Zürich – Das aktuelle IPO-Barometer von EY in der Schweiz zeigt: Der Krieg in der Ukraine und die erhöhten geopolitischen Spannungen haben erhebliche Auswirkungen für den weltweiten IPO-Markt: Nach einem sehr lebhaften Jahresauftakt im Januar ist die Zahl der Börsengänge im Februar und März regelrecht eingebrochen: Insgesamt vollzogen im ersten Quartal weltweit 321 Unternehmen den Schritt an die Börse – 37 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Das Emissionsvolumen sank um 51 Prozent auf 54 Milliarden US-Dollar.
Damit fand der Aufwärtstrend der Vorquartale und das positive Momentum aus dem Rekord-IPO-Jahr 2021 ein jähes Ende. Im Januar hatte das weltweite Emissionsvolumen mit 32 Milliarden US-Dollar noch auf dem höchsten Stand seit 21 Jahren gelegen, im Februar brach es angesichts einer Verdopplung der Volatilität in Folge des Krieges und geopolitischer Spannungen – im Vergleich zum Vorjahresmonat – von 36 auf 10 Milliarden ein, im März sogar von 47 auf 12 Milliarden.
Der stärkste Einbruch wurde in den USA registriert: Im Vergleich zum ersten Quartal des Vorjahres sank in den Vereinigten Staaten die Zahl der Börsengänge von 100 auf 25, das Emissionsvolumen schrumpfte sogar um 94 Prozent von 42 auf gut zwei Milliarden US-Dollar. Auch in Europa sind hohe Einbussen zu verzeichnen: Die Zahl der Börsengänge hat sich von 89 auf 47 fast halbiert, das Emissionsvolumen ging von 26 auf knapp drei Milliarden US-Dollar zurück.
Weniger Einbussen verzeichnet der chinesische Markt: In China (einschliesslich Hongkong) gingen im ersten Quartal 97 Unternehmen an die Börse, 28 Prozent weniger als in der Vorjahresperiode. Das Emissionsvolumen stieg hingegen leicht – um zwei Prozent – auf 30 Milliarden US-Dollar.
Folgen für Schweizer Börsengänge
Im ersten Quartal dieses Jahres hat an der SIX Swiss Exchange der erste Börsengang im neuen KMU-Segment Sparks stattgefunden: Die Xlife Sciences AG wechselte von der Börse München an die SIX und ist nun im neuen Segment Sparks gelistet. Gemäss SIX wird per 29. März die Talenthouse AG ihren Börsengang an der Schweizer Börse vollziehen. Mit dem Zuger Technologie-Unternehmen Smart Valor AG, das eine Investmentplattform für digitale Assets betreibt, ging im ersten Quartal ein weiteres Schweizer Unternehmen an die Börse. Dies allerdings nicht in der Schweiz, sondern an der NASDAQ Stockholm in Schweden. Das Unternehmen hat einen Marktwert von 96 Millionen US-Dollar. Auch im ersten Quartal des letzten Jahres ging ein Schweizer Unternehmen an die Börse.
„Der Krieg in der Ukraine und die massiv gestiegene politische und wirtschaftliche Unsicherheit hatten zur Folge, dass viele Unternehmen ihre Börsenpläne für das erste Quartal verschoben haben“, sagt Tobias Meyer, Leiter Transaction Accounting und IPO Services bei EY Schweiz. „Die Volatilität ist im ersten Quartal in die Höhe geschnellt und hat sich verdoppelt, während weltweit an den Börsen hohe Kursverluste verzeichnet wurden. In diesem Umfeld sind Investoren sehr zurückhaltend, und es erschien vielen Unternehmen ratsam, vorerst abzuwarten und sich auf das nächste IPO-Fenster vorzubereiten.“
Technologie-IPOs weiterhin bevorzugt, aber Anzahl stark gesunken
Weltweit wurden die meisten IPOs im ersten Quartal in den Segmenten Technologie und Rohstoffe durchgeführt. Im Technologiesegment schrumpfte das Emissionsvolumen von 48,1 auf 9,9 Milliarden US-Dollar, die Zahl der Börsengänge sank um 57 Prozent von 136 auf 58. Anders die Entwicklung im Bereich Rohstoffe: Die Zahl der Börsengänge kletterte von 50 auf 58, das Emissionsvolumen von 4,4 auf 5,9 Milliarden US-Dollar.
