Luzern – Der Schweizer FinTech-Markt ist im Jahr 2020 ein weiteres Mal gewachsen. Ein genauerer Blick auf den Sektor lässt jedoch erahnen: Das Wachstum der Branche gerät ins Stocken. Das zeigen die Ergebnisse der diesjährigen FinTech-Studie der Hochschule Luzern.
Die Schweizer FinTech-Branche hat sich in den letzten Jahren von einem Nischenmarkt zu einem relevanten Anbieter von innovativen Lösungen für die Schweizer Finanzindustrie entwickelt. Zum Ende des Jahres 2020 waren insgesamt 405 Schweizer FinTech-Unternehmen in der Schweiz ansässig, was einem Anstieg von 23 Unternehmen (plus sechs Prozent) gegenüber dem Jahr 2019 entspricht.
Die Mehrheit der Unternehmen bietet dabei Lösungen im Bereich des Investment Management und der Bankeninfrastruktur an. Ihre Geschäftsmodelle basieren überwiegend auf Technologien aus den Bereichen der Prozessdigitalisierung, Automatisierung und Robotics.
Trotz der ansteigenden Anzahl an FinTech-Unternehmen mit Sitz in der Schweiz gibt es im Jahr 2020 auch erste Anzeichen für eine Verlangsamung der Entwicklung des Sektors. «Seit 2015 war die Wachstumsrate noch nie so tief», sagt Thomas Ankenbrand, Studienleiter und Dozent für Banking and Finance an der Hochschule Luzern. Weitere Indikatoren, die auf eine Verlangsamung der Schweizer FinTech-Branche hindeuten, sind der sinkende Median der Gesamtkapitalisierung der Unternehmen und der konstant bleibende Median der Mitarbeitendenzahl. Ein Blick auf die Belegschaft der Schweizer FinTech-Unternehmen zeigt zudem: Der Anteil ihrer Mitarbeitenden, die nicht in der Schweiz, sondern im Ausland stationiert sind, steigt kontinuierlich an. Ende 2020 machte diese Gruppe bereits mehr als einen Drittel aller Beschäftigten von Schweizer FinTech-Unternehmen aus.
Die guten Bedingungen in der Schweiz verschlechtern sich tendenziell
Die Schweiz steht im internationalen Vergleich bezüglich der vorherrschenden Rahmenbedingungen für FinTech-Unternehmen weiterhin gut da, wie aus dem FinTech-Hub-Ranking der HSLU-Studie hervorgeht.
«Die Bedingungen haben sich in den letzten Jahren aber im Vergleich zu den anderen führenden FinTech-Ökosystemen tendenziell verschlechtert», erläutert Ankenbrand. Dies trifft insbesondere auf soziale und wirtschaftliche Umweltfaktoren zu. Eine weiterführende Analyse zeigt, dass die Qualität des Umfeldes einen klar positiven Zusammenhang mit der Grösse eines FinTech-Sektors aufweist. «Diesen Rahmenbedingungen Sorge zu tragen ist nicht nur für die ansässige FinTech-Branche, sondern auch für die Schweizer Finanzindustrie insgesamt von Bedeutung», so der FinTech-Experte.
FinTech kommt langsam in der realen Welt an
Ein grosser Teil der Volumina, sei es im Zahlungsverkehr, bei Krediten oder Investitionen, wird immer noch von traditionellen Finanzinstituten und einzelnen etablierten FinTech-Unternehmen abgewickelt. Ein Blick auf die Zahlen zeigt zudem, dass Schweizer Banken im Laufe der Zeit effizienter geworden sind und sich der Effekt der Digitalisierung langsam materialisiert. Dies ist unter anderem auf FinTech-Lösungen zurückzuführen, welche gemäss den Erkenntnissen der Studie mehrheitlich auf das Business-to-Business-Geschäft abzielen, was auch innovative Lösungen für etablierte Banken inkludiert. Generell konnten traditionelle Finanzinstitute die verwalteten Volumina steigern, während sie ihre Kosten stabil hielten. «Diese Entwicklung spiegelt sich jedoch nicht auf der Ertragsseite wider», so Thomas Ankenbrand. Das deute laut den Studienautoren darauf hin, dass die gewonnenen Effizienzgewinne direkt an die Kundinnen und Kunden weitergegeben werden.
Open Banking realisiert sich über Plattformen
Angetrieben durch den Druck auf Geschäftsmodelle, durch technologische Fortschritte, veränderte Kundenbedürfnisse und regulatorische Anforderungen gilt Open Banking, bei dem Banken und Drittanbieter gewisse Daten beziehungsweise Dienstleistungen miteinander austauschen, als bedeutender Trend in der Finanzbranche. Eine in der Studie präsentierte Umfrage unter IT-Verantwortlichen bei Schweizer Banken zeigt jedoch, dass der Druck zur Öffnung von Bankschnittstellen wie auch der Bedarf an entsprechenden Lösungen, insbesondere im Business-to-Consumer-Bereich, relativ gering ist. Weitere Hinderungsgründe für die Implementierung von Open-Banking-Lösungen sind die hohen Kosten und Aufwände sowie Bedenken in Bezug auf die IT-Sicherheit und die fehlende Standardisierung. Letzteres ist, zumindest teilweise, darauf zurückzuführen, dass Open Banking in der Schweiz vom Markt getrieben und nicht wie in der Europäischen Union über verbindliche Richtlinien (PSD2) verordnet ist. Daher haben sich verschiedene Plattformen herausgebildet, die den sicheren und standardisierten Austausch von Daten und Dienstleistungen ermöglichen. Diese Plattformen werden auch zunehmend von den Banken genutzt, insbesondere im Firmenkundengeschäft.
«Skin in the game matters»
Die Risikokapitalaktivität stellt den Indikator mit der höchsten Bedeutung im FinTech-Hub-Ranking dar. Diesbezüglich ist die Schweiz grundsätzlich gut aufgestellt. Indikatoren dafür sind das Wagniskapitalvolumen, das in den FinTech-Sektor investiert wird, sowie die von Schweizer FinTech-Unternehmen wahrgenommenen geringen Schwierigkeiten bei der Aufnahme neuer Finanzmittel. Total konnte der Sektor im Jahr 2020 rund 260 Millionen Schweizer Franken an neuem Kapital aufnehmen. Auch für die einzelnen Unternehmen ist die Gesamtkapitalisierung von Bedeutung. Diese weist neben den Erlösen und der Anzahl der Mitarbeitenden einen signifikanten Zusammenhang mit der Bewertung eines FinTech-Unternehmens auf, was aus einer quantitativen Analyse in der Studie hervorgeht. (HSLU/mc/pg)