EY Bankenbarometer 2023: Zinswende als Wendepunkt zurück zur Normalität?

Patrick Schwaller, Managing Partner Audit Financial Services bei EY in der Schweiz. (Bild: EY)

Zürich – Die Banken in der Schweiz erleben eine Zeit der Wendepunkte und stehen neuen Herausforderungen gegenüber. Das Jahr 2022 war geprägt von Unsicherheiten, welche die Geopolitik und die Weltwirtschaft bestimmten. Der Optimismus, mit dem die Schweizer Banken nach dem fantastischen Geschäftsjahr 2021 in das neue Kalenderjahr starteten, wurde durch den Ausbruch des Krieges in der Ukraine jäh gebremst. 

Die Umfrageergebnisse des neusten EY Bankenbarometers zeigen: Für die Institute sind die wichtigen Themen der nächsten Zeit neben Zinswende und Inflation, Kostenersparnisse, Effizienzsteigerung, bedürfnisorientierte Kundenberatung und Nachhaltigkeit. Zu diesen Herausforderungen gesellt sich neu auch die Suche nach den passenden Mitarbeitenden – auch die Banken sind nach eigenen Aussagen vom Fachkräftemangel betroffen.

Das sind die Ergebnisse des jährlich erhobenen EY Bankenbarometers 2023. Das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen EY in der Schweiz präsentiert die Studie in diesem Jahr zum 13. Mal. Für das Bankenbarometer wurden im November 2022 insgesamt 100 Banken in der Schweiz befragt. 

Bemerkenswerte Resilienz 
Die Geschäftsjahr 2022 war äusserst turbulent – Kriegsausbruch auf europäischem Boden, Energiekrise, Börsenbaisse, rekordhohe Inflationsraten sowie das Ende des Negativzinsregimes prägten das Umfeld der Schweizer Banken. All diesen Turbulenzen zum Trotz zeigen sich die Schweizer Banken weiterhin als sehr resilient. 78% der befragten Institute erkennen eine durchaus positive Entwicklung des operativen Ergebnisses für das soeben abgeschlossene Geschäftsjahr 2022. 

Der Anteil derjenigen Institute, die einen Rückgang im operativen Ergebnis 2022 erwarten, liegt bei 22% (Vorjahr: 13%). In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass aufgrund der Börsenbaisse nun vor allem Vermögensverwaltungsbanken etwas verhaltener sind, als noch vor Jahresfrist.

Operatives Geschäft: Kurzfristig verhalten, langfristig so positiv wie nie
Die im Vergleich zum Vorjahr etwas defensiveren Einschätzungen zeigen sich auch in den Prognosen für die kurzfristige Zukunft (ein bis zwei Jahre) der Banken. Kurzfristig fällt das «Optimismusbarometer» auf noch 78% (Vorjahr 87%). Der Anteil der Banken, welche in der kurzen Frist eine negative Geschäftsentwicklung erwarten, hat sich innert Jahresfrist praktisch verdoppelt und beläuft sich nun auf 22% (Vorjahr 13%). Das von Unsicherheiten geprägte Umfeld trübt zumindest kurzfristig die Geschäftsaussichten ein.

Auf lange Sicht zeigt sich allerdings ein ganz anderes Bild: Mit einem Rekordwert von 98% (Vorjahr: 86%) blicken die Banken in der Schweiz so optimistisch in die längerfristige Zukunft wie noch nie. Die Hauptursache ist in der lange ersehnten Zinswende zu erkennen. «Dieser Wendepunkt ermöglicht es den Banken wieder, die Marge in dem für sie so zentralen Zinsdifferenzgeschäft nachhaltig zu verbessern. Das wird in der langen Frist zu vielen positiven Auswirkungen führen, welche die kurzfristigen Anpassungseffekte überwiegen werden.», sagt Patrick Schwaller, Managing Partner Audit Financial Services bei EY in der Schweiz.

Inflation und steigende Zinsen erhöhen (kurzfristig) die Kreditrisiken 
Die Banken erwarten, dass die Inflation nicht so schnell verschwinden wird. So rechnen 74% der Banken damit, dass die Inflation auch in den nächsten ein bis zwei Jahren durchaus über dem definierten Ziel von 2% pro Jahr bleiben wird. Daher ist auch nicht erstaunlich, dass sich nun die Einschätzung der Banken zu dem für sie anspruchsvollsten Zinsszenario gegenüber den Vorjahren markant verändert hat. Rasch steigende Zinsen werden von 37% der Banken (Vorjahr 26%) als die grösste Herausforderung identifiziert. Dies gilt vor allem für Regionalbanken und Kantonalbanken.Die steigenden Zinsen dürften laut den Banken in der Schweiz auch Folgen für das Kreditgeschäft haben: 31% der befragten Banken (Vorjahr: 12%) gehen kurzfristig von höheren Wertberichtigungen bei den Wohnbaufinanzierungen aus und 59% (Vorjahr 36%) rechnen kurzfristig mit einem deutlich höheren Risikovorsorgebedarf für KMU-Kredite. Das sind deutlich mehr Banken als noch im Vorjahr.

«Die erwartete Zunahme der Kreditausfälle ist letztlich als Wendepunkt auf dem Weg zur Normalität im Schweizer Bankgeschäft zu beurteilen. Ausfallrisiken gehören zum Bankgeschäft. In den letzten Jahren hatten wir es jedoch mit einer historischen Ausnahmesituation zu tun, bedingt durch das Negativzinsumfeld und staatliche Corona-Hilfen für Unternehmen.», sagt Patrick Schwaller.

