Europa vor dem Durchbruch?
EZB-Präsident Mario Draghi.
Zürich – Entschlossene geldpolitische Massnahmen Europas könnten schon bald dafür sorgen, dass im Aktienmarkt die europäischen Titel die Führung übernehmen, schreibt der amerikanische Vermögensverwalter MFS Investment Management im jüngsten Marktausblick. Im Fixed Income Bereich fällt zudem die ungewöhnliche Überbewertung bei amerikanischen Hochzinsanleihen auf.
Die entschlossenen Worte von EZB-Präsident Mario Draghi im Juli, mit denen er faktisch eine weitere Lockerung der Geldpolitik in Aussicht gestellt hat, könnten die Wende in der europäischen Staatsschuldenkrise einläuten. Bislang haben die halbherzigen Massnahmen die Märkte stets nur kurz beruhigt und allenfalls ihren Zusammenbruch verhindert. Zu unentschlossen wirkten die offiziellen Äusserungen, um Investoren davon zu überzeugen, dass der Euro überleben kann – auch im Falle eines Austritts Griechenlands. Die Besonderheit jetzt ist jedoch, dass auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatspräsident François Hollande und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble der EZB beigepflichtet haben. Da den entschlossenen Worten bislang keine Taten gefolgt sind, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die EZB spätestens auf der Ratssitzung im September die Zinsen senkt.
Weitere Massnahmen erwartet
Die europäischen Entscheider müssen zudem ihre Bemühungen intensivieren, die extrem hohen Zinsen italienischer und spanischer Staatsanleihen in den Griff zu bekommen und den Teufelskreis zwischen Banken-und Staatsschuldenkrise zu durchbrechen. Von weiteren geld-und fiskalpolitischen Massnahmen ist deshalb auszugehen. Ein guter Indikator für den Erfolg oder Misserfolg der europäischen Reflationierungsbemühungen ist der Goldpreis. Auf Eurobasis befindet er sich noch immer im Aufwärtstrend, wenngleich seit einem Jahr eine gewisse Konsolidierung zu beobachten ist. Ein Ausbruch aus dem Trendkanal nach oben wäre ein Hinweis darauf, dass die Anstrengungen erfolgreich sind.
Auch die FED könnte die Geldpolitik weiter lockern, vielleicht sogar schon im September. „Das wäre ein mutiger Schritt“, sagt Robert Spector, Multi-Asset-Class Portfolio Manager bei MFS. Zwar befindet sich die USA noch nicht wieder in der Rezession, doch das Wachstumstempo und die Erholung des Arbeitsmarkts stimmen die meisten Mitglieder der Notenbank unzufrieden. Das Wachstum war im 2. Quartal mit 1,5% (annualisiert) zwar höher als erwartet, doch zeige dies vor allem, wie wenig man inzwischen erwartet. Auch der kurzfristige Ausblick ist nicht viel besser. „Es gibt Hinweise darauf, dass die Unternehmen im Vorfeld der 2013 drohenden automatischen Haushaltskürzungen bereits jetzt weniger bestellen oder weniger Mitarbeiter einstellen“, so Spector.
Positiv hervorzuheben sind die anhaltenden Fortschritte am Wohnimmobilienmarkt. Es gibt zudem erste Anzeichen, dass die weltweiten Konjunkturdaten nicht mehr uneingeschränkt schwächer sind als erwartet.
Teure amerikanische – günstige europäische Aktien
Trotz der entschlossenen Signale von Fed und EZB, dürfte die Volatilität an den globalen Aktienmärkten anhalten, da die Richtung der konjunkturellen Entwicklung nach wie vor unsicher ist.
Amerikanische Aktien haben sich in den letzten Jahren meist überdurchschnittlich entwickelt, erscheinen mittlerweile jedoch teuer – gemessen an anderen Märkten und im Hinblick auf die nachlassenden Gewinnerwartungen der Unternehmen. Demgegenüber sind europäische Aktien trotz der anhaltenden Krise und des schwächeren Konjunkturausblicks günstig bewertet. „Wenn die EZB handelt und den europäischen Politikern so mehr Zeit gibt, um eine engere Fiskalunion auszuhandeln, könnten europäische Aktien schon bald die Führung übernehmen“, sagt Jeffrey D. Morrison, Investment Officer und Equity Portfoliomanager bei MFS. „Denn das Risiko von Dominoeffekten und einem Auseinanderbrechen des Euroraums wäre dann vom Tisch.“ Um den Erfolg der EZB-Massnahmen abzuschätzen, beobachtet er den Abstand zwischen spanischen und deutschen Zehnjahresrenditen auch weiterhin. Denn in den vergangenen Jahren zeigte sich eine negative Korrelation zwischen dem Zinsabstand und der Wertentwicklung europäischer Aktien.
