Zürich – Das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen EY Schweiz hat heute ein umfassendes Thesenpapier zu aktuellen Steuerfragen in der Schweiz veröffentlicht. Die Experten richten ihr Augenmerk unter anderem auf die Umsetzung von BEPS 2.0 (Pillar Two) sowie die Folgen für die Schweiz. Sie erklären, weshalb das «Level Playing Field» nicht erreicht werden wird und wieso die angestrebte weltweite «Steuerharmonisierung» zu einem erhöhten Standortwettbewerb in Sachen Subventionen führen wird. Zudem erläutern die Experten, weshalb der Trend zu immer mehr internationaler Steuerregulierung anhält. Des Weiteren wird die Mehrwertsteuer in der Schweiz behandelt, bei welcher aus verschiedenen Gründen — nicht zuletzt wegen der Zustimmung der Stimmbevölkerung zur 13. AHV-Rente — mit weiteren Erhöhungen zu rechnen ist.
Das heute veröffentlichte Papier enthält neben einem kurzen Rückblick auf die wichtigsten Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit die folgenden Thesen zum Themenkomplex «Steuern»:
These 1: «Pillar Two» wird die angestrebte steuerliche Wettbewerbsgleichheit nicht erreichen.
Bei der konkreten Implementierung und Umsetzung der Pillar-Two-Regelungen herrscht derzeit eine starke Fragmentierung mit Absenzen einiger grosser, wirtschaftskräftiger Länder. Gemäss dem aktuellen «EY Pillar Two Developments Tracker» haben 27 Länder eine finale Pillar-Two-Gesetzgebung erlassen. In 13 Ländern liegt ein Gesetzgebungsentwurf vor und 11 weitere Länder haben angedeutet, Pillar Two implementieren zu wollen. Allerdings gehören zu den Staaten, die sich gegen eine Einführung ausgesprochen haben, Wirtschaftsmächte wie die USA, China, Indien und Brasilien.
Die Funktionsweise der Pillar-Two-Regeln führt wegen des fragmentierten Umfelds dazu, dass multinationale Unternehmen, deren Hauptsitz in einem der implementierenden Länder liegt, nun auf der ganzen Welt zu mindestens 15% oder mehr besteuert werden. Multinationale Unternehmen, die ihren Hauptsitz allerdings in einem nicht-implementierenden Land haben (z.B. in den USA oder China), können je nach Gruppenstruktur auch weiterhin von Besteuerungssätzen unter 15% profitieren.
Aus diesem Grund wurde unter anderem die Undertaxed Profits Rule (UTPR) eingeführt, welche subsidiär zur Anwendung kommt. Diese erlaubt es, unterbesteuertes Steuersubstrat von Gruppengesellschaften — zum Beispiel im Staat der Muttergesellschaft oder im Staat der Schwestergesellschaft — zu besteuern und das Besteuerungsniveau in der Gruppenstruktur auch von unten gegen oben oder seitlich auf mindestens 15% anzuheben. «Obwohl die EU-Staaten die Einführung der UTPR per 2025 beschlossen haben, gibt es weiterhin grosse Fragezeichen hinter der Einführung, beziehungsweise der Anwendung. Grosser Druck gegen die Regelung kommt aus den USA, die bereits Gegenmassnahmen angekündigt haben, falls ein Staat die UTPR auf US-Unternehmen anwenden sollte», sagt Roger Krapf, Managing Partner Tax & Legal bei EY in der Schweiz.
Zu den berechtigen Zweifeln daran, dass die Steuerharmonisierung tatsächlich über alle Länder hinweg eingeführt werden kann, kommt die Entwicklung, dass andere Faktoren den Standortwettbewerb bestimmen: Obwohl Steueranreize unter den Pillar-Two-Regelungen grösstenteils ihre Wirkung verlieren, sind Subventionen weiterhin voll wirksam. Dies hat zur Folge, dass sich der bereits bestehende Wandel vom Steuer- zum Subventionswettbewerb weiter fortsetzt. So wurden seit Anfang 2023 von den USA 539 Milliarden US-Dollar und von der EU 571 Milliarden US-Dollar an Subventionen für verschiedenste Bereiche gesprochen.
These 2: Der Trend zu immer mehr internationaler Steuerregulierung ist auf einen erhöhten Bedarf vieler Staaten nach mehr Steuersubstrat zurückzuführen und wird anhalten.
Das ursprüngliche BEPS-Projekt folgte auf die Finanzkrise, welche mit einem Einbruch an Steuereinnahmen einherging. Trotz des Überwindens dieser Krise und einer Erholung der Wirtschaft, bestehen viele Herausforderungen, welche auch in Zukunft einen erhöhten Bedarf an zusätzlichen Steuereinnahmen zur Folge haben werden. Ereignisse wie der Krieg in der Ukraine und die Eskalation im Nahen Osten haben die Multipolarität der Welt deutlich gemacht und gerade in europäischen Ländern zu einem strategischen Umdenken mit erhöhtem Bedarf an Verteidigungsausgaben sowie einem erhöhten Bewusstsein für die Versorgungssicherheit geführt. Zudem bleibt auch die Wirtschaft von solchen Entwicklungen nicht unberührt, denn die Unsicherheit und der Protektionismus bremsen Handel und Wachstum, was unter anderem sinkende Steuereinnahmen zur Folge hat.
