Zürich – Weltweit schieben Unternehmen derzeit ihre Börsenpläne auf und hoffen auf bessere Rahmenbedingungen: So realisierten im ersten Quartal 2023 weltweit 299 Unternehmen einen Börsengang – acht Prozent weniger als im vom Krieg in der Ukraine geprägten Vorjahresquartal.
Weil es zudem deutlich weniger grosse Börsengänge an den Weltbörsen gab, schrumpfte das Emissionsvolumen sogar um 61 Prozent von 54,6 auf 21,5 Milliarden US-Dollar – der niedrigste Stand seit dem ersten Quartal 2019, als insgesamt 15,1 Milliarden US-Dollar erlöst wurden. Die Zahl der Börsengänge mit einem Emissionsvolumen oberhalb der eine-Milliarde-Marke sank im Jahresvergleich von sieben auf einen.
Emissionsvolumen schrumpft in China und Europa
Vom Rückgang des Emissionsvolumens am stärksten betroffen waren die chinesischen Börsen: Im Vergleich zum ersten Quartal des Vorjahres sank dort das Emissionsvolumen um 66 Prozent von 30,1 auf 10,3 Milliarden US-Dollar. Die Zahl der Börsengänge ging deutlich weniger stark – um elf Prozent – von 97 auf 86 zurück. In Europa sank das Emissionsvolumen um 26 Prozent auf 2,1 Milliarden US-Dollar, die Zahl der Börsengänge schrumpfte um 47 Prozent auf 27.
US-Börsenplatz behauptet sich – Energieunternehmen gefragt
Die Vereinigten Staaten waren der einzig bedeutende Börsenplatz mit zunehmenden IPO-Aktivitäten, wenn auch auf einem nach wie vor sehr niedrigen Niveau: Die Zahl der Börsengänge an US-Börsen kletterte um 29 Prozent auf 31, das Emissionsvolumen legte um sechs Prozent auf 2,5 Milliarden US-Dollar zu.
Vom weltweiten Emissionsvolumen von 21,5 Milliarden US-Dollar entfiel mehr als ein Viertel, 5,9 Milliarden US-Dollar, auf Energieunternehmen, obwohl diesem Sektor nur 18 von 299 Transaktionen bzw. sechs Prozent zuzuordnen waren. Auch der grösste Börsengang des laufenden Jahres war ein Energie-IPO: Der Carve-out der Gassparte des Ölkonzern Adnoc aus den Vereinigten Arabischen Emiraten erzielte 2,5 Milliarden US-Dollar. Von den zehn grössten Börsengängen im ersten Quartal waren vier Energieunternehmen.
Nachhaltige Unternehmen und zwei GDRs an der SIX
Aus Schweizer Sicht stehen zunehmend Unternehmen mit nachhaltigen Geschäftsmodellen im Fokus der Investoren. Ein Trend, der sich schon letztes Jahr abzeichnete und mit dem verstärkten Fokus von Investoren auf klar formulierte ESG Ziele zu tun hat, so Tobias Meyer, Leiter Transaction Accounting und IPO Services bei EY in der Schweiz.
An der Schweizer Börse SIX Swiss Exchange gab es im ersten Quartal 2023 kein IPO im eigentlichen Sinne, jedoch erneut zwei GDRs (Global Depository Receipts) Listings. Mit der Zhejiang HangKe Technology Incorporated Company und der Fangda Carbon New Material Co haben zwei chinesische Firmen ihre Hinterlegungsscheine bei SIX Swiss Exchange kotiert. Dabei konnten die beiden Firmen ein Volumen von rund 338 Millionen Franken verzeichnen.
Das sind Ergebnisse des aktuellen IPO-Barometers des Prüfungs- und Beratungsunternehmens EY.
Unternehmen in Warteposition
„Wir beobachten weiterhin eine grosse Zurückhaltung bei potenziellen Börsenkandidaten“, so Tobias Meyer, Leiter Transaction Accounting und IPO Services bei EY in der Schweiz. An dieser Haltung hatte auch das relativ hohe Kursniveau bis Mitte März keinen Einfluss. Die konjunkturellen und geopolitischen Auswirkungen sowie die jüngsten Turbulenzen im Bankensektor trüben die Lage weiter ein – was sich auch an der stark gestiegenen Volatilität und den Kursrückgängen an den Börsen zeigt.
Meyer rechnet jedoch damit, dass sich die konjunkturellen Rahmenbedingungen im laufenden Jahr wieder verbessern könnten. „Die chinesische Wirtschaft fasst nach der Pandemie wieder Tritt, die US-Konjunktur entwickelt sich stark, wovon auch europäische Unternehmen profitieren werden. Auch die Schweizer Wirtschaft entwickelt sich grundsätzlich gut.“ Entscheidend sei, dass sich die Finanzwelt wieder beruhigt und die makroökonomischen Bedingungen wieder besser werden.
Verhaltener Ausblick für 2023 – Zurückhaltung bei Investoren
Angesichts der jüngsten Verwerfungen im Bankensektor bleiben Investoren vorerst vorsichtig und gehen weiterhin selektiv vor. Die EY-IPO Experten beobachten zudem, dass Investoren im jetzigen Umfeld zudem auch auf erhebliche Zugeständnisse für günstigere Bewertungen hoffen.
Gebremst werde die Entwicklung aber voraussichtlich weiterhin vom Krieg in der Ukraine und der Zinspolitik der Notenbanken, so Meyer: „Mögliche weitere Zinserhöhungen werden sich auf die Aktienmärkte und damit auch auf die Bewertungen von IPO-Kandidaten auswirken.“
Positiv wird sich im weiteren Jahresverlauf voraussichtlich der chinesische IPO Markt entwickeln: Dort umfasst die Pipeline an Börsenkandidaten derzeit fast 800 Unternehmen, wobei mehr als 10 Mega-Börsengänge erwartet werden.
Den europäischen IPO-Markt sehen die EY IPO-Experten verhalten zuversichtlich: „Die Pipeline ist stark und wächst“, sagt Tobias Meyer. Aufgrund der bereits länger dauernden Phase mit schwierigen Marktbedingungen hat sich die IPO-Pipeline im vergangenen Jahr weiter gefüllt, dieser Trend setzt sich auch im ersten Quartal 2023 fort. „Wir beobachten, dass IPO-Kandidaten daran arbeiten, ihre „IPO-Readiness“ sicherzustellen, um im richtigen Zeitpunkt bereit zu stehen.“
Technologieunternehmen streben an die Börse
Die meisten Börsengänge wurden im ersten Quartal in den Segmenten Technologie (62), Industrie (54) durchgeführt, gefolgt vom Rohstoffsektor (49). Das höchste Emissionsvolumen verzeichnete – nach der Energiebranche – der Industriesektor mit 4,6 Milliarden US-Dollar.
Die grössten Transaktionen im ersten Quartal waren die Börsengänge von ADNOC Gas (2,5 Milliarden US-Dollar) sowie des US-Herstellers von Solarenergieanlagen Nextracker und des chinesischen Lithium-Lieferanten Hunan Yuneng New Energy Battery Material im Volumen von 734 bzw. 663 Millionen US-Dollar. (EY/mc/ps)