Frankfurt am Main – Die Europäische Zentralbank (EZB) gerät bei der geplanten Umschuldung Griechenlands zusehends in die Schusslinie. Wie die «Financial Times» berichtet, drängt der Internationale Währungsfonds IWF die Notenbank dazu, sich an dem Schuldenschnitt Athens zu beteiligen. So sagte IWF-Chefin Christine Lagarde am Mittwoch in Paris, sollte der freiwillige Forderungsverzicht der privaten Gläubiger nicht ausreichen, müsse die Unterstützung öffentlicher Gläubiger grösser ausfallen. Hierzu zählt auch die EZB.
Nach Experten-Schätzungen hat die Notenbank derzeit griechische Staatstitel von rund 50 Milliarden Euro in ihren Büchern. Sie dürfte damit der grösste Einzelgläubiger Athens sein. Müsste die EZB diese Papiere abschreiben, wäre dies vermutlich mit zusätzlichen Kosten für die Steuerzahler verbunden. Die Notenbank indes hat bereits mehrfach erklärt, sich keinesfalls an einer Umschuldung Athens beteiligen zu wollen.
Zentralbank in brisanter Lage
Die Position der EZB ist brisant: Insbesondere Hedge-Fonds, die ebenfalls in griechischen Staatstiteln investiert sind, stellen die ablehnende Haltung der Notenbank in Frage. Die hochspekulativen Fonds argumentieren, warum sie auf ihre Forderungen gegen Griechenland verzichten sollen, wenn sich die EZB dagegen sträube. Derzeit verhandelt die griechische Regierung mit privaten Gläubigern wie Banken und Versicherungen über einen Schuldenschnitt. Die Verhandlungen waren zuletzt wegen der Höhe des Forderungsverzichts ins Stocken geraten.
EZB argumentiert mit Sicherung der Finanzstabilität
Die Notenbank verweist ihrerseits auf das Motiv der Anleihekäufe: Nach EZB-Lesart dienen die Käufe ausschliesslich zur Sicherung der Finanzstabilität im Währungsraum. Die Notenbank argumentiert seit langem, sie kaufe Staatstitel finanzschwacher Euro-Länder, um die Wirkung ihrer Geldpolitik zu sichern. Hintergrund ist das starke Engagement europäischer Banken in Staatsanleihen. Sinkende Anleihekurse stellen für die ohnehin angeschlagenen Banken eine zusätzliche Belastung dar. Die Papiere sind für die Institute unter anderem deswegen so wichtig, weil sie die Titel bei der EZB als Sicherheit einreichen können, um im Gegenzug frisches Geld zu erhalten.
EZB könnte hohe Kursgewinne erzielten
Kritiker halten der EZB entgegen, dass die Notenbank möglicherweise hohe Kursgewinne mit ihren Griechenland-Anleihen einfährt. Die EZB hatte bereits im Frühjahr 2010 damit begonnen, Staatsanleihen Griechenlands zu kaufen. Damit hat sie das erste staatliche Rettungspaket für Athen flankiert. Da die Staatstitel bereits seinerzeit stark unter Druck standen, hat die EZB die Papiere zu sehr geringen Marktpreisen gekauft. Falls sich die Notenbank an der Umschuldung Griechenlands nicht beteiligt, würde die EZB den kompletten Nennwert der Anleihen zum Laufzeitende zurückerhalten und somit hohe Kursgewinne erzielen.
Allfällige Gewinne weiterreichen oder Verluste in Kauf nehmen
Wie die «Financial Times» weiter berichtet, hat sich der EZB-Rat mit der Problematik unlängst beschäftigt. Die Zeitung beruft sich auf europäische Regierungskreise. Demnach wurde im Rat diskutiert, ob mögliche Gewinne aus dem Kauf griechischer Anleihen weitergereicht werden könnten. Eine andere Option wäre, dass sich die Notenbank am Schuldenschnitt beteiligt und entsprechende Verluste in Kauf nimmt. Offensichtlich sind sich die Notenbanker nicht mehr ganz so sicher, ob sie bei dem griechischen Schuldenschnitt tatsächlich aussen vor bleiben können.
Doch selbst wenn die Argumente der EZB überzeugen, könnte die Notenbank aus einem anderen Grund unter Druck geraten. Sollten nämlich die derzeitigen Verhandlungen über einen «freiwilligen» Schuldenschnitt Athens scheitern, bliebe der griechischen Regierung als letzter Ausweg eine zwanghafte Umschuldung. In diesem Fall wären alle Gläubiger von einem Forderungsverzicht betroffen – und damit wohl auch die EZB. (awp/mc/pg)