Eurokrise: Ungarn beginnt Verhandlungen mit IWF

Eurokrise: Ungarn beginnt Verhandlungen mit IWF

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban.

Budapest – Ungarn, eines der finanzpolitischen Sorgenkinder Europas, will wieder mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) verhandeln. 2010 hatte das Land die Beziehungen zum IWF türenknallend abgebrochen. Zuletzt hatte der IWF Ungarn 2008 vor dem Staatsbankrott gerettet. Mit dem überraschenden Dialog-Signal hat die Regierung des rechtsnationalen Ministerpräsidenten Viktor Orban die Märkte zunächst beruhigt. Die Ratingagenturen waren kurz davor, die ungarischen Staatsanleihen in die Ramschkategorie zurückzustufen.

Doch die Probleme sind damit nicht vom Tisch. Völlig offen ist, welche Art von Zusammenarbeit mit dem IWF in Frage kommt. Experten halten ein Stand-by-Abkommen für denkbar, oder ein so genanntes precautionary agreement, bei dem das Geld nur im äussersten Notfall abgerufen wird. In beiden Fällen müssten es sich die bis zur Überheblichkeit stolzen Regierenden Ungarns gefallen lassen, dass alle drei Monate eine IWF-Delegation die Staatsfinanzen unter die Lupe nimmt und schmerzhafte Spar-Forderungen stellt.

800’000 Ungarn in Schuldenspirale
Sorgen bereitet zudem weiterhin Ungarns Umgang mit den Devisenschuldnern, der bisher den Banken aus dem In- und Ausland grossen Schaden zugefügt hat. Ein Gesetz aus diesem Herbst sieht vor, dass Devisen-Kreditnehmer ihre Schulden zu einem für sie günstigeren Wechselkurs zurückzahlen dürfen als der reale. Eine Änderung dieser Regelung ist bislang nicht in Sicht. Rund 800’000 Ungarn stecken in einer Schuldenspirale, weil die zurückzuzahlende Summe wegen der Forint-Entwertung ständig wächst. Betroffen sind davon nicht nur Privatleute, sondern auch Kommunen. Schon 2008 hatten der IWF und die EU das Donauland mit einem Notkreditpaket von 20 Milliarden Euro vor dem Staatsbankrott gerettet. Damals regierten in Budapest Sozialisten und Liberale. Die Probleme waren teils hausgemacht, teils der gobalen Krise geschuldet.

Gang nach Canossa
Dass Budapest jetzt den IWF wieder um Hilfe bittet, kommt einem Gang nach Canossa gleich, den der seit 2010 regierende Orban nun mühsam vor dem Volk rechtfertigen muss. Noch vor vier Tagen hatte Wirtschaftsminister György Matolcsy im Parlament beteuert, Verhandlungen mit dem IWF seien ausgeschlossen, denn «diese Institution mit drei Buchstaben» sei gegen jede Massnahme, «die die Ungarn aus der Bankenfalle retten würde». Im Sommer 2010 hatte Budapest Verhandlungen mit dem IWF abgebrochen, da Orbans Regierung die Spar-Auflagen nicht erfüllen wollte. Gegen den Willen des IWF führte Ungarn eine zusätzliche Bankensteuer ein.

Orbans «Freiheitskampf» nun zu Ende?
Orban schrieb sich damals eine Wirtschaftspolitik unter dem Zeichen der «Unabhängigkeit» auf die Fahne. «Freiheitskampf», nannte dies spöttisch die Oppositionspresse, in Anlehnung an den antihabsburgischen Krieg der Ungarn im 19. Jahrhundert. Ist Orbans «Freiheitskampf» nun zu Ende? Diesen Eindruck wollte der Regierungschef jedenfalls vermeiden, als er am Freitagmorgen im ungarischen Rundfunk die neue Gesprächsbereitschaft mit dem IWF erklärte. Nun beginne «eine Ära des Wachstums», sagte Orban, nachdem Ungarn «die Ära der Finanzstabilität abgeschlossen» habe.

Forint auf rasanter Talfahrt

Orbans «Finanzstabilität» der letzten Monate sah indes so aus: Die Brutto-Staatsverschuldung stieg vom zweiten bis zum dritten Quartal von 75 auf 82 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Wechselkurs des Forint rutschte binnen eines halben Jahres rasant ab, so dass ein Euro Mitte November fast 318 Forint kostete, nach 266 Forint im Juni. Bei zwei aufeinanderfolgenden Auktionen konnte Ungarn seine Staatspapiere nicht verkaufen. Wenige Minuten nach Bekanntwerden der Öffnung Ungarns gegenüber dem IWF reagierte Ungarns Landeswährung im Wechselkurs schlagartig: 308 Forint pro Euro. Nach Meinung der liberalen ungarischen Tageszeitung «Nepszabadsag» vertraut Orbans Truppe darauf, dass gute Nachrichten aus den Wechselstuben die Menschen mehr bewegen als der kritische Rückblick auf die Regierungspropaganda der letzten Wochen und Monate. (awp/mc/ps)

Schreibe einen Kommentar