EZB-Politik der «ruhigen Hand» – Geldschleusen bleiben weit geöffnet
Frankfurt – Die Corona-Zahlen sinken, das wirtschaftliche Leben normalisiert sich, die Inflation zieht an. Dennoch geben Europas Währungshüter weiterhin Vollgas. «Jede Diskussion über einen Ausstieg aus dem Notkaufprogramm PEPP wäre verfrüht», betonte die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, am Donnerstag in Frankfurt. Die Notenbank ändert nicht ein Jota an ihren milliardenschweren Anleihenkäufen, die die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abmildern sollen. Auch das Zinstief im Euroraum hält an.
Den jüngsten Teuerungsschub betrachten die Währungshüter als vorübergehend. Lagarde verwies auf den Preiseinbruch in der ersten Corona-Welle vor gut einem Jahr. «Wir sind noch weit entfernt von unserem Ziel», sagte sie. «Wir glauben, dass eine ruhige Hand die richtige Entscheidung … ist.»
Das eigens in der Pandemie aufgelegte, besonders flexible Notkaufprogramm für Staatsanleihen und Wertpapiere von Unternehmen (Pandemic Emergency Purchase Programme/PEPP) hat inzwischen ein Volumen von 1,85 Billionen Euro und soll bis mindestens Ende März 2022 laufen. Wie schon im zweiten Quartal will die EZB mit hohem Tempo kaufen, um die Kapitalmarktzinsen niedrig zu halten. Denn höhere Zinsen könnten die Finanzierung von Haushalten und Unternehmen verteuern und die wirtschaftliche Erholung belasten.
Das EZB-Kaufprogramm hilft Staaten wie Unternehmen: Diese müssen für ihre Wertpapiere nicht so hohe Zinsen bieten, wenn eine Zentralbank als grosser Käufer am Markt auftritt. Insbesondere für Staaten ist das wichtig, weil sie in der Corona-Krise milliardenschwere Rettungsprogramme aufgelegt haben, die es zu finanzieren gilt.
Optimistischerer Konjunkturausblick
Volkswirte warnen vor Übertreibungen an den Finanzmärkten und bei Immobilienpreisen wegen des vielen billigen Geldes. Zugleich stimuliert der Geldflut aber auch die Konjunktur. Die EZB beurteilt die Konjunkturaussichten für den Euroraum inzwischen deutlich optimistischer als noch vor drei Monaten.
Die Notenbank geht für dieses Jahr nun von einem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 4,6 Prozent aus. Im März hatten die Währungshüter noch ein Wachstum von 4,0 Prozent vorhergesagt. 2022 wird die Wirtschaft nach der neuesten Vorhersage der EZB um 4,7 Prozent zulegen (März-Prognose: 4,1 Prozent).
Zugleich zieht die Inflation an. Die Teuerung in den 19 Eurostaaten dürfte nach Einschätzung der Zentralbank in diesem Jahr bei 1,9 Prozent liegen. Im März war die Notenbank von einem Anstieg von 1,5 Prozent ausgegangen. Für 2022 rechnen die Währungshüter mit einer jährlichen Preissteigerung von 1,5 Prozent (1,2 Prozent).
Teuerungsrate leicht über angestrebter Zielmarke
Angeheizt vor allem von steigenden Energiepreisen kletterte die jährliche Teuerungsrate im Mai auf 2,0 Prozent. Sie lag damit leicht über dem Ziel der Notenbank, die mittelfristig eine Rate von knapp unter 2,0 Prozent anstrebt – weit genug entfernt von der Nullmarke. Denn dauerhaft niedrige Preise gelten als Risiko für die Konjunktur: Unternehmen und Verbraucher könnten dann Investitionen aufschieben – in der Hoffnung, dass es bald noch billiger wird.
«Es stimmt vermutlich, dass der aktuelle Inflationsschub dem Ende der Pandemie geschuldet und kurzfristig ist», sagte Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschungsforschung (ZEW). «Allerdings wachsen mit der Fortsetzung der aktuellen Geldpolitik die Risiken für eine dauerhafte Inflationsdynamik.»
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer mahnte jüngst, «das Herunterspielen der Inflationsrisiken ist riskant, auch wenn die Inflation im Euroraum anders als in den USA noch niedrig ist». Die EZB könne ihre äusserst expansive Geldpolitik nur dann langsam und mit wenig Nebenwirkungen zurückfahren, wenn sie rechtzeitig damit anfange. «Unverändert hohe Anleihenkäufe im Sommer passen dazu nicht», warnte Krämer.
Ende des Zinstiefs nicht in Sicht
Ein Ende des Zinstiefs im Euroraum mit seinen 19 Staaten ist nicht in Sicht. Den Leitzins im Euroraum halten die Währungshüter auf dem Rekordtief von null Prozent. Geschäftsbanken müssen zudem weiterhin 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken. Freibeträge für bestimmte Summen sollen die Institute bei den Kosten dafür entlasten.
Europas Währungshüter sind seit Jahren im Anti-Krisen-Modus. Die seit März 2015 laufenden anderen Kaufprogramme der Notenbank für Anleihen, mit denen die Inflation angeschoben werden soll, haben mit mehr als 3,1 Billionen Euro Ende Mai bereits ein gewaltiges Volumen erreicht. (awp/mc/ps)