EZB-Chef Draghi stimmt auf lange Phase niedriger Zinsen ein
EZB-Präsident Mario Draghi. (Foto: EZB)
Frankfurt am Main – Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, hat die Märkte auf eine lange Phase der lockeren Geldpolitik eingestimmt. Die Zinsen dürften für längere Zeit auf dem aktuellen oder sogar auf einem niedrigeren Niveau bleiben, sagte Draghi am Donnerstag in Frankfurt bei der Pressekonferenz zum jüngsten Zinsentscheid der Notenbank. Zuvor hatte die EZB bekanntgegeben, alle wichtigen Leitzinsen zunächst unverändert zu lassen. Draghi gab weitere Details zum Kauf von Unternehmensanleihen bekannt und wies Spekulationen um das sogenannte «Helikoptergeld» zurück. Einige Experten sehen die EZB an der Grenze ihrer Möglichkeiten.
Die niedrigen Zinsen sollten über die Laufzeit des Wertpapierkaufprogramms hinaus bestehen bleiben, sagte Draghi. Ausserdem bekräftigte der EZB-Präsident frühere Aussagen, dass die Notenbank die Geldschleusen falls notwendig weiter öffnen könnte. Die EZB sei bereit, notfalls alle verfügbaren Instrumente zu nutzen.
Keine engen Grenzen bei Unternehmensanleihen
Beim geplanten Kauf von Unternehmensanleihen hat sich die EZB keine engen Grenzen gesetzt. Die Notenbank werde Anleihen mit einer Laufzeit von bis zu 30 Jahren kaufen, sagte Draghi. Die EZB hatte bereits auf der vorangegangenen Zinssitzung im März beschlossen, das seit Frühjahr 2015 laufende Kaufprogramm von Wertpapieren durch die EZB auf Unternehmensanleihen auszudehnen. Diese Papiere müssen ein Kreditrating im sogenannten Investment-Grade-Bereich haben. Es werden also keine «Ramschanleihen» gekauft.
Ausserdem verwahrte sich Draghi gegen teils massive Kritik aus Deutschland. «Wir haben den Auftrag, Preisstabilität für die gesamte Eurozone zu wahren, nicht nur für Deutschland», sagte der Notenbank-Präsident. «Dieses Mandat ist in den europäischen Verträgen festgelegt. Wir befolgen europäisches Recht, wir sind unabhängig.»
Spekulationen um «Helikoptergeld» zurückgewiesen
Spekulationen um das aktuell in Fachkreisen diskutierte Verteilen von Geld durch die Notenbank in der Bevölkerung («Helikopter-Geld») wies Draghi zurück. «Wir haben das Thema in der EZB niemals diskutiert», versicherte er. Es gebe in der Notenbank auch keine Überlegungen zum Helikopter-Geld.
«Ich bin überrascht über die Interpretation meiner Worte in der vergangenen Pressekonferenz», sagte Draghi. Im März hatte der Notenbanker die Diskussion um Helikopter-Geld befeuert, als er diese mögliche Waffe im Kampf gegen eine zu niedrige Inflation auf Nachfrage als eine «interessante Idee» bezeichnet hatte. Vor allem aus Deutschland hagelte es daraufhin Kritik an der Idee des Helikopter-Geldes.
Vorerst keine weitere Lockerung
Kurz vor der Pressekonferenz hatte die EZB wie erwartet alle wichtigen Leitzinsen unverändert auf ihren Rekordtiefs belassen. Der Hauptrefinanzierungssatz, zu dem sich Geschäftsbanken bei der Notenbank Geld leihen können, bleibt auf dem Rekordtief von null Prozent. Der Strafzins für Geld, das Finanzinstitute über Nacht bei der Notenbank parken, beträgt weiterhin 0,4 Prozent und der Spitzenrefinanzierungssatz verbleibt bei 0,25 Prozent.
Ausserdem wird das zuletzt im März ausgeweitete Kaufprogramm von Wertpapieren unverändert mit einem Volumen von 80 Milliarden Euro pro Monat fortgesetzt. Nach wie vor bleibe es bei der angepeilten Laufzeit des Kaufprogramms bis mindestens zum März 2017, sagte Draghi. Beobachter hatten nicht mit einer Änderung der Geldpolitik bei der Ratssitzung am Donnerstag gerechnet. Denn erst im März hatten die Währungshüter ihren Kurs im Kampf gegen Mini-Inflation und Konjunkturschwäche massiv verschärft.
Kritiker zweifeln an Handlungsspielraum der EZB
Daran, dass die EZB für weitere geldpolitische Lockerungen noch Handlungsspielraum hat, haben viele Kritiker Zweifel. «Die EZB hat die Grenzen ihrer Geldpolitik weitgehend erreicht», sagt Jan Holthusen, Experte bei der DZ Bank. An den Finanzmärkten müsse man sich von dem Gedanken verabschieden, dass die Stimulierung durch die EZB immer weiter gehe.
Zudem halten viele Experten weitere Lockerungen nicht für angebracht. «Angesichts der intakten Wachstumsperspektive in der Eurozone und der Erwartung steigender Teuerungsraten scheint eine weitere Aufstockung der expansiven Geldpolitik nicht angemessen», sagt Ralf Umlauf, Experte bei der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba). Obwohl sich die EZB alle Optionen offen halte, könnten Marktteilnehmer zu der Einschätzung kommen, dass die EZB zunächst das Ende des Lockerungszyklus erreicht habe. (awp/mc/pg)