Zürich – Die jüngsten Ereignisse und Entwicklungen auf den internationalen Finanzmärkten haben zu mehr Volatilität und Unsicherheit geführt, was auch Vermögensverwaltungskunden zu spüren bekommen. Vermögende Privatanleger wollen vertrauenswürdigere Partner, und in der Hoffnung auf sicherere Anlagen sind sie offener dafür, ihre Vermögenswerte neu bei etablierten Finanzdienstleistern und grösseren Banken anzulegen. «Der Schweizer Finanzplatz bleibt stark. Gut kapitalisierte und stabile Banken haben sich das Vertrauen ihrer Kunden bewahrt und konnten neue Kunden gewinnen. Das Vertrauen kann jedoch leicht untergraben werden. Dieses Vertrauen zu erhalten, muss für Vermögensverwalter oberste Priorität haben», sagt Raphaël Thürler, Wealth & Asset Management Sector Leader und Financial Accounting Advisory Services Leader bei den Financial Services bei EY in der Schweiz.
Europäische «Millennial»-Anleger (Geburtsjahrgänge zwischen 1981 und 1996) sind zu riskanteren Anlagen bereit und nehmen Marktvolatilität eher in Kauf als ältere Generationen, da jüngere Anleger dynamischer auf externe Marktereignisse reagieren.
Dies sind einige der Erkenntnisse der EY Global Wealth Survey, für welche weltweit über 2600 Vermögensverwaltungskunden befragt wurden, 600 davon in Europa einschliesslich der Schweiz. Mehr als ein Drittel der europäischen Millennials (38%) wendet sich der Umfrage zufolge riskanteren Anlagen zu. Bei Babyboomern (Geburtsjahrgänge zwischen 1946 und 1964) tut dies hingegen nur ein Viertel (24%) der Anleger. Und das, obwohl mehr als die Hälfte (57%) der befragten Millennials angab, dass ihre Anforderungen an Anlagen komplexer geworden sind (gegenüber 35% bei Babyboomern) und 35% einräumen, dass sie sich zu selten mit ihrem Vermögensberater treffen, um ihre Ziele zu überprüfen, und daher schlechter vorbereitet sind (bei Babyboomern liegt der Anteil bei 20%).
Stärkerer Wunsch nach ganzheitlicher und differenzierter Beratung
Angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Unsicherheit haben viele Anleger zurzeit erhöhten Bedarf nach professioneller Beratung, um die wirtschaftlichen und politischen Schocks und Marktumwälzungen interpretieren zu können. Die Nachfrage ist in Europa allerdings geringer als im globalen Durchschnitt. In Europa lassen sich der Umfrage zufolge 38% der Millennials und 34% der Boomer wegen politischer Instabilität oder Unsicherheit beraten. Weltweit sind es 42% bzw. 33%. Darüber hinaus ergab die Umfrage, dass mehr als die Hälfte (51%) der europäischen Millennials wegen volatiler Portfolios regelmässig unabhängige Finanzberatungen in Anspruch nimmt. Global gesehen sind es in dieser Altersgruppe 58%.
Was die bevorzugten Beratungskanäle angeht, wollen sich 47% der europäischen Anleger in einem virtuellen Gespräch beraten lassen, 30% wählen den direkten persönlichen Kontakt und 23% wollen sich über soziale Medien oder Apps beraten lassen. Hier zeigten sich Veränderungen gegenüber dem letzten EY Global Wealth Research Report im Jahr 2021, in dem sich im Bereich der privaten Vermögensverwaltung 14% der europäischen Kunden in einem virtuellen Gespräch beraten lassen wollten, 33% den direkten persönlichen Kontakt wählten und sich 18% über soziale Medien oder Apps beraten lassen wollten.
Millennial-Anleger wechseln Anbieter
Ein weiteres Ergebnis des Berichts ist, dass in der jüngeren Altersgruppe der Anleger der Wunsch nach einem Wechsel des Anbieters oder einer Verschiebung von Geld zu einem anderen Anbieter am grössten ist. Auf europäischen Märkten ist die Wahrscheinlichkeit eines Anbieterwechsels, der Hinzufügung eines Anbieters oder der Verschiebung von Geld bei Millennials (71%) mehr als doppelt so hoch wie bei Babyboomern (32%). Weltweit sieht es ähnlich aus. 73% der weltweiten Millennial-Anleger beabsichtigen in den kommenden drei Jahren, den Anbieter zu wechseln, einen Anbieter hinzuzufügen oder Geld zu einem anderen Anbieter für Vermögensverwaltung zu verschieben, wohingegen dies bei nur 29% der Babyboomer der Fall ist.