Auf den Rängen drei und vier lagen IPOs von Industrieunternehmen (Rückgang von 67 auf 57 IPOs) und Unternehmen aus dem Gesundheitssektor (Rückgang von 84 auf 49 IPOs).
Laut Tobias Meyer bleiben Transformationsprozesse, die zu Unternehmenswertsteigerungen führen, ein entscheidender Treiber des IPO-Marktes: „Der Trend der Digitalisierung der Wirtschaft betrifft viele Sektoren und ist weiterhin intakt. Beides muss finanziert werden: Die Transformation bei etablierten Unternehmen und das Wachstum bei jungen disruptiven Unternehmen.“ Zudem fördert der Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit und einer steigenden Bedeutung der ESG-Kriterien neue Geschäftsmodelle und Unternehmen.
SPAC-Emissionen sinken, Wettbewerb steigt, weitere indirekte Börsengänge erwartet
Nach dem bisher stärksten SPAC Emissionsjahr 2021 wurden im ersten Quartal des laufenden Jahres weltweit insgesamt 64 SPAC-Transaktionen gezählt, ein Rückgang um 79 Prozent gegenüber der Vorjahrjahresperiode. Die Mantelgesellschaften erzielten ein Emissionsvolumen von insgesamt 10,7 Milliarden US-Dollar, 89 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.
Von den 64 SPAC-Transaktionen im laufenden Jahr entfielen 52 auf die USA und vier auf Asien, während in Europa acht derartige Emissionen verzeichnet wurden. „Die Kassen der derzeit insgesamt rund 713 aktiven SPACs sind mit gut 166,5 Milliarden US-Dollar prall gefüllt – das eröffnet operativen Unternehmen gerade in volatilen Zeiten über den Zusammenschluss mit einer Mantelgesellschaft einen vielversprechenden alternativen Weg – sowohl in Europa als auch den USA.“
Vor allem für Unternehmen in den Bereichen Technologie, Industrials und Healthcare sei dies interessant, sagt Meyer. Jedoch ticke die Uhr für die auf einen Zeitraum von 24 Monaten angelegten SPACs. Er rechnet mit einem zunehmenden Wettbewerb unter den SPACs und mit weiteren Zusammenschlüssen mit deutschen Unternehmen. Die Zahl indirekter Börsengänge werde auch in diesem Jahr wohl weiter steigen.
Koreanischer Batteriehersteller LG Energy Solution grösster Börsengang
Der weltweit grösste Börsengang des bisherigen Jahresverlaus Jahres fand in Südkorea statt: Der Batteriehersteller LG Energy Solution erlöste im Januar 10,7 Milliarden US-Dollar. Der chinesische Mobilfunkanbieter China Mobile kam bei seinem Börsengang, der ebenfalls im Januar stattfand, auf 8,2 Milliarden US-Dollar. Mit grossem Abstand folgt mit einem Emissionsvolumen von 1,6 Milliarden US-Dollar der Börsengang des chinesischen Solarmodulherstellers Jinko Solar.
Ausblick stark abhängig von der Situation in der Ukraine
Tobias Meyer sagt: „Die weltweite Pipeline an Börsenkandidaten ist nach wie vor gut gefüllt. Viele Unternehmen warten in der jetzigen Situation jedoch erst einmal ab und nutzen die Zeit, um sich gut auf den Börsengang vorzubereiten. Daher könnte die zweite Jahreshälfte 2022 auch wieder deutlich aktiver werden.“ Entscheidend für das Timing und die Anzahl and Börsengängen sei jedoch eine Beruhigung der aktuellen geopolitischen Spannungen, die Auflösung der Unsicherheiten aus Investorensicht und ein Rückgang der Volatilität. (EY/mc/ps)