Exodus am Bosporus: Attraktive Einstiegschancen für Anleger
Von Dieter Haas und Martin Raab, Derivative Partners Media AG, www.payoff.ch
Der Boom am türkischen Finanzmarkt wurde abrupt unterbrochen. Der Musterknabe unter den Emerging Markets kämpft mit innenpolitischen Tumulten. Nach schmerzhaften Kursverlusten wittern institutionelle Grossanleger neue Chancen. Auch für Privatinvestoren gibt es Kaufgelegenheiten.
Die Türkei und die Wirtschaftsmetropole Istanbul galten bis vor wenigen Wochen gleichermassen als begehrtes Anlageziel und Reiseziel. Die Präferenzen von Investoren und kulturhungrigen Touristen änderten sich jedoch abrupt. Aus einer Demonstration gegen den Umbau des Taksim-Platzes im Zentrum der Millionenstadt Istanbul ist eine Protestbewegung bizarren Ausmasses gewachsen. Die türkische Polizei war in Bananenrepublik-Manier gegen Umweltschützer und «Chaoten» vorgegangen, welche die Abholzung der Parkfläche verhindern wollten. Gemäss Projektbeschrieb soll am neuen Taksim-Platz der Nachbau einer osmanischen Kaserne samt Penthouse-Suiten und Shopping-Mall erstrahlen.
Börse Istanbul im freien Fall
Die geplante «Umweltschutz-Aktion» endete bekanntlich in chaotischen Strassenschlachten. Schon die ersten Fernsehbilder Ende Mai waren Gift für die Finanzwelt. Die Mehrheit der Aktien, die bis dato haussierender Ausdruck des türkischen Wirtschaftsbooms waren, ertranken binnen weniger Stunden in einem Ozean an Verkaufsorders. Nervöse Trader liessen den Markt fallen – wie eine zu heisse Mokka-Tasse. «Die bekannten Aktienindizes der Börse Istanbul, BIST-30 und BIST-100, erlitten den grössten Tagesverlust seit mehr als zehn Jahren. Das Minus dieses Horrortags betrug 10,3%», konstatiert Gökhan Kula, CIO von MYRA Capital, die eindrücklichen Kursverluste. «Die breite Verkaufswelle bei Aktien, Anleihen und der Türkischen Lira bietet inzwischen aber wieder viele Chancen, günstig in den vormals überhitzten Markt zu investieren», so Kula, der als Fondsmanager eine prognosefreie Anlagestrategie auf den türkischen Aktienmarkt verantwortet (siehe auch Interview).
«Nervöse Trader liessen den Markt fallen – wie eine zu heisse Mokka-Tasse.»
Hot Money bekam kalte Füsse
Die Mehrheit der Verkäufe geht auf das Konto nervöser Emerging Markets-Anleger, welche seit ein, zwei Jahren viele Hunderte Millionen an «hot money» in den türkischen Kapitalmarkt investierten. Dominierend war die Jagd nach hoher Rendite, faszinierend die Performance. So triumphierte der türkische Aktienmarkt auf Jahressicht (vor dem Kurssturz gerechnet) mit +60%, auf fünf Jahre lag das Plus gar bei 250%. Nach dem jüngsten Ausverkauf am türkischen Kapitalmarkt sondieren institutionelle Schwergewichte mit mittel- bis langfristigem Anlagehorizont jetzt den günstigen Einstieg. «Die Türkei bietet grossartige Kurschancen», ist Sam Vecht, Head Emerging Markets Equities beim US-Vermögensverwalter BlackRock, weiterhin überzeugt. Ebenfalls auf Zukäufe spebert Eli Koen, Co-Head of Emerging European Equities bei Union Bancaire Priveé: «Nach den jüngsten Kursrückgängen sehen wir einige Kaufgelegenheiten, gerade im türkischen Bankensektor gibt es jetzt viele attraktive Bewertungen. Für uns ist jedes Unternehmen interessant, dessen Kosten in Türkischen Lira anfallen, aber die Umsätze im Ausland in Fremdwährung erwirtschaftet werden», so Koen, der rund USD 140 Mio. in türkischen Aktien verwaltet.
