Frankfurt – EZB-Chef Mario Draghi bereitet zum Ende seiner Amtszeit wegen den schwächeren Konjunkturaussichten noch einmal eine Lockerung der Geldpolitik vor. Die Währungshüter deuteten am Donnerstag in ihrem neuen Ausblick auch die Möglichkeit noch tieferer Schlüsselzinsen bis Mitte 2020 an. Das könnte auch Folgen für die Schweiz haben.
Bisher hatte die EZB prognostiziert, bis zu diesem Zeitpunkt nicht an den Schlüsselsätzen rütteln zu wollen. Auch neue Anleihenkäufe werden jetzt geprüft, ebenso wie ein Staffelsystem, um die Folgen der jahrelangen Strafzinsen für Banken abzumildern.
Die EZB erklärte, sie stehe bereit, alle Instrumente anzupassen, um ihr Inflationsziel von knapp zwei Prozent zu erreichen. Dieses verfehlt sie seit Jahren. Der Leitzins zur Versorgung der Geschäftsbanken mit Geld blieb auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent.
Zündschnur für geldpolitisches Feuerwerk
Draghi wird vermutlich der erste EZB-Präsident werden, unter dessen Führung die Euro-Notenbank kein einziges mal die Zinsen angehoben hat. Seine achtjährige Amtszeit bis Ende Oktober könnte damit so enden, wie sie begonnen hat: mit einer Zinssenkung. Iris Bethge, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands, sprach von der falschen Medizin, die nun auch noch länger verabreicht werde.
An den Börsen wird damit gerechnet, dass die Währungshüter den sogenannten Einlagensatz im September weiter in den negativen Bereich drücken. Die Tür für neue Massnahmen sei «sperrangelweit» geöffnet worden, hiess etwa in einem Kommentar von Raiffeisen. Mario Draghi lege die Zündschnur für ein geldpolitisches Feuerwerk, schrieb die VP Bank. Schon seit 2014 müssen Geldhäuser Strafzinsen zahlen, wenn sie überschüssiges Kapital bei der EZB parkieren. Aktuell liegt der Satz bei minus 0,4 Prozent.
Die EZB hat zudem in den vergangenen Jahren Wertpapiere im Volumen von 2,6 Billionen Euro gekauft. Trotzdem lag die Teuerung im Juni nur bei 1,3 Prozent. Draghi hatte deswegen zuletzt bereits eine weitere Lockerung der Geldpolitik signalisiert, sollte die Inflation nicht anziehen. Die EZB treibt auch um, dass die Handelskonflikte die Stimmung in der Wirtschaft weiter eintrüben und die Konjunktur bremsen. Zudem sind viele Konzerne wegen der Brexit-Hängepartie verunsichert.
Euro-Franken-Kurs steigt
Auch nach vielen Jahren ist damit ein Ende der Krisenpolitik, wie sie vor allem in Deutschland gefordert wird, nicht absehbar. Mit entsprechenden Konsequenzen auch in der Schweiz: Denn die Schweizerische Nationalbank (SNB) hängt seit Jahren am Rockzipfel der europäischen Währungshüter. Sie kämpft mit Negativzinsen und Devisenmarkt gegen die Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro.
Anders als man vielleicht auf den ersten Blick hätte erwarten können, wertete sich der Franken angesichts der in Aussicht gestellten Lockerungen ab September jedoch gegenüber dem Euro nicht weiter auf. Im Gegenteil: Der Euro-Franken-Kurs schaffte es zurück auf die psychologisch wichtige Marke von 1,10 Franken, unter die er am Dienstag gefallen war.
Laut VP-Bank-Chefökonom Thomas Gitzel könnte das auf Konjunkturhoffnungen zurückzuführen sein: So rechneten die Anleger damit, dass dank der geldpolitischen Lockerungen die Wirtschaft im Euroraum sich wieder verbessere. Das wiederum dürfte den Euro stützen, sagte Gitzel zur Nachrichtenagentur AWP. Zudem habe EZB-Präsident Draghi an der Medienkonferenz erklärt, die Rezessionsrisiken seien gering.
UBS-Ökonom Alessandro Bee dagegen sieht die Kursbewegung vor allem enttäuschten Erwartungen geschuldet. So sei bereits eine mögliche Zinssenkung der EZB schon an dieser Sitzung eingepreist gewesen.
SNB unter Zugzwang
Wenn die EZB im September aber tatsächlich die Zinsen senke, werde auch die SNB unter Zugzwang geraten, weil dann doch die wichtige Zinsdifferenz zwischen Euro- und Frankenanlegen weiter schmelzen werde, sagte Bee.
Da Frankenanlagen als sicherer gelten, sind Anleger bereit, mehr dafür zu bezahlen. Um die Attraktivität des Frankens zu mindern, hält die SNB die Zinsen unter den Zinsen im Euroraum.
Die SNB habe durchaus noch Spielraum für Zinssenkungen, wie sie selbst immer wieder betont habe, sagte Bee. Die Frage sei, ob die Massnahmen der EZB ausreichten, um die SNB zu einer Senkung zu animieren. «Die Wirtschaft könnte auch mit einem Kurs von 1,05 oder 1,10 Franken leben.» Reagiere die SNB aber nicht, könnte das auch als Strategieänderung aufgefasst werden – mit einer möglicherweise noch stärkeren Aufwertung des Frankens als Folge.
Gitzel wiederum würde eine Abkehr der SNB von ihrer Orientierung am Wechselkurs begrüssen. Sie habe kaum noch Spielraum, seien doch die Zinsen bereits im tiefroten Bereich. Die nächste Zinsentscheid der SNB steht am 19. September an, also eine Woche nach der EZB. (awp/mc/ps)