EY: Banken sind weniger euphorisch als im Vorjahr
Zürich – Die Geldpolitik der wichtigsten Zentralbanken ist seit der Finanzkrise 2007 durch eher unkonventionelle Massnahmen wie Negativzinsen sowie umfassende Anleihekauf-Programme geprägt. Zudem waren die Banken mit einer Flut neuer Regulierungen konfrontiert. Neben den deutlich verschärften Eigenmittel- und Liquiditätsvorschriften ist hierzu auch die Sicherstellung des Einzugs von Steuergeldern zu zählen, welche zu einer tiefgreifenden Transformation des grenzüberschreitenden Vermögensverwaltungsgeschäfts der Schweizer Banken geführt hat.
Diese Entwicklungen stellen die Banken vor enorme Herausforderungen. «Die Tiefzinspolitik hat die Margen im Kreditgeschäft schmelzen lassen und die Zinserträge konnten nur durch eine markante Ausweitung des Kreditgeschäftes stabil gehalten werden. Und auch im Kommissionsgeschäft mussten die Banken schmerzhafte Margeneinbussen verkraften» gibt Patrick Schwaller, Managing Partner, Audit Financial Services bei EY in der Schweiz, zu bedenken.
Trotz des anspruchsvollen Marktumfelds blicken die Banken grundsätzlich positiv in die Zukunft. Insgesamt rechnen 78 Prozent für die kommenden sechs bis zwölf Monate mit zunehmenden Geschäftsergebnissen (Vorjahr: 82 Prozent). Dennoch ist festzuhalten, dass die Schweizer Banken sich mit der Geschäftsentwicklung des vergangenen Jahres weniger zufrieden zeigen als im letzten Jahr. Nur noch 19 Prozent – dies ist der tiefste Wert seit 2011 – beurteilen die Geschäftsentwicklung im abgelaufenen Geschäftsjahr als klar positiv. «Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Euphorie des Vorjahres verflogen und eine verstärkte Verunsicherung zu spüren ist», bemerkt Schwaller.
So haben sich auch die Einschätzungen der Banken im Hinblick auf die Zukunftsaussichten der einzelnen Geschäftsbereiche allesamt merklich eingetrübt. «Für sämtliche Geschäftsbereiche sehen die Banken heute im Vergleich zum Vorjahr weniger gute Zukunftsaussichten», ergänzt Olaf Toepfer, Leiter Banking & Capital Markets bei EY Schweiz. Am stärksten trifft diese Entwicklung auf das das Investment Banking (minus 26 Prozentpunkte) und das Asset Management (minus 13 Prozentpunkte) zu. Zudem gehen 63 Prozent der befragten Banken davon aus, dass die Wertschöpfung der Banken in Zukunft nicht zunehmen wird. «Der Strukturwandel, die Digitalisierung, die Margenerosion im Bankgeschäft sowie die ausserordentlichen volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen: All diese Entwicklungen führen bei den befragten Banken offenbar zur Überzeugung, dass die Wertschöpfung der Schweizer Banken nicht wesentlich wachsen wird», erläutert Toepfer.
Phase des überdurchschnittlichen Kreditwachstums könnte an ihr Ende kommen
Die Schweizer Banken haben in den vergangenen Jahren ihr Hypothekarvolumen massiv ausgeweitet. Dieses hat sich seit dem Jahr 2000 geradezu verdoppelt. Doch die Dynamik am Hypothekarmarkt scheint sich merklich zu verlangsamen. So rechnen heute 44 Prozent der Banken damit, dass sie bei Wohnbaufinanzierungen künftig eine restriktivere Kreditpolitik verfolgen werden. Dies ist ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr (34 Prozent). 55 Prozent der Banken beabsichtigen hingegen die Kreditvergabepolitik der letzten Jahre weiterzuverfolgen (Vorjahr: 62 Prozent). Und nur noch eine einzige der befragten Banken geht von einer expansiveren Kreditvergabepolitik aus.
«Die verstärkte Zurückhaltung der Banken ist wenig überraschend. Der Hypothekarmarkt zeigt nach einer lang anhaltenden Expansionsphase sowohl Sättigungstendenzen als auch Überhitzungssymptone in einzelnen Regionen und Segmenten» stellt Schwaller fest.
Negativzinsen belasten die Banken – Bereitschaft zur Weitergabe dieser Kosten steigt
Die Banken ächzen unter den Negativzinsen und beurteilen die Tiefzinspolitik von Jahr zu Jahr negativer. Bislang konnten die Banken einen Einbruch ihres Zinsergebnisses durch eine massive Volumenausweitung ihrer Kreditbücher verhindern. Doch der Hypothekarmarkt zeigt Sättigungstendenzen und das in den vergangenen Jahren beachtliche Wachstum lässt sich so sicherlich nicht in die Zukunft fortschreiben. «Damit droht das Profitabilitätsproblem der Banken sich langfristig zu verschärfen», mahnt Schwaller. Es mag daher nicht verwundern, dass die Bereitschaft der Banken, die Belastungen der Negativzinsen alleine zu tragen, von Jahr zu Jahr abnimmt.
Haben im Jahr 2015 noch 70 Prozent der befragten Banken die Weitergabe von Negativzinsen kategorisch ausgeschlossen, sind es zwischenzeitlich nur noch 34 Prozent. Zudem gibt immerhin ein Drittel der befragten Banken an, den Schwellenwert zur Weiterbelastung von Negativzinsen in absehbarer Zeit senken zu wollen. «Im Retailkundengeschäft stellen solche Massnahmen für die allermeisten Banken aber weiterhin ein Tabu dar und es ist derzeit kaum vorstellbar, dass Kundenvermögen von unter CHF 100‘000 in naher Zukunft mit Negativzinsen belastet werden», gibt Schwaller Entwarnung.
