EU-Gipfel schiebt neue Milliardenhilfen für Athen an
«Richtige Lehren aus der Krise ziehen»: Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Brüssel – Griechenland erhält ein weiteres milliardenschweres Hilfsprogramm der Europäer und des Internationalen Währungsfonds zur Abwendung einer Staatspleite. Das beschlossen die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel. Sie legten einen konkreten Fahrplan zur Lösung der Schuldenkrise vor, die die Finanzstabilität ganz Europas bedroht.
Die Griechen müssen als Vorbedingung aber das neue Spar- und Privatisierungsprogramm von Ministerpräsident Giorgos Papandreou akzeptieren – und in die Tat umsetzen. «Wir haben verabredet, dass es ein neues Programm für Griechenland geben wird», sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag zum Gipfel-Abschluss. Die CDU-Chefin zeigte sich zuversichtlich, dass die griechische Schuldenkrise und die Belastungen für den Euro insgesamt überwunden werden können. «Wir werden aus der Krise die richtigen Lehren ziehen.» Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy ergänzte: «Wir werden in der Lage sein, die Krise zu überwinden.»
Draghi neuer EZB-Präsident
Nach einem dramatischen Tauziehen benannten die Staatenlenker den Italiener Mario Draghi (63) zum neuen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB). Zuvor hatte das italienische EZB-Direktoriumsmitglied Lorenzo Bini Smaghi telefonisch den EU-Spitzen seinen Rückzug angeboten, um den Weg für seinen Landsmann freizumachen. Sarkozy hatte auf dieses Manöver gedrungen, damit nach dem turnusgemässen Abtreten Jean-Claude Trichets von der EZB-Spitze im Herbst wieder ein Franzose in der Chefetage der Frankfurter Notenbank Platz nehmen kann. Wer dies sein soll, blieb unklar. Draghi wird den Posten am 1. November übernehmen. Merkel sagte, niemand habe Druck ausgeübt. «Ich glaube, dass die Unabhängigkeit der EZB voll gewahrt ist.»
Entscheidung über neue EU-Hilfen
Nach dem Fahrplan des Gipfels für Griechenland werden die Euro-Finanzminister in gut einer Woche am 3. Juli über neue Hilfen entscheiden. Es geht dabei um das neue Hilfspaket, das bis zu 120 Milliarden Euro ausmachen könnte. Zudem muss auch die Auszahlung der Juli-Tranche von 12 Milliarden Euro aus dem alten Hilfsprogramm gebilligt werden. Falls diese Kredite nicht fliessen, ist Athen direkt pleite. Merkel begrüsste es, dass sich Griechenland nun mit dem IWF und der EU auf die Bedingungen für die Ratenzahlung geeinigt hat. Die Kanzlerin zeigte sich auch zuversichtlich, dass das griechische Parlament in der kommenden Woche das umstrittene Spar- und Privatisierungspaket verabschieden wird. Auf die Frage, welche Konsequenzen eine Ablehnung des Pakets im griechischen Parlament habe, sagte Merkel, darüber werde sie «keine Spekulationen» abgeben.
Freiwillige Beteiligung französischer Banken
Die französischen Banken sind nach Angaben Sarkozys zu einer freiwilligen Beteiligung an der Rettung Griechenlands bereit. «Aber das sind nicht nur die Banken, die auf freiwilliger Basis mitmachen wollen, sondern auch die Versicherungen.» Dies sei Teil der Gipfel-Gespräche gewesen. Besonders Deutschland hatte auf die Einbindung der Banken bei der neuen Griechenland-Rettung gedrungen. Eine Grundsatzeinigung hatte es schon zu Wochenbeginn gegeben. Merkel äusserte sich nicht im Detail zu den Verhandlungen mit den Geldhäusern.
Merkel: Im europäischen Interesse
In einem Interview mit den ARD-«Tagesthemen» widersprach die Kanzlerin Befürchtungen, mit der neuen Hilfe werde der unausweichliche Staatsbankrott nur verschoben. Die Milliarden seien «Garantien, die wir im Augenblick geben, dafür dass Griechenland sich an den Märkten Geld leihen kann.» Es sei im gemeinsamen europäischen Interesse, Griechenland Zeit zu geben. Aber natürlich mit harten Auflagen, auch Griechenland auf einen vernünftigen Weg zu führen», betonte Merkel.
Krfoatien 28. EU-Mitglied
Die EU-«Chefs» beschlossen ausserdem, dass Kroatien das 28. Mitglied der Europäischen Union wird. Die Beitrittsverhandlungen mit Zagreb sollen bis zum Monatsende abgeschlossen werden. «Das ist ein historischer Beschluss», sagte EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso. Allerdings soll Kroatien bis zu dem für 1. Juli 2013 vorgesehenen Beitritt unter Überwachung der EU stehen. Dies soll nach den Erfahrungen mit Bulgarien und Rumänien sicherstellen, dass Zagreb die Beitrittskriterien wirklich erfüllt.
Grenzkontrollen im Schengen-Raum
Debatten gab es bei dem zweitägigen Spitzentreffen über Grenzkontrollen im Schengen-Raum. Angesichts wachsender Flüchtlingsströme aus Nordafrika wollen die Chefs wieder Kontrollen zulassen – aber nur in begrenztem Masse. In Ausnahmefällen sollen den Mitgliedsländern örtlich und zeitlich beschränkte Kontrollen erlaubt werden, um etwa einem Ansturm illegaler Einwanderer entgegenzuwirken. Frankreich und Italien hatten bei ihrem Streit über den Umgang mit tunesischen Flüchtlingen darauf gedrungen. Dänemark wiederum möchte mit Kontrollen an den Grenzen zu Deutschland und Schweden die internationale Kriminalität wirksamer bekämpfen. Barroso kündigte an, seine Behörde werde bald einen Vorschlag machen. Offen ist, ob und wie dafür der Schengen-Vertrag über das Reisen ohne Grenzkontrollen verändert werden soll. (awp/mc/upd/ps)