Beeindruckender Wirtschaftsboom
Die Türkei, massgeblich die Metropolregion Istanbul und die Tourismushochburgen im Süden, erfreut sich seit den späten 1990er-Jahren eines rapiden Anstiegs des Bruttoinlandsprodukts (BIP). So ist die Wirtschaft gemessen am BIP allein im letzten Jahrzehnt durchschnittlich um 5% p.a. gewachsen. Das ist mehr als andere Emerging Markets wie beispielweise Brasilien (4,7%) oder Mexiko (3,6%) im Vergleichszeitraum. Massgeblich haben ausländische Direktinvestitionen gepaart mit Strukturreformen zum wirtschaftlichen Boom beigetragen. Der pendente türkische EU-Beitrittsprozess hat das Abschneiden alter Zöpfe drastisch beschleunigt. Ob die Türkei aber je unter das europäische Sternenbanner einrückt, bleibt fraglich. Die Eurokrise hat die Begeisterung vieler Türken für einen vollständigen EU-Beitritt drastisch gemindert. Von der möglichen Euro-Einführung in der Türkei möchten nur noch die wenigsten etwas wissen.
Staatsanleihen eher stabil, Corporates und Lira arg gebeutelt
Alles andere als gemindert haben sich hingegen die Devisenreserven. Die Zentralbank der Republik Türkei verfügt derzeit über Kassenguthaben von USD 134 Mrd., aus diesen Tresoren könnten sofort die ausstehenden, kurzlaufenden Staats-Obligationen getilgt werden. Insgesamt hat die Türkei nach Angaben der Weltbank ausstehende Verbindlichkeiten von USD 307 Mrd. Dank der ansehnlichen Devisenreserven erzeugten die Gewaltausbrüche auf der Strasse für den türkischen Bondmarkt nur bedingt Abgabedruck. Staatsobligationen notieren derzeit leicht schwächer, solche mit bis zu vier Jahren Restlaufzeit sind quasi unverändert. Government Bonds mit langen Laufzeiten kamen dagegen stark unter die Räder. Die türkischen Corporate Bonds, wie Akbank oder Türkiye Garanti Bankasi, haben sich von den Kursverlusten bis dato noch nicht erholt. Die Türkische Lira musste seit Ende Mai gegenüber dem Schweizer Franken und Euro rund 6% Federn lassen, zum US-Dollar fiel die Kursbewegung mit -2% eher minim aus. Anleger, die auf die Bonität der Türkei als Renditefaktor setzen möchten, bietet die Landesbank Berlin (als einziges Institut in der deutschsprachigen Region) eine Credit-Linked-Note. Die ISIN lautet DE000LBB2JL5. Das in Frankfurt börsengehandelte Produkt rentiert aktuell mit rund 4.20%.
«Institutionelle Schwergewichte mit mittel- bis langfristigem Anlagehorizont orten jetzt erstklassige Chancen.»
Ausgewählte Tracker langfristig empfehlenswert
Die Chancen und Risiken des lokalen Aktienmarktes stehen nahe beieinander und erfordern einen langfristigen Horizont für maximalen Erfolg. Beim Kauf von Tracker-Zertifikaten auf den türkischen Markt sollten daher nur endlos laufende Papiere wie TURKE, ein Tracker der Royal Bank of Scotland (RBS) auf den DJ Turkey Titans 20 Index, oder DB0AMD, ein Tracker auf den BIST-30, vormals ISE 30 Index, emittiert von der Deutschen Bank (siehe Product News), gewählt werden. Alternativ bieten Lyxor und BlackRock/iShares je einen Türkei-ETF an. LYTUR von Lyxor ist ebenfalls bezogen auf den DJ Turkey Titans 20 Index, der ITKY iShares ETF ist an den MSCI Turkey Index gelinkt. Beide Indizes werden von Finanzwerten (ca. 55%) dominiert, Konsumgüter sind jeweils mit rund 12% gewichtet. In Sachen Gebühren wird bei TURKE keine Management-Fee erhoben, einzig der Bid-/Ask-Spread (derzeit rund 1,35%) dient der Kostendeckung. Bei LYTUR schlagen 0,65% TER plus aktuell 0,40% Spread zu Buche, bei ITKY kommen 0,74% plus derzeit 0,30% Spread hinzu. Deutlich günstiger sind die beiden ETFs gegenüber den Tracker-Zertifikaten durch den Vola-Spike nicht mehr wirklich.