Investitionen in neue Anlageklassen – wie FinTech, digitale Vermögenswerte und Krypto – werden gefragter. Im Bereich der privaten Vermögensverwaltung haben europäische Kunden den FinTech-Markt und den Markt für alternative Vermögenswerte im Blick. Bei diesen Anlageklassen besteht auch ein höherer Beratungsbedarf als bei traditionellen Anlagen und die Engagements von Anlegern in FinTech-Unternehmen werden in den kommenden drei Jahren voraussichtlich um 12% steigen. «Wegen der aktuellen Banken-Volatilität gibt es vor allem bei den wohlhabenderen Millennials einen stärkeren Wunsch nach Diversifizierung», sagt Urs Palmieri, Wealth & Asset Management Consulting Leader bei EY in der Schweiz. Diese Kundengruppe ist auch offener gegenüber alternativen oder neuen Anlageklassen wie Privatmarktanlagen und digitalen Vermögenswerten. Dies lässt sich teilweise dadurch erklären, dass Millennials davon ausgehen, sachkundiger zu sein und über mehr Finanzwissen zu verfügen als andere Generationen.
Schweizer Anleger reagieren auf volatile Märkte
In der Schweiz reagieren Anleger in unterschiedlicher Weise auf die volatilen Märkte. Die meisten haben ihre Finanzanlagen neu ausgerichtet. Auch in der Schweiz sind es in erster Linie die Millennials, die sich in zunehmendem Masse auf aktive, riskantere Anlagen konzentrieren (36%). Auch die Generation X ist einer Erhöhung aktiver Anlagen nicht abgeneigt (29%). Viele Babyboomer und vor allem Anleger der Generation X konzentrieren sich auf traditionelle Sparprodukte. Millennials lehnen diese Anlageform ab: Nur 7% würden ihre Vermögenswerte gerne in stärkerem Masse auf diese Weise anlegen. Ganze 57% geben sogar an, dass sie ihr Sparguthaben verringern wollen.
Ähnlich wie europäische Anleger lassen sich auch Schweizer Anleger immer öfter professionell beraten, und zwar sowohl von ihren bisherigen als auch von neuen Anbietern. Vermögensverwaltern bietet sich hier also eine gute Chance, Kunden mit einem innovativen Ansatz dabei zu unterstützen, sich auf volatilen und komplexen Märkten zurechtzufinden. «Vermögensverwalter müssen ihre hybriden Modelle stärker ausweiten und ein Kundenangebot mit direkter persönlicher und virtueller Beratung sowie Selbstbedienungsoptionen erstellen, um eine möglichst grosse Wirkung zu erzielen.»
Vermögensverwaltung wird komplexer
In der Schweiz ist nahezu die Hälfte (47%) der Anleger der Ansicht, dass es in den vergangenen beiden Jahren bei Anlagen schwieriger geworden ist, ihren Bedürfnissen zu genügen. In dieser Hinsicht liegen die drei befragten Generationen nahe beieinander: Die Vertreter der Babyboomer und die der Millennials finden, dass die Anforderungen in Bezug auf Anlagen komplexer geworden sind (jeweils 50%). Bei der Generation X liegt diese Zahl bei 45%.
38% aller befragten Anleger glauben, dass es komplexer geworden ist, ihre Vermögenswerte zu verwalten, und 32% sind der Ansicht, dass es schwieriger geworden ist, den Ruhestand zu planen. 75% der Befragten zufolge ist vor allem die Anlageberatung komplizierter geworden.
Ungeachtet der zunehmenden Komplexität und Volatilität sind 68% der Befragten der Ansicht, dass sie gut vorbereitet sind, um ihre Anlageziele zu erreichen, oder dass sie diese erreicht haben. Bei der Selbsteinschätzung liegen Schweizer Anleger damit etwas über dem globalen (63%) und dem europäischen (62%) Durchschnitt.
Defensive Anlageziele und Akzeptanz digitaler Dienstleistungen
Bei den Anlagezielen dominieren 2023 defensive Ziele wie Vermögenssicherung (35%), Absicherung einer angemessenen Rendite (30%) und Sparen zur Erreichung von Finanzzielen (29%). Offensive Ziele wie Erhöhung der Anlagerenditen (26%), Steuerminderung (24%) oder Weitergabe von Vermögen an die nächste Generation (22%) spielen 2023 eine geringere Rolle. 2019 dominierten noch offensive Anlageziele wie Steuerminderung (47%) und Weitergabe von Vermögen an die nächste Generation (41%).
Anleger akzeptieren im Bereich der Vermögensverwaltung in deutlich stärkerem Masse virtuelle Dienstleistungen, daher stehen sie mehr oder weniger auf der gleichen Stufe wie die persönliche Beratung vor Ort. Fast die Hälfte bevorzugt vor allem die rein digitale Aufnahme einer Geschäftsbeziehung und Kontoeröffnung: 45% der Anleger finden, dass dieser erste Schritt über eine digitale Plattform (Webseite oder App) erfolgen kann.
Bei Dienstleistungen wie Finanzplanung und Kontoverwaltung dominiert immer noch die direkte persönliche Beratung (44% bzw. 42%). Die Akzeptanz der Nutzung virtueller Kanäle wie Videochat oder E-Mails nimmt jedoch stetig zu: Ein Grossteil der Befragten ist der Ansicht, dass sie bei der Finanzplanung (38%), Anlageberatung (45%) und Kontoverwaltung (40%) für diese Dienstleistungen keinen Kontakt vor Ort mehr benötigen. (EY/mc/ps)