vorsitzende Merkel beim Deutschlandtag der Jungen Union (JU) in Braunschweig.
Vertragsänderungen
Erneut brachte Merkel vor ihrer Reise nach Brüssel die Idee einer Änderung der EU-Verträge ins Spiel. «Wir brauchen mehr Europa, mehr Durchgriff an dieser Stelle», betonte sie. Brüssel brauche mehr Kompetenzen, um gegen Schulden-Staaten vorzugehen. «Jedes Land muss in der Lage sein, die Verträge zu ändern, wenn sich die Welt ändert.» Auch Aussenminister Guido Westerwelle verteidigte diese Linie: «Wir brauchen Vertragsänderungen, damit die Dinge wieder funktionieren können.» Sie seien «dringend notwendig, damit wir eine wirkliche Stabilitätsunion bekommen». (awp/mc/ps)
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