EZB-Präsident Mario Draghi. (Bild: EZB)
Frankfurt am Main – Die Europäische Zentralbank (EZB) greift nur wenige Monate nach ihrer grossen Lockerungsrunde vom Sommer abermals tief in ihre Instrumentenkiste. Nachdem die EZB erst im Juni umfangreiche Schritte zur Bekämpfung von Wachstumsschwäche und Niedriginflation ergriffen hatte, ging sie am Donnerstag noch weiter. Sie senkte zum einem ihre Leitzinsen auf neue historische Tiefstände. Zudem verkündete EZB-Chef Mario Draghi ein neues Kaufprogramm, das auf mit Krediten besicherte Wertpapiere (ABS) und sogenannte «gedeckte Anleihen» (Covered Bonds) wie Pfandbriefe abzielt. Der Euro gab daraufhin ebenso spürbar nach wie die Renditen von Staatsanleihen zahlreicher Euroländer.
Während Bankvolkswirte von den Zinssenkungen massiv überrascht wurden, gab es im Vorfeld der Zinssitzung Spekulationen über neue Wertpapierkäufe. Ihre Leitzinsen senkte die EZB um jeweils 0,1 Prozentpunkte. Der wichtigste Zins für einwöchiges Zentralbankgeld liegt nun auf einem neuen Rekordtief von 0,05 Prozent und hauchdünn über der Nulllinie. Der Einlagensatz, den Banken normalerweise für eintägige Einlagen bei der EZB erhalten, hatte die Nullgrenze schon im Juni durchbrochen. Nach der neuen Senkung beträgt er nun minus 0,2 Prozent. Ein negativer Einlagezins kommt einer Strafgebühr für Bankeinlagen gleich.
Keine weiteren Zinssenkungen mehr
Die erneute Senkung des Leitzinses solle deutlich machen, dass man bei den Zinsen am unteren Ende angekommen sei, sagte Draghi. Zudem wolle man die im September anlaufenden zielgerichteten langfristigen Refinanzierungsgeschäfte (TLTROs) für die Banken noch attraktiver machen. Die getroffenen Massnahmen vermitteln allerdings nach Einschätzung der DZ Bank den Eindruck von «Aktionismus». Es sei zu bezweifeln, dass der erneut gesunkene Leitzins die Kreditvergabe in Südeuropa ankurbeln werde, schreibt Jan Holthusen, Volkswirt bei der DZ Bank.
Notenbankchef Draghi begründete die neuen Lockerungsschritte sowohl mit der geringen Inflation im Währungsraum als auch mit dem schwachen Wirtschaftswachstum. Zudem verwies er auf das geringe Geld- und Kreditwachstum. Darüber hinaus liess Draghi die Tür für weitere Schritte offen: Der geldpolitische Rat sei sich nach wie vor einig, gegebenenfalls weitere unkonventionelle Instrumente zu verwenden. Dazu zählen auch breitangelegte Käufe anderer Wertpapiere wie Staatsanleihen (Quantitative Easing, QE). Details zu den neuen Kaufprogrammen will die EZB kurz vor deren Start Anfang Oktober veröffentlichen. Angaben zum Volumen der Käufe wollte Draghi nicht machen. Dabei schloss auch den Kauf von Hypothekenpapieren nicht aus.
Einige Ratsmitglieder wollten noch mehr tun
Draghi räumte jedoch ein, dass die Entscheidungen nicht einstimmig gefallen seien. Einige Ratsmitglieder hätten es befürwortet, «mehr zu tun», während andere Mitglieder die jüngsten Massnahmen abgelehnt hätten. Bis zuletzt galt Bundesbankpräsident Jens Weidmann als Gegnern eines Ankaufs privater Kreditpakete. Draghi sprach von einer «komfortablen Mehrheit» für die Entscheidungen. «Die Formulierung spricht für recht viele Abweichler», kommentierte Christian Schulz von der Berenberg Bank. Zu QE dürfte es aber erst kommen, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft seien. Laut Draghi wurde über QE bereits diskutiert.
Draghi bekannte sich ausdrücklich zum europäischen Stabiliäts- und Wachstumspakt. Die Finanzpolitik müsse jedoch wachstumsfreundlicher werden und der Pakt flexibel interpretiert werden. So könnten wachstumshemmende Steuern und unproduktive Ausgaben gesenkt werden. Seine Rede in Jackson Hole wurde von vielen Beobachtern als Forderung für eine generell lockere Finanzpolitik zur Stützung der Nachfrage interpretiert, was Draghi bestritt. Die Regierungen forderte er zu entschlossenen Strukturreformen auf. «Ohne Strukturreformen bleibt auch die Geldpolitik wirkungslos», so Draghi. «Nur bei Wirtschaftswachstum wird die Inflationsrate wieder auf ihren Zielwert ansteigen.»
Kaum Änderungen bei den Prognosen
Ihre Wachstums- und Inflationserwartungen änderte die Notenbank unterdessen nicht sonderlich stark. Für 2014 und 2015 rechnet die EZB nun mit einem etwas schwächeren Wachstum, während die Prognose für 2016 etwas angehoben wurde. Die Inflationsprognosen wurden lediglich für das laufende Jahr leicht gesenkt. Die Projektionen der EZB werden alle drei Monate vom Mitarbeiterstab erstellt und dienen dem geldpolitischen Rat als Entscheidungshilfe.
Der Eurokurs unterschritt nach den Entscheidungen erstmals seit 14 Monaten die Marke von 1,30 US-Dollar und wurde zuletzt mit 1,2975 Dollar notiert. Die Renditen von Staatsanleihen aus der Eurozone gaben durch die Bank nach. Besonders deutlich profitierten die Anleihen schwächerer Euroländer wie Italien, Spanien oder Griechenland. Der Dax legte nach der Entscheidung zu. Am Aktienmarkt wurden die EZB-Entscheidungen positiv aufgenommen. Der Dax stieg erstmals seit Ende Juli wieder über die Marke von 9700 Punkten. (awp/mc/upd/ps)