Frankfurt – Bei den Währungshütern der Eurozone wächst angesichts der nach wie vor unerwartet hohen Teuerungsraten die Sorge. Etliche Volkswirte halten eine Zinserhöhung im laufenden Jahr inzwischen nicht mehr für ausgeschlossen. Vorerst beliess der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) jedoch alles beim Alten: Der Leitzins bleibt auf dem Rekordtief von null Prozent, die milliardenschweren Anleihenkäufe werden fortgesetzt.
Im Lichte weiterer Daten zu Inflation und Konjunktur werde die Lage im März neu beurteilt, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag in Frankfurt. Sie betonte zugleich, die EZB werde sich nicht treiben lassen: «Wir werden die Zinsen nicht erhöhen, solange die Nettoanleihenkäufe anhalten.»
Lagarde: Inflation «überraschend stark» gestiegen
Lagarde räumte ein, die Inflation sei im Dezember und Januar angesichts eines unvorhersehbaren Energiepreisschocks «überraschend» stark gestiegen. Das habe im EZB-Rat einhellig für Besorgnis gesorgt. «Die Situation hat sich in der Tat geändert», sagte die Französin. Vor allem auf kurze Sicht dürfte die Inflation hoch bleiben.
Im März liegen dem EZB-Rat neue Prognosen des Mitarbeiterstabes vor. Häufig nimmt das oberste Entscheidungsgremium der Notenbank diese Projektionen zum Anlass, grössere geldpolitische Entscheidungen zu treffen. Anders als noch im Dezember habe Lagarde eine Zinserhöhung im laufenden Jahr nicht ausdrücklich ausgeschlossen, analysierte Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Bank Berenberg. Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer hat die EZB «recht klare Hinweise» gegeben, «dass sie vermutlich im März eine Straffung ihrer Geldpolitik in Gang setzen wird, indem sie zunächst das Ende der Nettoanleihekäufe per September beschliesst». Ferner erwarte man nunmehr für September und Dezember eine Zinserhöhung um jeweils 0,25 Prozentpunkte.
Hohe Teuerung hält an
Die Teuerung hält sich seit Monaten auf vergleichsweise hohem Niveau. Im Euroraum stieg die Inflation im Januar entgegen den Erwartungen sogar noch weiter auf nun 5,1 Prozent. Das ist der höchste Wert seit Einführung des Euro als gemeinsame europäische Verrechnungswährung 1999. In Deutschland sank die jährliche Teuerungsrate zu Jahresbeginn zwar auf 4,9 Prozent, der Rückgang fiel aber deutlich geringer aus als erwartet. Vor allem steigende Energiepreise heizen den Preisauftrieb an.
Bei der Sitzung Mitte Dezember hatte der EZB-Rat ein erstes Signal für ein Auslaufen der Geldflut gesendet: Nur noch bis Ende März wird die EZB zusätzliche Wertpapiere im Rahmen ihres in der Corona-Pandemie aufgelegten Anleihenkaufprogramms PEPP erwerben. Allerdings steckt die Notenbank weiter etliche Milliarden in Staatsanleihen und Unternehmenspapiere: Das allgemeine Kaufprogramm APP wird vorübergehend aufgestockt. Gelder aus auslaufenden PEPP-Papieren sollen bis mindestens Ende 2024 neu angelegt werden.
Die Notenbank strebt für den Währungsraum der 19 Länder ein stabiles Preisniveau bei einer jährlichen Teuerungsrate von 2 Prozent an. Sie akzeptiert es, wenn diese Marke zeitweise etwas über- oder unterschritten wird.
Der seit Jahresbeginn amtierende Bundesbank-Präsident Joachim Nagel hatte zu seinem Amtsantritt gewarnt, er sehe «derzeit eher die Gefahr, dass die Inflationsrate länger erhöht bleiben könnte als gegenwärtig erwartet». Nagel betonte: «Bei aller Unsicherheit ist eines ganz klar: Wenn es die Preisstabilität erfordert, muss der EZB-Rat handeln und seinen geldpolitischen Kurs anpassen.» Am Donnerstag nahm Nagel erstmals an den Beratungen des EZB-Rates teil.
Angesichts der neuen Töne von der EZB legte der Euro deutlich zu und stieg auf ein Tageshoch von 1,1424 US-Dollar. Am Mittag hatte er noch unter 1,13 Dollar notiert. Die Kurse deutscher Bundesanleihen gerieten unter Druck und die Renditen stiegen deutlich an. Besonders stark stiegen die Renditen in Italien. Am deutschen Aktienmarkt verlor der Dax merklich. (awp/mc/ps)