Zürich – Nach einem schwachen ersten Halbjahr boomt nun der weltweite IPO-Markt: Die Börsen weltweit verzeichneten in den vergangenen drei Monaten mit 447 Börsengängen und einem Emissionsvolumen von insgesamt 95,0 Milliarden US-Dollar das stärkste dritte Quartal seit 20 Jahren. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stieg die Zahl der IPOs um 78 Prozent, das Emissionsvolumen hat sich sogar mehr als verdoppelt (plus 138 Prozent). Das sind Ergebnisse des aktuellen weltweiten IPO-Barometers des Prüfungs- und Beratungsunternehmens EY.
Traditionell ist das dritte Quartal jeweils eine eher ruhige Phase für Börsengänge. In diesem Jahr, in dem aufgrund der Corona-Krise im ersten Halbjahr zahlreiche IPOs verschoben wurden und in dem die Märkte von Liquidität überflutet werden, haben die Aktienmärkte Rekordhochs erreicht – und auch die IPO-Märkte erwiesen sich als aussergewöhnlich aktiv. «In diesem Jahr ist alles anders», fasst Tobias Meyer, Leiter Transaction Accounting und IPO Services in der Schweiz, die Situation zusammen. «Ausgerechnet das traditionell schwache dritte Quartal erweist sich nun als das stärkste des bisherigen Jahresverlaufs.»
Deutlich mehr Transaktionen in den USA und in China
Besonders stark entwickelten sich der US-Markt und China: In China (einschliesslich Hongkong) wuchs das Emissionsvolumen um 139 Prozent auf 46,4 Milliarden US-Dollar, die Zahl der Transaktionen kletterte von 86 auf 217 – ein Anstieg um 152 Prozent. In den USA hat sich die Zahl der IPOs im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 38 auf 85 mehr als verdoppelt, das Emissionsvolumen hat sich von 11,7 auf 33,1 Milliarden US-Dollar sogar fast verdreifacht. Auch in Europa stieg die Zahl der Börsengänge – allerdings weniger stark als in den anderen wichtigen IPO-Märkten: Das Emissionsvolumen kletterte um 51 Prozent auf 6,2 Milliarden US-Dollar, die Zahl der IPOs wuchs um 56 Prozent auf 39. In der Schweiz gab es im dritten Quartal 2020 keinen Börsengang.
Technologie-Unternehmen im Fokus
Angetrieben wurde das IPO-Geschehen von grossen und prominenten Transaktionen in der Technologie- und der Gesundheits-Branche: 38 Prozent des weltweiten Emissionsvolumens – das entspricht 36 Milliarden US-Dollar – entfielen auf Technologie-Börsengänge, 18 Prozent (17 Milliarden US-Dollar) auf Healthcare-Unternehmen. Die weltweit grösste Transaktion im dritten Quartal 2020 war der Börsengang des chinesischen Chip-Herstellers Semiconductor Manufacturing International, der 7,5 Milliarden US-Dollar einbrachte, gefolgt vom US-Software-Unternehmen Snowflake (3,9 Milliarden US-Dollar) und der chinesischen Immobilienfirma KE Holdings (2,4 Milliarden US-Dollar).
Nur einer der Top-10-Börsengänge fand in Europa statt: die britische The Hut Group, ein E-Commerce-Anbieter, erlöste bei ihrem IPO insgesamt 2,4 Milliarden US-Dollar. «Die Corona-Krise verstärkt den Digitalisierungstrend. Unternehmen, deren Geschäftsmodelle einen Bezug zur digitalen Transformation der Wirtschaft haben, sind derzeit besonders gefragt und können eine überzeugende Equity Story vorweisen», sagt Meyer.
Chancen auf eine Jahresendrally – aber auch zunehmende Risiken
Für eine Jahresendrally auf dem weltweiten IPO-Markt sprechen nach Einschätzung des IPO-Experten Tobias Meyer das positive Momentum aus dem dritten Quartal, die hohe Liquidität im Markt und das hohe Bewertungsniveau – verbunden mit einer relativ niedrigen Volatilität. Zudem gebe es auf Investorenseite weiterhin einen erheblichen Anlagedruck. Andererseits sieht Meyer auch Risiken: «Das vierte Quartal 2020 und der Beginn des kommenden Jahres werden auch geprägt sein von den Risiken potenziell steigender Infektionszahlen und von den anhaltenden Spannungen zwischen China und den USA. Als Unsicherheitsfaktoren kommen der Brexit und die kurz bevorstehenden US-Wahlen hinzu.»
Tobias Meyer von EY Schweiz beurteilt die weltweite Diskrepanz zwischen der schwachen konjunkturellen Entwicklung einerseits und den hohen Börsenbewertungen andererseits kritisch. Dies könne bei den Anlegern zur Befürchtung führen, dass sich am Horizont eine Blase abzeichnet, was zu weiteren Reaktionen in einem schon jetzt turbulenten Börsenjahr führen könnte. (EY/mc/pg)