Yves Mersch, EZB-Ratsmitglied.
Frankfurt am Main – EZB-Ratsmitglied Yves Mersch hat Spekulationen über eine baldige Leitzinssenkung als unbegründet bezeichnet. «Diese wilden Erwartungen zeigen nur, dass einige Leute ihre Orientierung verloren haben», sagte der Chef der luxemburgischen Notenbank der Nachrichtenagentur Market News am Montag. Zuletzt war darüber spekuliert worden, die EZB könne den geldpolitischen Rückwärtsgang einlegen und den Leitzins im Euroraum um 0,5 Prozentpunkte auf das Rekordtief von 1,0 Prozent senken.
EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny schloss einen solchen Schritt am Montag allerdings nicht aus. «Die EZB ist niemals vorherbestimmt», wiederholte der Chef der Österreichischen Nationalbank die übliche Sprachregelung der Notenbank. Alles hänge von den künftigen Entwicklungen ab. Die EZB hatte den Leitzins im April und Juli um je 0,25 Punkte auf das jetzige Niveau von 1,5 Prozent angehoben. Damals hatten zahlreiche Ökonomen weitere Zinsschritte vorhergesagt. Damit rechnet angesichts der eingetrübten Konjunkturaussichten und des nachlassenden Preisdrucks mittlerweile niemand mehr.
Letzte Ratssitzung unter Trichet
Stattdessen mehren sich die Spekulationen über eine Lockerung der Geldpolitik in der kommenden Woche – bei der letzten Ratssitzung unter Vorsitz des scheidenden EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, erwartet, dass Trichet den Leitzins um 0,50 Punkte auf 1,0 Prozent senken wird: «Das deutete er schon bei der letzten Ratssitzung an, als er die Abwärtsrisiken für das Wirtschaftswachstum betonte, die in den vergangenen Wochen wahrscheinlich noch stärker zunahmen als von der EZB im September befürchtet.» Mayer begründete seine Prognose am Montag auch mit den trüben Aussichten der US-Notenbank Fed für die amerikanische Wirtschaft.
Vorbehalte Deutschlands gegen Draghi
Erst am Freitag hatten auch Ökonomen der Royal Bank of Scotland (RBS) die Erwartung geäussert, dass die Währungshüter den Leitzins Anfang Oktober in einem grossen Schritt um 0,5 Punkte senken. Sollte dies nicht geschehen, sei fest mit einem Zinsschritt nach unten im November zu rechnen. Für eine Lockerung der Geldpolitik schon im Oktober spricht aus Sicht der Berenberg Bank, dass dann Trichet den Schritt zu verantworten hätte. Denn für den Ruf seines italienischen Nachfolgers Mario Draghi könne eine Zinssenkung gleich in seiner ersten Sitzung «unglücklich» sein, mutmasst Berenberg-Ökonom Christian Schulz. Unter anderem in Deutschland gab es immer wieder Vorbehalte, ob ein Südländer der Stabilität der gemeinsamen Währung absoluten Vorrang einräumen wird. (awp/mc/ps)