Die Banken wollen weiter wachsen – dabei steht das Anlagegeschäft im Fokus
Die Banken möchten weiter wachsen und legen den strategischen Fokus wieder vermehrt auf Innovation und Wachstum. Während in den letzten Jahren insbesondere im Kreditgeschäft ein starkes Wachstum erzielt wurde, sieht die Mehrheit der Banken das grösste Wachstumspotenzial nun im Anlagegeschäft. Ob diese Diversifikationsstrategie tatsächlich für die Mehrheit der Banken die erhofften Früchte bringen wird, bleibt jedoch abzuwarten. «Denn vermutlich ist die Summe der Ambitionen der Banken im Anlagegeschäft mit Schweizer Kunden grösser als das effektive Marktpotenzial», mahnt Toepfer.
Banken wollen weitere Lockerungen bei den Regulierungsschrauben
Die FINMA lancierte im Juli letzten Jahres die Pilotphase für das «Kleinbankenregime», welches konkrete Erleichterungen in der Regulierung für Kleinbanken (d.h. Banken der Aufsichtskategorien 4 und 5) mit sich bringt. Die Mehrheit der Banken (56 Prozent) – insbesondere die kleinen und mittelgrossen Institute – begrüssen die Lockerung der Regulierungsschraube. «Für viele Banken gehen die regulatorischen Erleichterungen aber noch zu wenig weit und die Banken wünschen eine Ausweitung des Kleinbankenregimes auf weitere Banken sowie auf weitere Regulierungsbereiche» sagt Schwaller.
Die im Vorjahr klar erkennbare Hoffnung, dass die Regulierungsbestrebungen und die damit verbundenen Kosten ihren Höhepunkt überschritten haben und eine Normalisierung mit weniger Regulierung und geringeren Kosten eintreten wird, hat sich bislang noch nicht materialisiert. So rechnet in diesem Jahr wieder weniger als ein Drittel der befragten Banken damit, dass der Finanzsektor künftig weniger reguliert wird. Gleichzeitig denken 82 Prozent der Banken, dass die Kosten für die Regulierung auch in der Zukunft hoch bleiben und nicht nachhaltig sinken werden.
Digitalisierung und Strukturwandel trifft Retailbanken zuerst
Die Banken sind sich einig, dass der Zahlungsverkehr (47 Prozent; minus 8 Punkte) gefolgt von der Anlageberatung (17 Prozent; minus 3 Punkte) sowie dem Kreditgeschäft (14 Prozent, +6 Punkte) nach wie vor am stärksten vom Strukturwandel betroffen sind. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die Schweizer Banken vor allem Marktplätze bzw. Plattformen (37 Prozent; +18 Punkte) und Blockchain (28 Prozent; unverändert) als grösste Bedrohung für ihr Geschäft angesehen. Insbesondere Retailbanken (61 Prozent) sehen gerade in den Marktplätzen und Exchange-Plattformen eine hohe Bedrohung für ihr Geschäft. Dies ist nicht verwunderlich, zumal oftmals über 75 Prozent des Geschäftsertrags dieser Banken aus dem Zinsgeschäft stammen. Aktuelle Marktplätze steigern die Transparenz im Markt und bieten Konsumkredite, Unternehmenskredite und Hypotheken teilweise zu günstigeren Preisen an. Zudem werden dadurch die Eintrittsbarrieren für Versicherungen und Pensionskassen in den Hypothekarmarkt begünstigt. «Die Ergebnisse zeigen, dass der Strukturwandel zuerst das Retail Banking treffen wird» zeigt Toepfer auf.
Kundennähe und hohe Beratungsqualität zur Sicherung der Kundenschnittstelle
Die Schweizer Banken gehen davon aus, dass Kundennähe (40 Prozent) und hohe Beratungsqualität (27 Prozent) letztlich die entscheidenden Faktoren sind, um auch in Zukunft die Kundenloyalität sicherzustellen. Und die Mehrheit der Banken (rund zwei Drittel) ist überzeugt, dass sie auch in Zukunft die Kundenschnittstelle verteidigen können und relevant für das Alltagsleben der Verbraucher sein werden. Allerdings zeigen andere Studien, in welchen vor allem die Kunden befragt wurden, dass im Hinblick auf das Kundenverständnis die Bankbranche anderen Industrien deutlich hinterher hinkt. Vielfach ist noch unklar, was die effektiven Kundenbedürfnisse sowie impliziten Treiber von Kundenentscheidungen sind. «Eine Kundenbearbeitung und –betreuung nach klassischen Merkmalen ist für zukunftsfähige Geschäftsmodelle vermutlich nur bedingt zielführend», ergänzt Schwaller. (EY/mc/pg)
Informationen zur Studie
Das EY Bankenbarometer basiert auf der Befragung von 100 Führungskräften (Mitglieder der Geschäftsleitung) von verschiedenen Banken in der ganzen Schweiz. Auch die Schweizer Einheiten der zwei Grossbanken wurden befragt; ihre Einschätzungen sind in die generellen Auswertungen eingeflossen, wurden aber in den Auswertungen nach Bankentyp nicht berücksichtigt. Bei 33 Prozent der befragten Institute handelt es sich um Privatbanken, bei 28 Prozent um Auslandsbanken, bei 21 Prozent um Kantonalbanken und bei 18 Prozent um Regionalbanken. 69 Prozent der Institute stammen aus der Deutschschweiz, 24 Prozent aus der Westschweiz und 7 Prozent aus dem Tessin. Die Befragung wurde im November 2018 durchgeführt. Die Erhebung und Auswertung der Daten erfolgte durch EY in der Schweiz.
Über die globale EY-Organisation
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