EZB beendet Notkaufprogramm – und bleibt trotzdem auf dem Gaspedal
Frankfurt – Angesichts steigender Inflationsraten senden Europas Währungshüter ein erstes Signal für ein Auslaufen ihrer ultralockeren Geldpolitik. Nur noch bis Ende März 2022 wird die Europäische Zentralbank (EZB) zusätzliche Wertpapiere im Rahmen ihres Corona-Notkaufprogramms PEPP erwerben.
Allerdings steckt die Notenbank weiterhin etliche Milliarden in den Kauf von Staatsanleihen und Unternehmenspapieren, wie der EZB-Rat am Donnerstag beschloss: Das allgemeine Kaufprogramm APP wird vorübergehend aufgestockt. Ein abrupter Übergang müsse vermieden werden, begründete EZB-Präsidentin Christine Lagarde in Frankfurt. Ein Ende des Zinstiefs ist zudem nicht in Sicht. Zinserhöhungen im kommenden Jahr seien «sehr unwahrscheinlich», bekräftigte Lagarde.
ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann wertete den PEPP-Beschluss als «ersten Schritt zum Ausstieg aus der Krisenpolitik, die Entscheidung bleibt jedoch halbherzig». Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater analysierte: «Die Geldpolitik in Europa bleibt fast das gesamte nächste Jahr über auf dem Gaspedal.»
Die EZB hält eine expansive Geldpolitik weiterhin für notwendig, um ihr mittelfristiges Inflationsziel von zwei Prozent zu erreichen: Angesichts der gegenwärtigen Unsicherheit müsse der EZB-Rat «Flexibilität und Handlungsspielraum bewahren».
Das zu Beginn der Pandemie im März 2020 aufgelegte Kaufprogramm PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) mit einem Volumen von 1,85 Billionen Euro soll jedoch auslaufen. Die EZB werde «die Nettokäufe von Vermögenswerten im Rahmen des PEPP Ende März 2022 einstellen». Staaten und Unternehmen müssen für Wertpapiere nicht so hohe Zinsen bieten, wenn eine Zentralbank als grosser Käufer am Markt auftritt.
Schwächerer Anstieg der Wirtschaftsleistung erwartet
Die Unsicherheiten für den wirtschaftlichen Ausblick haben angesichts der Coronavirus-Variante Omikron wieder zugenommen. Die EZB erwartet nun für 2022 einen schwächeren Anstieg der Wirtschaftsleistung im Euroraum um 4,2 Prozent.
Auch nach einem formalen Auslaufen von PEPP will die EZB Gelder aus fällig werdenden Wertpapieren neu anlegen – und zwar nun bis mindestens Ende 2024. Zudem sind Anleihenkäufe inzwischen fester Bestandteil des Werkzeugkastens der EZB. Im Rahmen des seit 2015 genutzten Programms APP hat die EZB schon mehr als drei Billionen Euro in Staatsanleihen und Unternehmenspapiere gesteckt.
Im zweiten Quartal 2022 verdoppelt die Notenbank das APP-Kaufvolumen auf 40 Milliarden Euro. Im dritten Quartal sollen noch 30 Milliarden Euro monatlich in Wertpapiere gesteckt werden, ab Oktober 2022 wird das Volumen des APP wieder auf 20 Milliarden Euro zurückgefahren.
Leitzins bleibt auf Rekordtief
Den Leitzins für den Währungsraum der 19 Staaten hält die EZB auf dem Rekordtief von null Prozent. Geschäftsbanken müssen nach wie vor 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken.
Kritiker werfen der EZB vor, mit dem vielen billigen Geld die Inflation anzuheizen, die sie eigentlich im Zaum halten will. Eine höhere Inflation schwächt die Kaufkraft von Verbrauchern, weil sie sich für einen Euro dann weniger kaufen können als zuvor.
«Ein reines Umschichten der Aufkaufprogramme löst keines der Probleme», kritisierte Markus Ferber, wirtschaftspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis mahnte: «Die Inflation ist mit Macht zurückgekehrt, deshalb muss die Geldpolitik wieder stärker auf Preisstabilität achten.»
In Deutschland kletterte die Inflation im November auf 5,2 Prozent. Im Euroraum legten die Verbraucherpreise im Jahresvergleich um 4,9 Prozent zu – das ist die höchste Inflation seit Bestehen des gemeinsamen Währungsraums.
Sehr lockere Geldpolitik wohl auch 2022
Alles in allem werde die Geldpolitik auch 2022 sehr locker bleiben, bilanzierte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer: «Es wird weiter zu viel Geld in Umlauf kommen. Mehr denn je bestehen im Euroraum beträchtliche Inflationsrisiken, auch wenn die Inflation nach der Jahreswende vorübergehend sinken wird. Leider geht die EZB das Inflationsproblem anders die US-Notenbank nicht entschieden an.»
Die Federal Reserve beschleunigt den Ausstieg aus der extrem lockeren Geldpolitik. Die US-Notenbank hatte am Mittwoch ankündigt, ihre konjunkturstützenden Wertpapierkäufe schneller zu drosseln. Für das nächste Jahr stehen sogar mehrere Leitzinserhöhungen in den USA im Raum. Auch die britische Notenbank stemmt sich mit ihrer ersten Zinserhöhung in der Pandemie gegen hohe Inflation. Die Bank of England hob ihren Leitzins um 0,15 Punkte auf 0,25 Prozent an.
Die EZB erklärt den Anstieg der Teuerung im Euroraum vor allem mit Sonderfaktoren, die sich im nächsten Jahr abschwächen sollten: etwa der Anstieg der Ölpreise nach dem Corona-Schock und Lieferengpässe infolge gestiegener Nachfrage. Zudem schlage derzeit die Rücknahme der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung in Deutschland durch.
Im kommenden Jahr rechnen Europas Währungshüter vor allem wegen hoher Energiepreise im Jahresschnitt im Euroraum mit einer Preissteigerung von insgesamt 3,2 (September-Prognose: 1,7) Prozent. Für 2023 sagt die EZB 1,8 Prozent Inflation voraus.
Der scheidende Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hatte wiederholt gemahnt, das Risiko einer zu hohen Inflation nicht zu unterschätzen. Die Geldpolitik solle «nicht zu lange an ihrem derzeit sehr expansiven Kurs festhalten». Am Donnerstag hatte Weidmann ein letztes Mal Gelegenheit, im EZB-Rat für seine Position zu werben: Er gibt sein Amt als Bundesbank-Präsident nach gut zehn Jahren zum 31. Dezember vorzeitig auf und scheidet damit auch aus dem höchsten EZB-Entscheidungsgremium aus. (awp/mc/ps)