Frankfurt am Main – Kurz vor Ende seiner Amtszeit zieht EZB-Präsident Mario Draghi noch einmal alle Register – zum Leidwesen von Sparern und Banken: Höhere Strafzinsen für Banken, frische Milliarden für Anleihenkäufe und ein auf unbestimmte Zeit zementiertes Zinstief. Mit dem am Donnerstag beschlossenen gewaltigen Massnahmenpaket stemmt sich die Europäische Zentralbank (EZB) gegen die Konjunkturschwäche.
Eine «sehr expansive Geldpolitik» sei wegen umfangreicher Risiken für die Konjunktur weiterhin notwendig, begründete Draghi die Entscheidungen nach der Sitzung des EZB-Rates in Frankfurt. Der Leitzins bleibt unverändert auf dem Rekordtief von null Prozent, eine erste Zinserhöhung verschob der EZB-Rat auf unbestimmte Zeit.
Weniger Wachstum als erwartet
Die Notenbank erwartet sowohl 2019 (1,1 Prozent) als auch 2020 (1,2 Prozent) weniger Wachstum für die Euro-Wirtschaft als noch vor drei Monaten prognostiziert. Die Inflationsrate wird sich demnach mit 1,2 Prozent in diesem und 1,0 Prozent im nächsten Jahr eher wieder vom 2,0-Prozent-Ziel entfernen.
Kritiker bezweifeln, dass die Notenbank mit der weiteren Verschärfung ihrer seit Jahren ultralockeren Geldpolitik ihr Ziel erreichen wird, die Wirtschaft im Euroraum anzukurbeln und die seit Jahren vergleichsweise niedrige Inflation nach oben zu treiben.
Strafzinsen steigen von 0,4 auf 0,5 Prozent
Geschäftsbanken müssen künftig 0,5 Prozent Strafzinsen zahlen, wenn sie überschüssige Gelder bei der Notenbank parken. Schon der bisherige negative Einlagensatz von minus 0,4 Prozent war eine Milliardenbelastung für die Finanzbranche. Womöglich geben Banken die Kosten bald an einen grösseren Kundenkreis weiter.
Mit dem Strafzins wollen die Währungshüter die Institute dazu bringen, mehr Gelder in Form von Krediten an Unternehmen und Verbraucher auszureichen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Um die Banken zumindest etwas zu entlasten, führt die EZB einen Staffelzins ein, um bestimmte Freibeträge von den Strafzinsen auszunehmen.
Neue Wertpapierkäufe selbst innerhalb des EZB-Rates umstritten
Mit einer Neuauflage von Wertpapierkäufen will die EZB Konjunktur und Inflation zusätzlich auf die Sprünge helfen. Ab 1. November sollen monatlich 20 Milliarden Euro in den Erwerb von Anleihen gesteckt werden. Dieser Teil des Pakets war im EZB-Rat umstritten, wie Draghi einräumte. Ein genaues Ende der Käufe legte das Gremium nicht fest.
Ende Dezember hatte die EZB ihr gewaltiges Kaufprogramm von Staats- und Unternehmensanleihen vorerst beendet. Seit Januar fliesst kein frisches EZB-Geld mehr in diesem Rahmen, Gelder aus auslaufenden Wertpapieren werden jedoch reinvestiert. Von März 2015 bis Ende 2018 steckte die EZB rund 2,6 Billionen Euro in Anleihen.
«Gefährliches Signal»
«Mit der Wiederaufnahme der Anleihekäufe zum jetzigen Zeitpunkt sendet der Rat ein gefährliches Signal an Euro-Staaten wie Italien», befand ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann. «Diese dürfen sich offenbar auf eine dauerhafte Finanzierungshilfe durch die EZB verlassen.»
Der Kauf von Staatsanleihen hilft Regierungen, sich günstiger frisches Geld zu besorgen. Denn wenn die EZB grosse Bestände kauft, müssen Staaten für ihre Wertpapiere nicht so hohe Zinsen bieten. Zugleich pumpt die Notenbank über Wertpapierkäufe viel Geld in den Markt. Das soll die Inflation antreiben.
Weit von angestrebter Teuerungsrate entfernt
Mittelfristig strebt die EZB für den Euroraum eine Teuerungsrate von knapp unter zwei Prozent an. Das ist weit genug entfernt von der Nullmarke. Denn dauerhaft niedrige Preise gelten als Risiko für die Konjunktur: Unternehmen und Verbraucher könnten dann Investitionen aufschieben – in der Hoffnung, dass es bald noch billiger wird.
Das Zwei-Prozent-Ziel der EZB ist jedoch in weite Ferne gerückt: Im August verharrte die Inflation in den 19 Euroländern bei 1,0 Prozent und damit auf dem tiefsten Stand seit mehr als zweieinhalb Jahren.
An der expansiven Ausrichtung der Geldpolitik im Euroraum wird sich aller Voraussicht nach so schnell nichts ändern: Draghis designierte Nachfolgerin an der EZB-Spitze, die Französin Christine Lagarde, hat bereits deutlich gemacht, dass sie eine sehr lockere Geldpolitik auf absehbare Zeit für nötig hält. Die bisherige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) sagte aber auch: «Wir müssen die negativen Folgen und Nebeneffekte im Blick behalten.» Die achtjährige Amtszeit Draghis endet am 31. Oktober 2019. (awp/mc/pg)