Defensive Sektoren haben sich in den letzten Monaten deutlich stärker entwickelt als zyklische Werte. Aus technischer Sicht wirken sie mittlerweile jedoch stark überkauft und auch bei fundamentaler Betrachtung erscheinen defensive Aktien teuer. Demgegenüber sind zyklische Sektoren attraktiver bewertet und ihr Gewinnausblick verbessert sich. Der Ausblick für die Weltwirtschaft bleibt zwar alles andere als gut, doch scheinen Konjunkturdaten und Frühindikatoren leichte Fortschritte zu machen. Dafür spricht nach Meinung von Morrison auch, dass der Citigroup G10 Economic Surprise Index offenbar den Tiefpunkt überschritten hat. Er vergleicht die tatsächlichen Konjunkturdaten mit den Konsenserwartungen. „Schon bald könnte den internationalen Aktienmärkten eine ausgeprägte Länder-und Branchenrotation bevorstehen“, sagt Morrison. Voraussetzung hierfür sei aber, dass es nicht zu neuen Konjunkturenttäuschungen sowie geld-, fiskal-und allgemeinpolitischen Fehlern kommt.
Keine Anzeichen für steigende Zinsen
Die nominalen und realen Zinsen sind im Vergangenheitsvergleich niedrig – und gemessen an den amerikanischen Konjunkturdaten sogar zu niedrig. Dennoch verhindern zahlreiche Faktoren einen Zinsanstieg, allen voran die anhaltende Krise im Euroraum und die expansive Geldpolitik der Fed. Einstweilen dürften sich die Zinsen daher weiter seitwärts bewegen und erst langfristig allmählich steigen, wenn die Extremrisiken abnehmen und sich die Geld-und Fiskalpolitik normalisiert.
Um von einem möglichen Spreadrückgang zu profitieren, falls sich die Fed zu einem QE3 entschliesst, lohnt der Blick auf Mortgage-Backed Securities (MBS). MBS-Spreads sind nach Meinung von MFS weniger anfällig für Extremrisiken als Unternehmensanleihespreads und zudem liquider.
Das Risiko-Ertrags-Profil von Unternehmensanleihen mit Investmentgrade wird nach wie vor attraktiver bewertet als das vieler anderer Anleihearten. Der Zinsvorsprung dieser Papiere erscheint angemessen, zumal ihre Volatilität mit den üblichen Zielen von Anleihenanlagen in Einklang steht. Die Renditen sind zwar auf Allzeittiefs gefallen. Dennoch bieten die Spreads nach Einschätzung von MFS einen angemessenen Ausgleich für die erhöhte Volatilität durch Extremrisiken und die eher geringe Sekundärmarktliquidität.
Schwellenländer-Anleihen mit Kurspotenzial
Die hohe Nachfrage der Investoren hat die Kurse amerikanischer Hochzinsanleihen nach oben getrieben und zu einer für diesen Anleihebereich eher ungewöhnlichen Überbewertung geführt. „Die Aussicht auf weitere Kursgewinne ist begrenzt, weil die Kurse nur knapp unter den Rückzahlungskursen bei vorzeitigen Einlösungen liegen“, sagt Robert M. Hall, Institutional Fixed-Income Portfolio Manager bei MFS. „Unserer Meinung nach bieten die derzeitigen Gesamtrenditen keinen angemessenen Ausgleich für die Volatilität und die Liquiditätsrisiken, die zu den Kreditrisiken hinzukommen.“
Schwellenländer-Anleihen sind weiterhin attraktiv bewertet. Dennoch kommt es in diesem Bereich stark auf die Einzelwertauswahl an. Die Renditen Dollar-denominierter Anleihen liegen auf Allzeittiefs oder nur knapp darüber, doch die Spreads sind noch immer so hoch, dass die Realrenditen positiv sind. „Selbst bei einem Anstieg der amerikanischen Staatsanleiherenditen wären noch immer ausreichend Gesamterträge möglich“, sagt Hall. Anleihen in Lokalwährungen bieten leichte Renditevorteile gegenüber Dollar-denominierten Papieren. Da zahlreiche Notenbanken in den Schwellenländern ihre Geldpolitik tendenziell lockern, könnten die lokalen Zinsen in den kommenden Monaten zurückgehen. Die stabilen oder sich verbessernden Kreditkennziffern und das gute technische Umfeld stimmen für den langfristigen Marktausblick optimistisch. Kurzfristig ist aufgrund der Ereignisrisiken in Europa aber eine vorsichtige Haltung angebracht. (MFS/mc/ps)
Über MFS
MFS Investment Management ist ein global tätiger Vermögensverwalter mit Investmentbüros in Boston, London, Mexico City, Singapur, Sydney und Tokio. Die Ursprünge des Unternehmens reichen bis zum 21. März 1924 und der Gründung des ersten offenen Publikumsfonds in den USA zurück. Für Privatkunden und institutionelle Anleger in aller Welt verwaltet MFS Vermögen im Wert von 278,2 Mrd. US-Dollar (Stand: 30. Juni 2012). In der Deutschschweiz ist MFS unter der Leitung von Anna Bretschneider und in der Westschweiz von Alain Dupierre vertreten.