In den letzten Wochen haben sich die Makrodaten tendenziell abgekühlt. Allerdings ist das Wirtschaftswachstum sowohl in den USA als auch in der Eurozone weiterhin positiv. Somit ist das für Anfang 2023 erwartete negative Wachstum, das aufgrund der Kombination aus Inflationsschock und Zinserhöhung im vergangenen Jahr eigentlich hätte eintreten müssen, nicht eingetroffen.
Tatsächlich haben sich die Vertrauensindizes des verarbeitenden Gewerbes in den letzten Monaten deutlich abgeschwächt und sind in den USA und der Eurozone in den Bereich der Kontraktion und in China in den Bereich der Stagnation gefallen. Diese Abschwächung der Wirtschaftstätigkeit spiegelt neben der Straffung der Geldpolitik auch die Auflösung der Überkapazitäten nach der Wiedereröffnung des Jahres 2021 wider. Andererseits bleiben die Indikatoren für das Unternehmervertrauen im Dienstleistungssektor, die die Entwicklung der Binnennachfrage in den verschiedenen Bereichen abbilden, sowohl in der Eurozone als auch in China in der Expansionszone. Diese Widerstandsfähigkeit wird durch verschiedene Faktoren gestützt: die nach wie vor positiven Auswirkungen der Steuerpolitik, die gute Arbeitsmarktlage, die Fähigkeit der Verbraucher, auf die sinkende Inflation zu reagieren, und die Wiedereröffnung der Märkte in China nach dem Ende der Corona-Krise.
Das Hauptaugenmerk der Anleger wird in den kommenden Monaten auf dem Ausmass der Konjunkturabschwächung liegen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Inflation nach wie vor über den Zielvorgaben der Zentralbanken liegt und diese daher die Geldpolitik weiter straffen werden.
In den USA zeigt sich der Inflationsrückgang deutlich in der Gesamtinflationsrate: Sie sank von 9,1 % im Juni letzten Jahres auf 5 % im März. Die Gesamtinflation ist jedoch wieder unter die Kerninflation zurückgefallen, die immer noch bei 5,6 % liegt und dank der immer noch anhaltenden Endnachfrage nur sehr langsam zurückgeht.
Im Vergleich zu den USA hinkt der Inflationszyklus in der Eurozone um einige Monate hinterher. Aber auch hier ist die Trendwende bei der Gesamtinflation in der Jahresveränderung deutlich zu erkennen: Nach einem Höchststand von 10,6 % im Oktober letzten Jahres fiel sie im März auf 6,9 %. In der Eurozone hingegen hat die Kerninflation mit 5,7 % im März im Vergleich zum Vorjahr noch nicht offiziell ihren Höhepunkt erreicht.
Mit Blick auf die Zukunft werden wir in den USA die Wohnkosten im Auge behalten, die im vergangenen Monat erste Anzeichen für eine Abschwächung gezeigt haben. Sollten sich diese bestätigen, könnte die Kerninflation noch stärker zurückgehen.
In der Eurozone dürfte der Höhepunkt der Kerninflation nicht mehr weit entfernt sein, wenn man bedenkt, dass die Gesamtinflation seit fast sechs Monaten rückläufig ist.
Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Zentralbanken die akkommodierende Wende vorwegnehmen werden, bevor sich der Inflationsrückgang gefestigt hat. Dies gilt insbesondere, wenn man bedenkt, wie wirksam die Zentralbanken eine systemische Ansteckung durch die Bankenturbulenzen verhindert haben.
Just zum Zeitpunkt der Bankenturbulenzen, Mitte März, wurden die Markterwartungen für den Konjunkturzyklus in eine weniger pessimistische Richtung korrigiert. Hierdurch wurde das Endniveau der geldpolitischen Straffung angehoben und der Start der Zinssenkungsphase nach hinten geschoben. Es wird erwartet, dass die Fed die Zinsen um weitere 25 BP auf 5 bis 5,25 % anhebt und dann bis zum Herbst auf dem Niveau belassen wird. Die EZB wiederum wird die Zinsen bis Juli voraussichtlich um 75 BP anheben, wobei der Zielsatz für Einlagen bei 3,75 % liegen wird.
Nachdem der Bankensektor sich stabilisiert hatte, bewegten sich die Märkte eher auf das Szenario einer sanften Verlangsamung des Konjunkturzyklus zu, als auf eine abrupte Abbremsung.
Die Kurven der Anleihezinsen stiegen wieder an, blieben jedoch unter ihren Höchstständen vom März und tendierten weiterhin negativ. Kurze und mittlere Laufzeiten bieten attraktive Kuponsätze (Carry), während längere Laufzeiten einen ausreichenden Schutz für den Fall einer starken Konjunkturabschwächung bieten.
Als die Spannungen im Bankensektor und in Bezug auf die Widerstandsfähigkeit des Wirtschaftswachstums nachliessen, erholten sich die Risikoanlagen, ohne jedoch neue Jahreshöchststände bei den Aktien oder neue Tiefststände bei den Spreads zu erreichen.
Vielmehr erreichte die Aktienvolatilität einen neuen relativen Tiefstand und fiel auf das Niveau von Ende 2021 zurück, d. h. auf das Niveau vor der Straffung durch die Fed. Dies ist ein wichtiges Indiz, das die Erwartungen der Aktienanleger auf eine sanfte Verlangsamung der Weltwirtschaft widerzuspiegeln scheint.
Dieser Trend könnte etwas verfrüht sein. Denn zum einen ist die Abkühlung der Ertragslage noch nicht abgeschlossen und zum anderen könnten sich die Anzeichen einer makroökonomischen Abschwächung in den kommenden Monaten infolge der Kreditverknappung, insbesondere in den USA, nach den Spannungen im Bankensektor im März noch verstärken. (Eurizon/mc)