EY: Fehlende Kompetenzen und geringe regulatorische Vorbereitung bremsen KI-Einführung bei Finanzdienstleistern
Zürich – Führungskräfte im europäischen Finanzdienstleistungssektor haben bereits Künstliche Intelligenz (KI) und Generative KI (GenAI) in ihre Betriebsabläufe integriert, bisher primär um Produktivitäts- und Effizienzsteigerungen zu erzielen. Dies geht aus einer Umfrage des Wirtschafts- und Beratungsunternehmen EY zu KI im europäischen Finanzsektor hervor. Allerdings schätzen sich nur 9% (CH: 13%) der Befragten in Europa als führend in diesem Bereich ein. Obwohl die Ambitionen der Führungskräfte für ein stärker KI-gestütztes Geschäft hoch sind und 28% (CH: 21%) angeben, die Einführung von KI im letzten Jahr insgesamt beschleunigt zu haben, befinden sich die meisten Unternehmen, insbesondere im Hinblick auf GenAI, noch in frühen, experimentellen Phasen.
Die neuen Umfragedaten, welche die Meinungen von Führungskräften aus über 100 europäischen Finanzdienstleistungsunternehmen, rund 20 davon aus der Schweiz, mit einer Gesamt-Marktkapitalisierung von rund 880 Milliarden Euro wiedergeben, zeigen, dass nur 31% (CH: 30%) der Unternehmen glauben, mit der Integration von KI auf Kurs zu sein. Lediglich 11% (CH: 8%) der Führungskräfte geben an, dass ihr Unternehmen auf bevorstehende KI-Regulierungen vorbereitet ist. Obwohl 78% (CH: 75%) aller Befragten anerkennen, dass die Belegschaft nur eine begrenzte bis gar keine Erfahrung mit den neuesten GenAI-Technologien hat, haben nur 25% (CH: 17%) der Befragten in Europa neue Schulungs- und Weiterbildungsprogramme eingeführt. 60% (CH: 63%) befinden sich noch in der Planungsphase.
Roger Spichiger, AI Leader Financial Services bei EY Schweiz, sagt zur Befragung: «Generative KI (GenAI) bleibt ein zentrales Thema auf der Agenda von Führungspersonen im Finanzdienstleistungssektor und verspricht mittelfristig neben Produktivitätsgewinnen auch das Erschliessen von neuen Wachstumspotenzialen. Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass die Nutzung von KI – und zunehmend GenAI – bahnbrechend ist. Doch die Implementierung und vor allem Skalierung einer sich schnell weiterentwickelnden Technologie, ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines begrenzten Risikoappetits und knapper vorhandener interner Fähigkeiten komplex und herausfordernd. Während einige Unternehmen grosse Fortschritte bei der Einführung von KI gemacht haben und echte Vorteile sehen, kämpfen viele noch damit, Schritt zu halten.»
KI könnte bis zu einem Drittel der Finanzjobs in Europa beeinflussen
Die Mehrheit (EUR: 66%, CH: 79%) der befragten Führungskräfte glaubt, dass im kommenden Jahr ein Viertel der aktuellen Stellen im europäischen Finanzdienstleistungssektor durch die fortschreitende Integration von KI betroffen sein könnten. 93% (CH: 100%) der Führungskräfte geben an, dass 10% der Rollen überflüssig werden könnten. Dennoch haben nur maximal ein Viertel (EUR: 25%, CH: 17%) der befragten Unternehmen in Europa ein etabliertes Schulungsprogramm. 43% (CH: 46%) befinden sich noch in der Anfangsphase der Planung, und 29% (CH: 38%) bestätigen, dass sie derzeit kein Schulungsprogramme haben.
Besonders betroffen könnten Einstiegspositionen sein: 59% (CH: 63%) der Führungskräfte nehmen an, dass KI-Technologien einen signifikanten oder sogar transformativen Einfluss auf die Aufgaben und Rollen von neuen Mitarbeitenden haben werden. Trotz dieser Einschätzung planen nur 24% (CH: 13%) der Führungskräfte, Einstiegsfunktionen und deren Verantwortlichkeiten umzugestalten, und lediglich 25% (CH: 17%) beabsichtigen, KI-Schulungen in ihre Programme für Hochschulabsolventen zu integrieren. 35% (CH: 25%) der Befragten geben an, bislang keine Massnahmen ergriffen zu haben, um potenzielle Auswirkungen der KI-Integration auf die junge Belegschaft auszugleichen.
Geschäftsbereiche mit KI- und Investitionsbedarf
Der Geschäftsbereich mit der höchsten Nachfrage nach KI-Talenten ist die Datenwissenschaft und Innovation (EUR: 54%, CH: 63%). Auf Platz zwei stehen bei den europäischen Befragten die Back-Office-Operations (46%), gefolgt von der Informationstechnologie (40%). In der Schweiz steht die Informationstechnologie mit 54% auf dem 2. Platz, gefolgt von «Legal risk & Compliance» mit 46%.
Auf die Frage nach den wichtigsten Eigenschaften, die Unternehmen bei der Rekrutierung von Nachwuchstalenten für eine KI-gestützte Belegschaft suchen, kristallisieren sich im europäischen und schweizerischen Finanzdienstleistungssektor die folgenden drei Attribute am häufigsten heraus: Anpassungsfähgikeit (EUR: 77%, CH: 83%), eine innovative und experimentierfreudige Denkweise (EUR: 70%, CH: 63%) sowie die Fähigkeit zur Zusammenarbeit und zum Arbeiten ausserhalb des eigenen Bereichs (EUR 44%, CH: 54%). In diesem Jahr zählt technisches Know-how (EUR: 34%, CH: 38%) nicht mehr zu den obersten Prioritäten.