Strukturwandel: Technologische Innovation und bedürfnisorientierte Kundenberatung
Das aktuelle Bankenbarometer zeigt: Schweizer Banken sehen technologische Innovation als den primären Treiber des Strukturwandels (50%). Veränderte Kundenerwartungen treiben für 49% der befragten Banken den Wandel. «Die Banken haben die regulatorischen Veränderungen und das Negativzinsumfeld der vergangenen Jahre sehr gut bewältigt. Für eine nachhaltige Verbesserung der Wertschöpfungskraft ist für die Zukunft eine Erhöhung der Kundenzentrierung unumgänglich», sagt Olaf Toepfer, Partner, Leiter Banking & Capital Markets bei EY in der Schweiz.

Wie in den Jahren zuvor erhoffen sich die Banken, durch eine Systematisierung des Vertriebs (45%), ein besseres Kundenerlebnis (42%) und bessere Produkte (30%) wachsen zu können. Paradox ist allerdings, dass sie dem Aufbau eines besseren Kundenverständnisses keine Priorität einräumen. «Ohne ein tiefgreifenderes Verständnis der Kunden wird es kaum möglich sein, diese mit ihrem zunehmenden Bedarf zu beraten und damit die Kundenbindung zu erhöhen und die Gebühren zu rechtfertigen», sagt Olaf Toepfer.

Ein Wendepunkt lässt sich bei der Einstellung der Banken bezüglich ihrer Gebühren feststellen: Im Gegensatz zu den Vorjahren geben nur 2% der Banken an, ihre Gebühren erhöhen zu können (Vorjahr: 7%).

Effizienz, Kosten und die Auswirkungen des Fachkräftemangels
Noch im letzten Jahr gaben 60% der Banken an, sich auf die Steigerung der Erträge und Innovation konzentrieren zu wollen – ein Höchstwert der letzten sechs Jahre. Auch diesbezüglich ist eine Wende festzustellen: Bloss noch 40% der befragten Institute gaben an, Wachstum und Innovation zu priorisieren. Im Gegenzug haben «Kostensenkung und Effizienzsteigerung» deutlich zugelegt und werden in diesem Jahr von 36% (Vorjahr: 19%) der Banken als Fokusthema genannt. «Vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen und geopolitischen Unsicherheiten erstaunt die Verschiebung vom Wachstumsfokus zu Kostendisziplin und Effizienzsteigerung nicht wirklich», sagt Patrick Schwaller. 

Unter Druck stehen die Banken in der Schweiz auch bei der Suche nach geeigneten Mitarbeitenden: Der Fachkräftemangel macht sich im Schweizer Finanzsektor deutlich bemerkbar. Die in diesem Jahr erstmals in der Umfrage berücksichtigten Aktivitäten im Bereich Personalwesen steigen direkt in den obersten Rängen ein. Bei der Frage nach den wichtigsten «Themen und Aktivitäten» rangieren «Mitarbeiter Rekrutierung» und «Mitarbeiter Entwicklung» auf den Rängen zwei und drei – direkt nach dem seit Jahren bestimmenden Thema «Cybersecurity», welches diese Rangliste zum sechsten Mal in Folge anführt.

Mit verbesserter Unternehmenskultur Attraktivität steigern
Bei der Frage, mit welchen Massnahmen die Institute die Herausforderungen bei der Rekrutierung von neuen Mitarbeitenden am besten begegnen, sehen 41% der Befragten die Lösung in Aspekten der Unternehmensführung. So erwähnt jede vierte Bank «Kultur und Leadership» als grösste Herausforderung und immerhin 16% nennen das Thema «Strategie und Zweck». Danach (20%) folgen gleich auf die Entfaltung und Weiterentwicklung von Mitarbeitenden sowie eine Erhöhung deren Wohlbefindens. Am wenigsten Bedeutung räumen die Banken den monetären Leistungen (12%) ein. «Die Banken in der Schweiz geben die Kultur als wichtigen Wertetreiber für die Rekrutierung und Entwicklung von Mitarbeitenden an – eine Kultur nachhaltig zu verändern braucht jedoch Zeit und kann nicht kurzfristig mit monetären Elementen verändert werden», sagt Isabelle Staiger, Partnerin, People and Workforce bei EY in der Schweiz.

Nachhaltigkeit wird zum Branchenstandard
Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten scheint mittlerweile im Anlagegeschäft der Schweizer Banken fest verankert zu sein. Im Jahr 2022 geben 96% der Banken an, Nachhaltigkeit bereits oder in Zukunft in der Anlageberatung zu integrieren. Nur noch 4% (Vorjahr 11%) der Banken geben an, keine Nachhaltigkeitsaspekte in der Anlageberatung zu berücksichtigen. Eine zunehmende Relevanz der Nachhaltigkeit lässt sich auch bei der Kreditvergabe an kommerzielle Kunden erkennen. Mit 56% (Vorjahr 46%) beabsichtigt erstmals mehr als die Hälfte der Banken in Zukunft Nachhaltigkeits-Faktoren bei der Kreditvergabe an kommerzielle Kunden zu integrieren.

Trotz der anhaltenden Regulierungswelle sind im Vergleich zum Vorjahr (40%) nur noch 34% der Schweizer Banken der Auffassung, dass der Status Quo an Regularien mit Nachhaltigkeitsbezug zufriedenstellend ist. «Vor dem Hintergrund der mangelnden Vergleichbarkeit sowie der unterschiedlichen Auslegung und Umsetzung von Bank zu Bank ist es wenig überraschend, dass sich die Banken eine weitere Konkretisierung bestehender Regularien wünschen», sagt Corina Grünenfelder, Leiterin Sustainable Finance Consulting for Financial Services bei EY in der Schweiz. (EY/mc/ps)

Exit mobile version