Frankfurt am Main – Die Europäische Zentralbank (EZB) lässt ihren geldpolitischen Kurs unverändert und hat Erwartungen an weitere Lockerungen gedämpft. Es gebe derzeit keinen Bedarf für eine zusätzliche Stimulierung, sagte EZB-Präsident Mario Draghi am Donnerstag nach der Zinssitzung der Notenbank in Frankfurt. Über eine Verlängerung des bestehenden Anleihekaufprogramms sei bei der Sitzung nicht diskutiert worden.
Man konzentriere sich auf die Umsetzung des laufenden Programms, sagte Draghi. Falls nötig, sei man aber weiterhin zum Handeln bereit. Über Aktienkäufe oder Helikoptergeld, also das Verschenken von Geld durch die Notenbank an den Staat oder die Bürger, sei nicht gesprochen worden.
Draghi: «Prüfen Neugestaltung der Wertpapierkäufe»
Die EZB will prüfen, wie bei der Umsetzung des bestehenden Programms weiter vorgegangen werden soll. Die Notenbank habe Gremien damit beauftragt, Massnahmen zu bewerten, um das Wertpapierkaufprogramm neu zu gestalten, sagte Draghi. Dabei sollen Optionen für die problemlose Umsetzung des bestehenden Programms geprüft werden. Experten weisen seit geraumer Zeit auf mögliche Probleme bei der Umsetzung der Wertpapierkäufe wegen zunehmender Knappheit am Anleihemarkt hin.
Eine Verlängerung der Anleihekäufe war die Variante einer möglichen Lockerung, die Experten am ehesten erwartet hatten. Nun bleibt es aber vorerst bei der Laufzeit bis mindestens März 2017. Draghi bekräftigte jedoch abermals, dass das Wertpapierkaufprogramm so lange fortgeführt werde, bis der Inflationspfad dem angestrebten Ziel entspreche. Die Notenbanker wollen die Teuerungsrate auf zwei Prozent anheben. Derzeit dümpelt sie nahe der Nulllinie.
Experten: EZB hatte gute Gründe zum Abwarten
Experten sehen gute Gründe für die abwartende Haltung der Notenbank. «Auch wenn einige Beobachter die EZB für das Ausbleiben einer geldpolitischen Lockerung kritisieren werden, hatte sie unseres Erachtens hierfür gewichtige Argumente», kommentiert Stephen Yeats, Analyst des US-Finanzdienstleisters State Street. Der Euroraum habe den Brexit-Schock bislang anscheinend gut verkraftet. Die EZB warte nun das Ergebnis der Zinsentscheidung der US-Notenbank Fed ab.
Auch Christian Lips, Experte bei der Landesbank Nord/LB, findet es nachvollziehbar, dass die EZB vorerst stillhält. Sie baue damit aber auch «ein Stück auf den Faktor Hoffnung». Sollte sich das Wachstum schwächer entwickeln, dürfte die angepeilte Teuerungsrate demnach kaum zu erreichen sein. Zudem könne ein zu starker Eurokurs belasten. «Eine zusätzliche geldpolitische Lockerung im Dezember bleibt daher möglich», so Lips. Dabei sei eine Senkung des Einlagesatzes, vor allem aber eine Änderung bei den Anleihekäufen denkbar.
Inflations- und Wachstumsprognosen wenig verändert
Ihre Inflationsprognosen haben die Notenbanker kaum revidiert. Für 2016 und 2018 hat sich laut Draghi nichts geändert. Nur für das kommendes Jahr sei die Inflationsprojektion leicht von 1,3 auf 1,2 Prozent gesenkt worden. 2016 rechnet die EZB nach wie vor mit einer Teuerungsrate von 0,2 Prozent, für 2018 wird unverändert eine Rate von 1,6 Prozent erwartet. Es habe zuletzt keine Hinweise auf eine höhere Wahrscheinlichkeit einer Deflation gegeben, sagte Draghi.
Ihre Wachstumsprognosen erhöhte die Notenbank für dieses Jahr, senkte sie jedoch für die beiden kommenden Jahre. 2016 dürfte die Wirtschaft der Eurozone demnach um 1,7 (bisher 1,6) Prozent wachsen, gefolgt von jeweils 1,6 Prozent in den Jahren 2017 und 2018. Diese Prognosen hatten bisher jeweils 0,1 Prozentpunkte höher gelegen.
Draghi: Wirtschaft widerstandsfähig – Politik in der Verantwortung
Die jüngsten Daten hätten eine Fortsetzung des Wirtschaftswachstums signalisiert und es gebe Hinweise auf Widerstandskraft gegenüber Unsicherheiten, sagte Draghi. Dennoch seien die Risiken für das Wachstum weiter abwärts gerichtet. Die Brexit-Entscheidung habe den Wachstumsausblick belastet.
Der EZB-Präsident sieht die Staaten bei der Stützung der Konjunktur in der Verantwortung. Alle Länder der Eurozone hätten strukturelle Reformen nötig, so Draghi. Eine angemessene Infrastruktur würde die Lage hinsichtlich Investitionen und Arbeitsplätzen verbessern. Die Politik solle durch fiskalpolitische Massnahmen die wirtschaftliche Erholung stützen. Länder mit haushaltspolitischem Spielraum sollten diesen nutzen. In diesem Zusammenhang nannte Draghi explizit Deutschland.
Geldpolitischer Kurs unverändert
Vor der Pressekonferenz hatte die EZB bekannt gegeben, dass sie alle Leitzinsen unverändert beibehält und auch keine Änderungen am bestehenden Wertpapierkaufprogramm vornimmt. Demnach bleibt der Hauptrefinanzierungssatz bei null Prozent, die Einlagenfazilität bei minus 0,4 Prozent und der Spitzenrefinanzierungssatz bei 0,25 Prozent. Monatlich werden weiterhin Wertpapiere im Volumen von 80 Milliarden Euro gekauft.
An den Finanzmärkten hielten sich die Reaktionen auf Draghis Worte und auf die Zinsentscheidungen in Grenzen. Der Eurokurs legte zunächst etwas zu, gab seine Gewinne aber im weiteren Handelsverlauf wieder ab. Die Renditen von Anleihen vieler Staaten in der Eurozone legten zu. Auch hier gab es im Anschluss aber eine Gegenbewegung. Die Aktienkurse gerieten etwas unter Druck. (awp/mc/pg)