«Glaubwürdigkeit verspielt»: Experten kritisieren Fed-Entscheid
In der Kritik: Fed-Chef Ben Bernanke.
Frankfurt am Main – Die überraschende Entscheidung der US-Notenbank Fed, weiter ungebremst Billiggeld zu drucken, wird von Experten heftig kritisiert. Die Währungshüter hatten am Mittwochabend beschlossen, den Umfang der monatlichen Käufe von Staatsanleihen und Hypothekenpapieren weiter bei 85 Milliarden US-Dollar zu belassen. Analysten und Finanzmärkte wurden auf dem falschen Fuss erwischt – sie waren auf eine Drosselung eingestellt.
«Unserer Ansicht nach haben Ben Bernanke und seine Fed gestern Abend ihr letztes Stück an Glaubwürdigkeit verspielt», kommentierten die Analysten vom Bankhaus Metzler. «Denn was muss man schlussfolgern, wenn der Chef der US-Notenbank nicht in der Lage ist, die Konjunktur einigermassen sicher drei Monate im Voraus abzuschätzen.» Die Fed hatte ihren fehlenden Kurswechsel damit begründet, dass Wirtschaft und Arbeitsmarkt noch zu schwach seien, um die geldpolitischen Stützen abzubauen.
Kritik an der Fed-Kommunikation
Harte Kritik kommt auch von den Experten der Commerzbank. Zu Recht stellten sich viele Marktteilnehmer nun wohl die Frage, was Hinweise der Fed letztlich wert seien. «Wir jedenfalls hätten erwartet, dass einige Notenbanker Interviews in den letzten Wochen genutzt hätten, um dem Markt zu signalisieren, dass der September noch keine beschlossene Sache ist.» Das sei nicht geschehen und stelle die Kommunikation der Fed in ein schlechtes Licht.
Risiko eines «grossen Absturzes»
ZEW-Präsident Clemens Fuest hält die derzeitige lockere Geldpolitik der Fed für sehr riskant. Zwar seien die Konjunkturnachrichten der letzten Zeit aus den USA nicht so toll gewesen. Es überrasche dennoch sehr, dass die US-Notenbank ihre Staatsanleihenkäufe, anders als ursprünglich angekündigt, nicht reduziere, sagte der Ökonom am Donnerstag im Deutschlandradio Kultur. Wenn die Anleihekäufe am Ende tatsächlich eingestellt würden, bestehe das grosse Risiko, «dass dann ein grosser Absturz droht», warnte der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
Die Notenbank habe eine Chance verpasst, resümiert Anlagestratege Frank Engels vom Fonds-Anbieter Union Investment. «Die Fed dürfte Angst vor den Geistern bekommen haben, die sie im Mai diesen Jahres noch selbst rief.» Damals hatte Notenbankchef Bernanke erstmals konkret den Einstieg in den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik umrissen. Die Märkte reagierten damals extrem auf den befürchteten Billiggeld-Entzug. Laut Experte Engels dürfte die Furcht, dass steigende Marktzinsen beispielsweise für Immobilienkredite, den Aufschwung im privaten Häusermarkt sowie die nach wie vor verhaltene Konsumnachfrage übermässig belasten könnten, die Fed zum Umdenken gebracht haben.
Nächster Termin Dezember
VP Bank-Chefökonom Thomas Gitzel schreibt in seinem Kommentar, für einen etwaigen Wechsel der US-Geldpolitik zeichne sich nun als nächstmöglicher Termin die Fed-Sitzung im Dezember ab. Nach der Freude an den Märkten über die Fed-Entscheidung dürften nun die anstehenden Budget- und Schuldenobergrenzen-Verhandlungen in den Blickpunkt rücken.
Finanzmärkte bejubeln anhaltende Geldflut
Währenddessen feiern die internationalen Finanzmärkte euphorisch die anhaltende Geldflut der US-Notenbank. Die überraschend aufgeschobene geldpolitische Wende löste weltweit ein Kursfeuerwerk aus. Marktstratege Robert Halver von der Baader Bank kommentierte: «Die US-Notenbank geht auf Nummer sicher und will kein Konjunktur- oder Zinsrisiko eingehen.» Vorerst sei klar: «Money makes the markets go round», sagte Halver.
Dollar massiv unter Druck
Auch am Devisenmarkt waren die Reaktionen heftig. Der US-Dollar fiel mit der Aussicht auf eine unverändert hohe Geldschwemme deutlich zurück.
Besonders stark fiel die Reaktion in den Schwellenländern aus. Sie waren in den letzten Monaten massiv unter Druck geraten, weil erwartet wurde, dass die Fed aus ihrer Billiggeldpolitik aussteigt. Ausländische Investoren hatten bereits in erheblichem Umfang Gelder abgezogen. Insbesondere in Südostasien legten Aktien, Währungen und die Kurse von Staatsanleihen auf breiter Front zu. Vor allem die Börsen in Indonesien, Thailand, Indien und den Philippinen stiegen kräftig.
Ökonomen sehen positive Auswirkungen des Fed-Entscheids für Schweizer Wirtschaft
Für die Schweizer Wirtschaft ist der Entscheid der Fed, den Fuss nicht vom Gaspedal ihrer Geldpolitik zu nehmen, positiv. Diese Ansicht vertreten verschiedene Ökonomen. Das sei eine gute Nachricht für die hiesige Exportwirtschaft, sagte zum Beispiel ZKB-Ökonom David Marmet im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda. Die Ausfuhren dürften Rückenwind erhalten.
Maxime Botteron, Ökonom der Credit Suisse, teilt die Ansicht. Denn die jüngsten Unternehmensbefragungen in der Euro-Zone und in den USA seien positiver ausgefallen. «Das deutet darauf hin, dass die Nachfrage nach Schweizer Produkten in den nächsten Monaten steigen sollte», sagte Botteron.
Anstieg der Hypozinsen wird gebremst
Der deutliche Anstieg der hiesigen Hypothekarzinsen in den letzten Monaten dürfte gebremst werden, sagte Marmet weiter. Die Frage sei aber, ob der Effekt des Fed-Entscheids kurz sei oder länger anhaltende Auswirkungen haben werde.
Dennoch rechnen beide Ökonomen mit steigenden Zinsen in der nächsten Zeit: Die Rendite der zehnjährigen Bundesobligation dürfte in nächsten zwölf Monaten 1,4% erreichen, sagte Botteron. ZKB-Ökonom Marmet prognostiziert gar ein Niveau von 1,6%. Damit bietet sich auch Raum für eine Erhöhung der Zinsen der Kassenobligationen. Das sei aber Geschäftsentscheidungen der einzelnen Banken, sagte Marmet. Einige Institute haben bereits in den letzten Wochen die Zinsen für längerfristige Kassenobligationen leicht erhöht. (awp/mc/pg)