EZB: Zinstief könnte zum Risiko für Finanzstabilität werden
Frankfurt am Main – Europas Währungshüter nehmen verstärkt mögliche negative Folgen ihres Nullzinskurses in den Blick. «Die Nebenwirkungen der Geldpolitik werden immer offensichtlicher, das müssen wir berücksichtigen», sagte EZB-Vizepräsident Luis de Guindos bei der Vorstellung des aktuellen Finanzstabilitätsberichts der Europäischen Zentralbank (EZB) am Mittwoch in Frankfurt. «Wir müssen uns mehr auf die Nebenwirkungen konzentrieren.» Ähnlich hatte sich der Spanier bereits Anfang der Woche geäussert.
In dem Bericht, den die Notenbank halbjährlich vorlegt, kommt die EZB zu dem Schluss, dass die Risiken und Herausforderungen für die Finanzstabilität im Euroraum zugenommen haben – auch wegen der Nullzinspolitik. «Während das Niedrigzinsumfeld die Gesamtwirtschaft stützt, stellen wir auch eine steigende Bereitschaft fest, Risiken einzugehen», erklärte de Guindos. «Dies könnte mittelfristig zu Herausforderungen für die Finanzstabilität führen.»
Negativzinsen fressen sich durchs Finanzsystem
Der Leitzins im Euroraum liegt seit März 2016 auf dem Rekordtief von null Prozent. Die Negativzinsen, die die Zentralbank zudem verlangt, wenn Banken Gelder bei ihr parken, fressen sich zunehmend durchs Finanzsystem. Vor allem Investmentfonds und Versicherer könnte das Umfeld nach Einschätzung der EZB-Experten dazu verleiten, übermässige Risiken einzugehen. Auch in einzelnen Immobilienmärkten sei dies zu befürchten. Das könnte zum Problem werden, wenn sich das Preisumfeld wieder ändert.
Banken brechen die Erträge weg
Für die Banken im Euroraum bleibt das Zinstief eine Last, denn ihnen brechen die Erträge weg. Die Negativzinsen der EZB sind zudem eine Milliardenbelastung für die Branche, auch wenn es neuerdings Freibeträge gibt. «Die Eigenkapitalrendite der Banken im Euroraum wird voraussichtlich weiter unter Druck bleiben – und zwar sowohl aufgrund der schwächeren Konjunkturaussichten als auch aufgrund anhaltender Kostenineffizienzen und Überkapazitäten», stellt die EZB fest. Dennoch hält die Notenbank, die die grössten Banken im Währungsraum direkt überwacht, den Bankensektor insgesamt für robust.
Auch Sparern macht das Zinstief zu schaffen. Für Sparer sind Zinsen auf Sparbuch und Tagesgeldkonten quasi abgeschafft. Wer viel Geld bei der Bank bunkert, dem drohen sogar Negativzinsen. Kritiker meinen zudem, das viele billige Geld bremse notwendige politische Reformen in den Euroländern.
Die seit 1. November amtierende EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte bereits vor ihrem Amtsantritt deutlich gemacht, dass sie eine sehr lockere Geldpolitik auf absehbare Zeit für nötig hält. Lagarde hatte aber auch gesagt: «Wir müssen die negativen Folgen und Nebeneffekte im Blick behalten.» Die Sorgen der Menschen müssten beachtet werden. Ausserdem wolle sie die Entscheidungen der Notenbank künftig besser erklären. An diesem Freitag (22.11.) wird Lagardes erste programmatische Rede seit ihrem Antritt bei der EZB erwartet. (awp/mc/pg)
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