Euronext bekommt wie erwartet Zuschlag für italienische Börse
Amsterdam – Die italienische Börse soll wie erwartet an die Euronext gehen. Der bisherige Eigentümer, die Londoner Börse, verkauft die Borsa Italiana an die Mehrländerbörse Euronext – zumindest dann, wenn die EU den Verkauf zur Auflage für die geplante Übernahme des Finanzdatenanbieters Refinitiv macht. Der Kaufpreis für die italienische Börse liege bei etwas mehr als 4,3 Milliarden Euro in bar, teilte die London Stock Exchange (LSE) am Freitag in London mit. Der Schritt kommt nicht überraschend, da die LSE bereits seit einiger Zeit exklusiv mit der Euronext verhandelt.
An dem Borsa-Italiana-Deal sind auch die staatliche italienischen Förderbank Cassa Depositi e Prestiti (CDP) und die Bank Intesa Sanpaolo beteiligt. Diese sollen rund 700 Millionen Euro beisteuern. CDP soll dafür einen Anteil von rund sieben Prozent der Euronext erhalten, Intesa wird mit etwas mehr als einem Prozent beteiligt sein. Die Euronext will zur Finanzierung der Übernahme neue Aktien für 2,4 Milliarden Euro platzieren – wobei ein Teil durch die CDP und Intesa gezeichnet wird.
Euronext-Aktie gibt nach
Auch wenn es nicht überraschend ist, dass die Übernahme durch eine Kapitalerhöhung gestemmt werden muss, gab der Kurs der Euronext-Aktie fast vier Prozent auf 98,70 Euro nach. Das Papier des Amsterdamer Börsenbetreibers war allerdings in den vergangenen Wochen deutlich gestiegen und war Anfang Oktober mit 109,70 Euro so teuer wie noch nie. Die LSE-Aktie legte zuletzt ein halbes Prozent auf 8888 Pence zu – auch die Anteile der Londoner Börse befinden sich seit einiger Zeit auf einem Höhenflug.
Noch ist allerdings nicht ganz raus, ob sich die LSE ganz von der im Jahr 2007 für 1,6 Milliarden Euro übernommenen Mailänder Börse trennen muss. Die Europäische Kommission will dies in den kommenden Wochen entscheiden und Mitte Dezember mitteilen, ob und unter welchen Auflagen die Londoner Börse Refinitiv übernehmen darf. Sollte die EU die Londoner nicht zum Verkauf der kompletten Borsa Italiana zwingen, könnte sie auch nur Teile etwa die Anleiheplattform MTS losschlagen.
Es gilt aber als wahrscheinlich, dass die EU-Kommission einen Verkauf der Borsa Italiana und dabei auch als Ganzes verlangt. Die LSE selbst hofft mit dem angekündigten Verkauf die grössten Wettbewerbsbedenken bei der EU-Kommission ausräumen zu können. Der für die Londoner wichtige Refinitv-Deal soll bis spätestens Anfang 2021 unter Dach und Fach sein. Die Borsa Italiana soll innerhalb der ersten sechs Monate des kommenden Jahres an die Euronext gehen.
SIX geht leer aus
Mit im Rennen war neben der Euronext vor allem die schweizerische Börse SIX, aber auch die Deutsche Börse hatte ihren Hut in den Ring geworfen. Analysten hatten allerdings ohnehin nicht damit gerechnet, dass der deutsche Börsenbetreiber zum Zug kommt beziehungsweise überhaupt ernsthaft zuschlagen will. Deutsche-Börse-Chef Theodor Weimer setzt bekanntermassen vor allem auf kleinere Zukäufe und das am besten ausserhalb des Aktiengeschäfts. Hier hätte die Borsa Italiana zwar auch einige Segmente gehabt – allerdings gemessen am Gesamtpaket nur vergleichsweise kleine.
Da Italien nach der geplanten möglichen Übernahme der wichtigste Einzelmarkt der Euronext werden würde, sollen die italienischen Partner viel Macht bei der Mehrländerbörse bekommen. Neben der Kapitalbeteiligung soll ein CDP-Vertreter einen Platz im Verwaltungsrat erhalten. Zudem soll der Vorstandschef der Borsa Italiana einen Platz im Euronext-Verwaltungsrat erhalten, der künftig auch von einem Italiener geleitet werden soll.
Verkauf im Zusammenhang mit Refinitiv-Übernahme
Die London Stock Exchange hatte Ende Juli angekündigt, dass im Zusammenhang mit der Prüfung der 27 Milliarden Euro schweren Refinitiv-Übernahme durch die Europäische Kommission Gespräche über den Verkauf der Plattform MTS oder des italienischen Börsenbetreibers im Ganzen begonnen wurden. Dies müsse aber nicht heissen, dass es auch zu einer Transaktion komme, hatte es damals geheissen. Im September teilte die LSE mit, dass sie exklusiv mit der Euronext und ihren Partnern verhandelt.
Die Borsa Italiana mit der zu ihr gehörenden Plattform für den Handel von Staatsanleihen MTS wird in Italien als strategisch wichtiges Unternehmen angesehen. Die italienische Regierung arbeitet Industriekreisen zufolge deshalb seit Monaten daran, den Besitz der Borsa Italiana wieder – zumindest teilweise – in staatliche Hände zu bringen. Die Regierung trieb daher den Deal mit dem staatlichen italienischen Kreditinstitut CDP, der Bank Intesa Sanpaolo und der Euronext voran.
Die Euronext, an deren Übernahme Mitte vergangenen Jahrzehnts auch mal die Deutsche Börse interessiert war, würde durch den Zukauf der dominante Anbieter im europäischen Aktienhandel. Rund ein Viertel des europäischen Aktienhandels würde dann in Händen des in Amsterdam beheimateten Unternehmens liegen. Das Unternehmen war vor 20 Jahren durch die Fusion der Börsen in Amsterdam, Brüssel und Paris entstanden, danach kamen noch die Aktienmärkte in Dublin und Lissabon dazu.
Vergleichsweise wenig Geschäft machen die Niederländer allerdings ausserhalb der Aktienmärkte. So ist der Bereich nach wie vor der grösste Umsatzbringer der Euronext – anders als zum Beispiel bei der Deutschen Börse, die ihre Geschäfte in den vergangenen Jahren deutlich breiter aufgestellt hat. Das meiste Geld verdient sie mit Derivaten, also der Absicherung von Risiken, beziehungsweise der Abwicklung und Verwahrung von Wertpapieren.
Da die Margen im Aktiengeschäft in den vergangenen Jahren immer stärker gesunken sind, spiegelt sich das auch in der Bewertung der Börsenbetreiber selbst wider. Während die Marktkapitalisierung der Deutschen Börse derzeit bei rund 28 Milliarden Euro liegt, ist die Euronext an der Börse gerade mal bei knapp sieben Milliarden Euro wert. Zum Vergleich: 2006 hatte die Deutsche Börse knapp neun Milliarden Euro für die Euronext geboten und kam selbst gerade auf einen Börsenwert von rund zwölf Milliarden Euro. (awp/mc/pg)