Geldmarkt als Alternative
Eine defensivere Anlagemöglichkeit bieten Partizipationsprodukte auf den türkischen Geldmarkt, der im Vergleich zum hiesigen mit ansprechenden Renditen aufwartet. Das bescherte VXTRD, einer Money-Market Note der Bank Vontobel auf den 6-Monats Total Return Swap der Türkischen Lira, und TRYZZ, einem vergleichbaren Produkt der Royal Bank of Scotland auf den Overnight-Satz der türkischen Notenbank, bis vor Kurzem solide Erträge. Wegen der Schwäche der Türkischen Lira ging in den letzten Wochen jedoch ein Teil der aufgelaufenen Gewinne flöten – das Potenzial für einen Rebound bleibt aber greifbar.
«Die Chancen und Risiken des lokalen Aktienmarktes stehen nahe beieinander und erfordern einen langfristigen Horizont für maximalen Erfolg.»
Gehebelte Währungswette
Dreh- und Angelpunkt bei Anlagen in der Türkei ist die Währung. Und diese bleibt, wie erwähnt, ein volatiles Element. Es empfiehlt sich daher bis auf Weiteres, die Wechselkursrisiken systematisch abzusichern. Leider findet sich kein adäquates auf den CHF bezogenes Produkt. Investoren müssen somit auf den Euro ausweichen. Infrage kommt der defensivste auf www.payoff.chaufgeschaltete, an der Scoach Deutschland kotierte Call Warrant DX5DBL auf EUR/TRY. Er zählte zu den Profiteuren der politischen Krise um den Ministerpräsidenten Erdogan. Spekulanten mit dem richtigen Riecher konnten damit bereits eine schöne Ernte einfahren. Das Potenzial des angesprochenen Hebelproduktes ist – einhergehend mit der wohl anhaltenden Volatilität – längst nicht ausgeschöpft.
Stiller Protest schreckt Anleger nicht
Bis zum Verfall von DX5DBL in knapp einem Jahr dürfte die Finanzwelt noch einige Headlines zu den Stichworten «Turkey» und «Istanbul Stock Exchange» sehen. Die aktuelle Entwicklung hin zu mehr oder weniger stillen Protesten halten unterdessen die Anlegerschaft aber nicht davon ab, Positionen aufzubauen bzw. günstig nachzukaufen. So konnte das Istanbuler Aktienbarometer BIST-100 bzw. ehemals ISE-100 in den letzten Tagen schon über 4% zulegen. «Uns erreichen viele Anfragen von Neukunden, die jetzt auf Emerging Markt-Flair mit günstiger Bewertung setzen möchten und dabei noch eine prognosefreie Investment-Strategie auf den türkischen Aktienmarkt wünschen» erklärt Fondsmanager Kula. Unterdessen kehrt am Bosporus wieder Normalität ein. Selbst die EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei starten wieder, wenn auch erst im Herbst. Hoffentlich keine Relevanz mehr in nächster Zeit haben die Stichworte #gezipark oder gar #turkishspring. Sonst droht Anlegern eine kalte Dusche – so wie den Demonstranten in der Türkei.
Wirtschaftswunder auf Türkisch
Nach Jahren der Rekorde ist der Kursboom an der Börse Istanbul abrupt gestoppt worden. Doch besorgten Anlegern mit bestehendem Türkei-Exposure kann Entwarnung gegeben werden: Auch wenn die jüngst en Kursverluste kurzfristig schmerzen bzw. die Volatilität kurzfristig anhalten wird – die aktuellen Ereignisse wirken positiv auf die türkische Gesellschaft und letztlich den Kapitalmarkt. Der Binnenkonsum ist robust, die Direktinvestitionen mit über USD 12 Mrd. in 2012 die höchsten der östlichen Mittelmeer-Region und die Inflationsrate mit rund 6% dem Wachstum angemessen. Damoklesschwert für die künftige Wirtschaftspolitik könnten die Präsidentschaftswahlen (August 2014) und Parlamentswahlen (Juni 2015) werden. Doch ist es zu früh, jetzt Vorhersagen über die Zukunft der AKP-Regierung zu treffen. Der «Pro-Business-Kurs» der AKP scheint weiterhin gültig – genauso wie der schleichende Versuch, den Koran strenger auszulegen.