In der Schweiz wird der Mehrwertsteuersatz weiter steigen
Auch die Schweiz steht den genannten Herausforderungen gegenüber und der Druck, die Steuereinnahmen zu erhöhen, steigt. Konkret kann davon ausgegangen werden, dass dies vor allem den Mehrwertsteuersatz betreffen wird. Dabei sind es auch Schweiz-spezifische Faktoren, die Druck auf das Generieren von weiteren Einnahmen auf Bundesebene ausüben. Roger Krapf sagt: «Die Schweizer Stimmbevölkerung hat sich bei den letzten Abstimmungen mit einem Ja zu einer 13. AHV-Rente und einem Nein zur Erhöhung des Rentenalters deutlich geäussert. Auch die stetig steigenden Kosten des Gesundheitssystems machen staatliche Mehrausgaben wahrscheinlich, wie die kürzliche Abstimmung über die Prämien-Entlastungs- und die Kostenbremse-Initiative trotz ihrer Ablehnung exemplarisch aufzeigen.»
Da nicht absehbar ist, wo der Bund Einsparungen beschliessen kann, ist eine auf irgendeine Weise gestaltete Erhöhung der Einnahmen wahrscheinlich. Im Vordergrund stehen dabei zum einen die Mehrwertsteuer sowie die direkte Bundessteuer, bestehend aus Einkommens- und Gewinnsteuer. Eine Erhöhung der direkten Bundessteuer würde aber – wie auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer – eine Verfassungsänderung benötigen, über welche die Stimmbevölkerung und die Stände befinden müssten. Jedoch ist gemäss EY Experten eine Erhöhung der Mehrwertsteuer wahrscheinlicher, da im Gegensatz zur direkten Bundessteuer bereits einige Präzedenzfälle für eine Erhöhung verbunden mit einer Zweckbindung der damit generierten Einnahmen bestehen.
These 3: Der Aufwand für Administration und Compliance sowohl für Behörden als auch für Unternehmen wird weiter ansteigen.
Die auf das ursprüngliche BEPS-Projekt zurückführenden EU-Regulierungen in verschiedenen Bereichen (CbCR, Public CbCR sowie MDR (DAC 6)) bedeuten für die betroffenen Unternehmen einen erheblichen administrativen Mehraufwand. Dies gilt auch indirekt für Schweizer Unternehmen, sobald sie in der EU tätig sind.
Zum Beispiel umfasst das Country-by-Country Reporting sehr viele Datenpunkte, die pro Geschäftseinheit gesammelt, aufbereitet und im Report aufgeführt werden müssen. Für jede Geschäftseinheit müssen die Umsätze, Vorsteuergewinn, bezahlte Gewinnsteuer, aufgelaufene Gewinnsteuer, Kapital, Gewinnvortrag und Anzahl Mitarbeitende rapportiert werden. Zudem müssen weitere Informationen, wie die Haupttätigkeit jeder Geschäftseinheit angegeben und alle Datenquellen indiziert werden. Für grosse Unternehmensgruppen mit vielen Geschäftseinheiten ist dies ein sehr aufwändiges Unterfangen. Darüber hinaus darf der Zusatzaufwand für die Steuerbehörden ebenfalls nicht unterschätzt werden. Auch das Mandatory Disclosure Regime (MDR (DAC 6)) der EU hat zu einer erheblichen Steigerung des Administrations- und Compliance-Aufwands geführt.
Nicht zuletzt die erwähnte Mindeststeuer selbst, setzt dabei neue Massstäbe in Sachen Komplexität. So braucht es zum Beispiel mehr als 150 Datenpunkte pro Geschäftseinheit, um die GloBE-Regeln zu befolgen. Darüber hinaus führt Pillar Two zu weitreichenden Änderungen in den Rechnungslegungs- und Reporting-Prozessen, wobei zum jetzigen Zeitpunkt diese Daten nicht automatisiert zur Verfügung stehen. «Diese Projekte führten und führen weiterhin zu einer Steigerung der Administrations- und Compliance-Kosten. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht und wir gehen davon aus, dass dieser Trend anhalten wird», sagt Krapf und ist damit nicht allein: Laut dem EY Tax and Finance Operations Survey von 2022 erwarten 59% der CFOs und Steuerführungskräfte weiterhin steigende Compliance Kosten.»
Betroffenen Unternehmen bleibt nichts anderes übrig, als die laufenden und zukünftigen Gesetzgebungsentwicklungen sowohl international als auch national genau zu verfolgen und die entsprechenden Regeln umzusetzen. Darüber hinaus muss auch darauf geachtet werden, dass neue Compliance-Prozesse möglichst effizient eingeführt werden. «Entsprechend werden diese Administrations- und Compliance-Prozesse für Unternehmen zunehmend zu einem Wettbewerbs- und für Staaten zu einem Standortfaktor. Die Schweiz sollte dabei ihre Stärken in diesem Bereich weiter ausbauen», sagt Roger Krapf. (EY/mc/ps)