Zudem bestätigen die Umfragedaten, dass Investitionen in GenAI weiterhin eine zentrale Rolle für europäische Finanzunternehmen spielen. 72% (CH: 67%) der Führungskräfte planen, ihre Ausgaben in den nächsten sechs bis zwölf Monaten zu erhöhen.
GenAI-Wissen und zukünftige Regulierung sind die grössten Herausforderungen
Mit Fokus auf GenAI bleiben die beiden grössten Bedenken der Führungskräfte bei der Integration der Technologie die gleichen, wie im letzten Jahr: Europäische Finanzleader nennen ein begrenztes Verständnis und mangelnde Erfahrung mit GenAI-Anwendungen sowie deren Auswirkungen auf die Belegschaft als grösste Herausforderung (EUR: 56%, CH: 58%). An zweiter Stelle steht mit 38% (CH: 33%) die Unsicherheit über bestehende und kommende regulatorische Auswirkungen. Den 2. Platz teilen sich in der Schweiz zudem mit jeweils 33% die Implementierungskosten und Anforderungen an den Kontrollrahmen sowie die Modernisierung alter Systeme. Auf Platz 3 steht bei allen Befragten die Geschwindigkeit der Entwicklung von GenAI im Vergleich zu ihrem eigenen Tempo bei der Integration der Technologie in das Unternehmen (EUR: 35%, CH: 25%).
Im Hinblick auf die breitere KI-Landschaft geben nur 11% (CH: 8%) der Führungskräfte an, dass ihr Unternehmen vollständig auf kommende Regulierungen vorbereitet ist. 70% (CH: 71%) sagen, ihr Unternehmen sei nur eingeschränkt oder teilweise vorbereitet.
Die Bedeutung von Ethik bei der Integration von GenAI
Im Zusammenhang mit generativer KI (GenAI) äussern Führungskräfte weiterhin Bedenken hinsichtlich ethischer Fragen. Als Hauptsorge bei der Einführung von GenAI im Jahr 2024 wurde die Qualität der Ergebnisse von 56% (CH: 63%) genannt, gefolgt von Transparenz und Nachvollziehbarkeit (EUR und CH: 54%), Datenschutz (EUR: 53%, CH: 42%, Platz 4) sowie der potenziellen Gefahr von Diskriminierung, Voreingenommenheit und mangelnder Fairness (47%). In der Schweiz belegt dieser Punkt den 3. Rang mit 50%.
Um mögliche ethische Implikationen bei der Integration von GenAI zu bewältigen, geben 14% (CH: 8%) der Befragten an, dass sie bereits eine umfassende KI-Ethik-Regelung eingeführt haben, während weitere 31% (CH: 25%) sich in der Anfangsphase der Entwicklung befinden. Maximal ein Viertel (EUR: 25%, CH: 17%) der Befragten erklärt jedoch, dass ihr Unternehmen noch keine KI-Ethik-Regeln entwickelt habe aber damit starten werde, und 24% (CH: 38%) haben keine Pläne.
Fazit zur Befragung und Einordnung in die aktuellsten regulatorischen Entwicklungen
Im Gegensatz zur EU existiert in der Schweiz aktuell keine KI-spezifische Gesetzgebung. In ihrer aktuellen Aufsichtsmitteilung vom 18. Dezember 2024, «Governance und Risikomanagement beim Einsatz Künstlicher Intelligenz 08/2024», äusserte die FINMA jedoch ihre klare Erwartung, dass Beaufsichtigte, die KI einsetzen, sich aktiv mit den Auswirkungen dieser Nutzung auf ihr Risikoprofil auseinandersetzen und ihre Governance, ihr Risikomanagment und ihre Kontrollsysteme entsprechend ausrichten. Was die FINMA dabei besonders hervorhebt, ist die klare Trennung zwischen der Entwicklung von KI-Anwendungen und der unabhängigen Überprüfung.
Roger Spichiger von EY Schweiz hält abschliessend fest: «Es gilt jetzt, auch mit Blick auf die FINMA-Aufsichtsmitteilung, dem Aufbau der in Zukunft notwendigen KI-Kompetenzen genügend Wichtigkeit beizumessen. Es braucht ein solides Fundament, welches die Risiken und regulatorischen Anforderungen angemessen berücksichtigt, gleichzeitig jedoch auch genügend Raum lässt, neue Dinge auszuprobieren, wertvolle Erfahrungen zu sammeln und die notwendigen Fähigkeiten aufzubauen. Es ist entscheidend für Unternehmen, sich nicht auf dem Status Quo ausruhen, sondern sich jetzt verstärkt um KI und GenAI zu kümmern, um den Anschluss nicht zu verpassen.» (EY/mc/ps)
Über die Umfrage
Die EY European Financial Services AI Survey erfasste im Oktober 2024 die Meinungen von 116 Führungskräften aus dem Finanzdienstleistungssektor (bei 106 privaten und börsennotierten Unternehmen mit einer aggregierten Marktkapitalisierung von fast 880 Milliarden Euro) in ganz Europa. In der Schweiz wurden 24 Führungskräfte befragt. Ziel war es, die potenziellen Auswirkungen der Integration von KI und generativer KI (GenAI) auf Produktivität, Talent, Fähigkeiten, Kapitalallokation und Risikomanagement zu bewerten.